Das mussten sie schließlich alle.
Der Mann sah auf. Er wirkte nicht überängstlich, nur sehr vorsichtig. Wer wollte ihm das verübeln? Dann erhob er sich. Er hatte bereits einmal mit Metellus gesprochen, wusste, dass er hier das Sagen hatte. Er war nicht richtig eingeschüchtert, verhielt sich aber respektvoll. Er kannte seinen Platz, zumindest vermittelte er diesen Eindruck recht überzeugend.
»Jin«, sprach er den Mann an, nicht unfreundlich, aber gewiss nicht leutselig. »Ich habe Nachricht von meinen Vorgesetzten. Wir haben Befehl, Sie in die Hauptstadt zu bringen. Dort werden Sie weiter befragt und man wird über Ihr Schicksal entscheiden.«
»Wer genau wird entscheiden?«
»Die zuständigen Autoritäten.« Metellus hatte nicht die Absicht, die Komplexität der persischen Bürokratie mit dem Mann zu besprechen, und außerdem ging es ihn schlicht nichts an.
»Werde ich sterben?«
»Das ist unwahrscheinlich.« Das konnte der Römer mit einiger Sicherheit sagen. Ob nun Überläufer oder Spion, der Mann namens Jin war zu wertvoll, um ihn achtlos wegzuwerfen. Auch Lügen und Täuschungen hatten ihren Informationswert, wenn ein kluger Mann ihnen lauschte. Außerdem peitschten die Perser nicht nur immer noch ihre eigenen unbotmäßigen Soldaten aus, sie waren auch noch nicht dem römischen Vorbild gefolgt, die Folter als Hilfsmittel bei Verhören abzuschaffen. Metellus mochte es hier.
Das Essen war manchmal ein wenig zu scharf, aber ansonsten hatte er keine weiteren Einwände.
Jin schien erleichtert, vielleicht etwas voreilig.
»Sie könnten Ihre Situation erleichtern, wenn Sie mir jetzt schon ein wenig über sich erzählen – mehr jedenfalls, als Sie bisher preisgegeben haben«, sagte Metellus. Er zeigte auf das Bett. »Ich könnte Ihnen einen Stuhl und einen Tisch bringen lassen. Vielleicht etwas anderes zu essen? Etwas Wein? Ich bin bereit, es Ihnen etwas gemütlicher zu machen. Eine zweite Decke. Die Nächte hier sind doch recht kühl, nicht wahr?«
Jin schien einen Moment mit sich zu hadern, dann schüttelte er den Kopf.
»Nein«, sagte er leise. »Danke für Ihr Angebot. Aber ich muss sicher sein, dass ich mit jemandem rede, der abschließend über mein Schicksal entscheidet oder zu den richtigen Leuten redet. Das ist nicht gegen Sie gerichtet, Römer. Aber dies ist Persien. Ich bin mir sicher, Sie sind hochgeachtet. Aber Sie sind nicht die ausschlaggebende Autorität.«
Er blickte auf, beinahe furchtsam für den Moment, als erwarte er ein wütendes Aufbrausen oder sogar Schläge. Aber Metellus hatte mit keiner anderen Antwort gerechnet und bereits beim ersten Gespräch hatte er den Eindruck gewonnen, dass dieser Jin ein Mann von einiger Intelligenz war. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Jawed richtiglag. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass es vor allem ein intelligenter Mann wagen würde, dem Zugriff der eigenen Leute zu entfliehen und sich zuzutrauen, in einer fremden Umgebung zu überleben.
»Nein«, sagte Metellus. »Das bin ich nicht. Wer hat Ihnen so genau erklärt, wer im Persischen Reich von Autorität ist oder nicht?«
»Ich bin Offizier. Wir erhalten Berichte, grundsätzliche Einweisungen, vor allem, wenn wir an der Front dienen. Wir sind weder unwissend noch ungebildet.«
Metellus hörte den Trotz in der Stimme Jins und er nickte gemessen. Das, was der Mann sagte, widersprach dem Bild, das er bis jetzt von den Zuständen in Baekye gewonnen hatte. Informationskontrolle und Propaganda waren nach allem, was man hörte, zentrale Bestandteile der Innenpolitik und das galt nicht nur für die normale Bevölkerung, sondern auch und gerade für das Militär. Es war natürlich nicht auszuschließen, dass Offiziere, je nach Rang, über weiter gehende Informationen verfügten, einem nicht ganz so harten Regime unterlagen. Gerade in einer fluiden Kriegssituation war es auch gar nicht zu vermeiden, dass intelligente Menschen in Kontakt mit Erkenntnissen kamen, die man ihnen sonst lieber vorenthalten würde.
»Offizier, ja?«
»Ich sage nichts mehr.«
»Ich bin auch Offizier. Wir können ehrlich miteinander reden. Ich mache Ihnen ein Angebot: Sie stellen mir zwei Fragen, die ich aufrichtig beantworte, und dafür darf ich eine aufrichtige Antwort von Ihnen erwarten. Ein Handel, zu Ihren Gunsten.«
Jin lächelte und schüttelte den Kopf. »Zu meinen Ungunsten. Denn das Wissen, das Sie mir anbieten, ist für mich bedeutungslos. Ich bin weit weg von zu Hause, habe die Bande dorthin durchschnitten. Alles, was ich Ihnen mitteile, ist hingegen voller Bedeutung. Das ist nichts, was wir abzählen können, Römer. Information wird nicht allein durch seine Menge relevant, sondern vor allem durch seine Qualität und in wessen Händen sie liegt.«
Das waren kluge Worte, wie Metellus fand, und erneut wurde er an Jaweds Misstrauen erinnert. Sprach so ein normaler, fahnenflüchtiger Offizier, der auf eine neue Heimat hoffte? Andererseits, würde sich ein Spion so eine Blöße geben und differenziert über ein Thema sprechen, das sein Schicksal beeinflussen würde? Oder war das wiederum gerade eine bewusste Strategie? Metellus fasste sich unwillkürlich an den Kopf. Wenn dies wiederum eine Vorgehensweise war, um ihn zu verwirren, so hatte Jin damit Erfolg. Metellus war für diese Art von Scharaden nicht qualifiziert, er dachte nicht wie ein Spion. Er war darauf aus, die Schädel seiner Feinde einzuschlagen, und bedurfte eigentlich nur einer klaren Anweisung, in welche Richtung er dafür rennen musste.
Das änderte natürlich nichts daran, dass er furchtbar neugierig war.
»Sie können gut Persisch.«
»Ich spreche auch jene Sprache, die man Englisch nennt.«
Den Satz hatte er bereits in dieser gesprochen. Metellus, der ebenfalls des Englischen mächtig war, wie alle Offiziere es auf der Akademie zu lernen hatten, war nicht richtig überrascht.
»Ich bin beeindruckt«, sagte er.
»Es gehörte zu meiner Ausbildung.«
»Können alle Offiziere aus Baekye so gut Englisch?«
»Nein. Können alle Offizier aus Rom diese Sprache?«
»Nein, obwohl wir sie auf der Akademie lernen müssen. Aber was man nicht benutzt, das rostet ein.«
»Sie sind eine Ausnahme.«
»Ich hatte immer eine Schwäche für Sprachen.«
Das war nicht gelogen, Metellus konnte Sprachen schnell und leicht lernen, es gehörte neben brutaler Raserei auf dem Schlachtfeld zu seinen hervorstechenden Fähigkeiten. Darüber hinaus aber gab es überall verteilt im Imperium – dem römischen wie dem persischen – Offiziere, deren Sprachausbildung besonders intensiv gewesen war. Denn alle rechneten damit, dass die scheinbar endlose Abfolge an aus der Zukunft eintreffenden Zeitenwanderern nicht plötzlich abbrechen werde. Entweder man entdeckte neue, die man bisher nicht identifiziert hatte, oder sie tauchten noch auf. Es war sinnvoll, überall jene zu positionieren, die möglicherweise mit diesen Leuten würden kommunizieren können, jedenfalls potenziell besser als der normale Legionär.
Möglicherweise dachten die Herren von Baekye genauso. Möglicherweise war Jin aber auch ein gut ausgebildeter Spion. Metellus bekam wirklich Kopfschmerzen.
Jin lächelte den Römer an.
»Sie machen sich zu viele Gedanken. Ich bin ein Überläufer. Ja, ich habe wichtige Informationen, und ja, ich will etwas zum Tausch. Asyl. Ein Haus. Diener. Geld. Ich will ein gutes Leben. Ich bin kein Verräter, weil ich den Geliebten Marschall aus ganzem Herzen hasse. Ich gehörte zu den Offizieren seiner Armee, und war man loyal, ging es einem im Vergleich zu allen anderen recht gut. Aber ich will mehr, ich will nicht darauf warten, und wenn ich einer Sache müde wurde, dann dieses Krieges. Immer nur töten, töten, töten. Ich kann das Blut an meinen Händen sehen und riechen, egal wie oft ich sie wasche. Davon habe ich genug. Also habe ich einen Entschluss gefasst. Ist meine Motivation für Sie sehr verwerflich, Römer?«
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