Oder war es …?
»Ein Spion«, kam Jawed zu dem Schluss, zu dem auch sein römischer Kamerad sofort gelangt war. »Er spricht Englisch?«
»Persisch.«
»Ein Spion.«
»Wenn, dann ein sehr verzweifelter. Als wir ihn schließlich ergriffen, zitterte er vor Angst und hatte sich völlig eingenässt.«
»Ein gut vorbereiteter Spion. Einer, der sein Metier beherrscht und alles tut, um überzeugend zu wirken. Wir sollten höchste Vorsicht gelten lassen.«
Jawed schien die Diskussion noch mehr zu beleben. Die letzten Sätze sprach er sehr kraftvoll aus. Gegnerische Spionage weckte offenbar seine Lebensgeister. Er versuchte sogar, sich aufzurichten, wurde daran aber von Metellus mit sanftem Nachdruck gehindert.
»Er ist in Gewahrsam und wird bewacht. Aber ich gebe ihm zu essen und ich habe ihn frisch eingekleidet. Es ist nicht an uns zu entscheiden, was mit ihm geschehen soll. Ich habe ans Hauptquartier telegrafiert. Sobald Weisung kommt, werden wir entsprechend handeln.«
»Weisung«, stieß Jawed aus. »Sie werden ihm auf den Leim gehen, weil sie unbedingt einen Erfolg haben wollen, etwas, das ihnen etwas in die Hand gibt, eine Erkenntnis, die ihnen hilft. Wenn dieser komische Marschall tatsächlich jemanden geschickt hat, der sein Handwerk versteht, wird er mit den Trotteln leichtes Spiel haben. Und wir, hier an der Grenze, werden das im Zweifelsfall ausbaden müssen, oder?«
Metellus wollte seinem persischen Kameraden so gerne widersprechen, doch leider brachte er nur ein Schulterzucken zustande. Jaweds Einstellung, bei aller Pflichterfüllung und militärischer Disziplin, war vom gesunden Zynismus eines Grenzsoldaten geprägt. Wer sollte es ihm übel nehmen?
»Sobald ich Nachricht habe, melde ich mich bei dir. Sie wird gewiss nicht lange auf sich warten lassen. Die Sache ist zu heiß, um …«
Metellus wurde vom Auftritt eines Soldaten unterbrochen. Er hielt ihm ein Pergament hin, das dieser dankend entgegennahm und betrachtete.
»Wenn man vom Teufel spricht!«
»Antwort auf deine Nachricht?«
»In der Tat. Ich bin mir nicht sicher, ob dir das gefallen wird.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob mir hier überhaupt noch etwas gefällt. Lies vor, Römer. Dein Persisch beleidigt meine Ohren, aber lies!«
»Darf ich es zusammenfassen?«
Jawed machte eine müde Handbewegung.
»Wir sind abberufen nach Persepolis. Du, ich, der Überläufer.«
»Der Spion.«
»Der Spion. Du sollst dich im Militärhospital behandeln lassen und bekommst Erholungsurlaub. Ich soll den Spion überbringen und bei den Verhören als offizieller Vertreter des römischen Generalstabs anwesend sein. Wir sollen los, sobald du reisetauglich bist.«
Jawed starrte Metellus an. Es gab Leute, die würden sich jetzt freuen. Allein das neuartige und von den Römern auch erst sehr zögerlich angenommene Konzept des »Erholungsurlaubs« löste normalerweise eher Glücksgefühle aus. Außerdem: weg von der Front, ab in die Hauptstadt, die ihre Reize hatte. Jawed stammte aus einer angesehenen Familie, er erzählte hin und wieder von ihrem Haus in Persepolis und dem Garten und dem Fischteich. Metellus stellte sich alles ganz angenehm vor. Aber Jawed gehörte nicht zu jenen, die jede Gelegenheit wahrnahmen, sich lästiger Pflichten zu entledigen. Alles andere als das.
»Meinen Posten aufgeben?«
»Vorübergehend, da bin ich mir sicher. Verwundet im Kampf. Dafür gibt es einen Orden.«
»Das war keine Leistung. Ich stand aus Versehen einer Kugel im Weg.«
Jawed war auch da etwas eigen. Er war jederzeit bereit, tapfere Untergebene auszuzeichnen und sie für herausragende Pflichterfüllung zu belohnen – aber er zog es vor, ihnen dafür etwas zu geben, mit dem sie auch etwas anfangen konnten. Einen freien Tag; frischen Wein oder Bier für einen netten Abend unter Kameraden; Befreiung vom Wachdienst: Es gab einige Möglichkeiten, einer treuen Seele etwas Gutes zu tun. Aber irgendeinen Orden? Das war wieder so eine römische Idee. Für die meisten gab es nicht einmal eine Geldprämie, die Jawed noch als Anerkennung akzeptiert hätte. Und er selbst strebte nicht nach Gefälligkeiten. Wenn man ihm etwas Gutes tun wollte, dann würde man ihn befördern, ihm mehr Verantwortung geben und weitere Möglichkeiten, Kugeln im Weg zu sein. Denn wenn er eines ernst nahm, dann war es sein Beruf und Metellus hatte davor den allergrößten Respekt.
»Es sieht nicht so aus, als hätten wir da eine Wahl.«
Jawed wusste das natürlich. Er schaute grimmig drein, aber so richtig fehlte ihm für die Empörung noch die Energie. »Ich bin reisebereit. Lass uns aufbrechen.«
»Du bist völlig verrückt.«
»Ein Wagen. Ich leg mich hinten drauf und lass mich ziehen. Einleitung meines Erholungsurlaubs. Schöne Landschaften, interessante Zwischenstopps, lauschige Herbergen und abwechslungsreiches Essen. Eine interessante und liebenswürdige Reisebegleitung dazu. Alles, was man sich wünschen kann.«
Metellus stieß ein Schnaufen aus.
»Es hat geregnet. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand. Und Herbergen sind ziemlich weit entfernt.«
Jawed seufzte und starrte auf die Bettdecke, die seinen Körper umhüllte. Er zupfte an einem Rand, um eine Falte auszugleichen. Er mochte es, wenn die Dinge glatt verliefen. Das war in letzter Zeit leider nur zu selten der Fall.
»Wie lange also?«
»Ich denke, in frühestens fünf Tagen, und das auch nur dann, wenn du eisern Ruhe bewahrst, nicht herumschreist, nicht herumläufst, gut isst und trinkst und jede Aufregung meidest.«
Jawed sah Metellus anklagend an. »Du willst, dass ich vor Langeweile sterbe, damit du in Persepolis all den Ruhm einheimsen kannst.«
Der Römer nickte. »Absolut. Du hast mich ertappt.« Er erhob sich. »Und jetzt ausruhen. Klappe halten. Niemand hört auf deine albernen Befehle, dafür habe ich gesorgt.«
»Meuterei!«, flüsterte Jawed.
»Dies ist kein Schiff.«
»Deserteure!«
»Ich bin immer noch hier und renne nicht weg.«
»Ich geb’s auf«, murmelte der persische Offizier und schloss die Augen.
Die mit diesen Worten verbundene Botschaft kam bei Metellus an, er hatte zu gehen. Er verließ das Gebäude, trat ins Freie und sah sich um. Routine herrschte in dem Grenzfort, nachdem die Aufregung über den Angriff und den Überläufer sich ein wenig gelegt hatte. Jawed mochte recht haben und hinter dem Auftauchen des Mannes einen perfiden Trick der Herren von Baekye vermuten. Andererseits konnte es auch gut sein, dass irgendwann einmal jemand auf der Gegenseite die Schnauze so richtig voll hatte. Das waren keine Dämonen und keine Maschinen, sondern Menschen und sie würden nicht alle wie verzaubert in eine Richtung marschieren, zumindest nicht auf ewig. Es gab immer jene, die anders waren, die Schmerz in sich trugen oder Wut oder einfach nicht mehr ertrugen, was ihnen befohlen wurde. Metellus konnte Jaweds Theorie nicht wegwischen, aber er konnte sich die Optionen offenhalten.
So betrat er kurze Zeit später den Raum, den die Soldaten als provisorische Zelle hergerichtet hatten. Es gab hier kein Gefängnis. Wer sich danebenbenahm, wurde ausgepeitscht, das war in der persischen Armee weiterhin üblich, wenngleich die Legionen von dieser Praxis seit einiger Zeit Abstand nahmen. Metellus mochte es, wie die Perser das regelten: einfach, direkt, effektiv und für alle ein Beispiel. Manchmal hasste er die modernen Zeiten.
Der Überläufer – und der Römer nannte ihn in Gedanken weiterhin so, egal was Jawed über den Mann dachte – saß auf einer Bettstatt, die man ihm in den Raum gestellt hatte. Ein Pisspott stand ebenfalls da; ein Stuhl und ein Tisch fehlten wie auch sonst jede Annehmlichkeit. Der Mann bekam zu essen, und das ausreichend. Er war unverletzt gewesen und er trug Kleidung, die in Ordnung war. Für seine Grundbedürfnisse war gesorgt und bis auf Weiteres sah Metellus keinen Grund, ihn mit Luxus zu belohnen. Das musste er sich verdienen.
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