Die Hand des Captains verkrampfte sich um das Bruchstück in seiner Tasche. Es war der Teil eines menschlich wirkenden Handgelenks. Unter einer dünnen, lebenden Hautschicht und einer gallertartigen Masse, die nicht unbedingt biologischen Ursprungs sein musste, steckte ein massiver Knochen aus Metall.
»Wir haben es mit Androiden zu tun«, informierte Finch seine Kameraden. »Also brauchen wir keine Hemmungen zu haben. Größenwahnsinnige Maschinen waren mir immer schon ein Gräuel.«
*
Man hätte William O’Harra lieber in Ruhe sterben lassen sollen, statt ihn nach stundenlangen Bemühungen ins Bewusstsein zurückzurufen. Was von ihm geblieben war, verdiente die Bezeichnung »Mensch« nicht mehr: ein stumpfsinniges, reaktionsloses Geschöpf, das von nichts und niemand Notiz nahm. Nur die urtümlichsten Instinkte erhielten ihn weiterhin am Leben.
Jack Swensson schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. Er verstand durchaus, dass einige der Männer sich angewidert abwandten. Ihnen allen stand deutlich vor Augen, was sie erwartete. Swensson brachte es dennoch nicht fertig, die kleine Flamme des Feuerzeugs zu ersticken, denn sie allein brachte einen Hauch von Wärme in das Verlies. O’Harras bedrückende Gegenwart konnte er ohnehin keinem der Gefangenen abnehmen.
»Ich halte das nicht länger aus …« Mit einem jämmerlichen Aufschrei sank Dan Henderson in sich zusammen. »Ich werde verrückt dabei. Schafft ihn raus, ich … ich …« Die Stimme des jungen Technikers erstickte in hemmungslosem Schluchzen.
Es ist kein Wunder, erkannte Swensson bestürzt. Wenn nichts geschieht, erwischt es uns alle der Reihe nach. Und keiner kann etwas dagegen tun. William hat das nicht verdient. Hoffentlich begreift er seinen Zustand nicht.
Steven Kincaid spie aus. »Wer immer diese Fremden sind, das sollen sie nicht ungestraft getan haben.«
Der Erste Offizier warf dem Ortungstechniker einen resignierenden Blick zu. »Was willst du dagegen tun? Wir sind ohne Waffen machtlos.«
»Noch habe ich meine Fäuste.« In rasendem Zorn hob Kincaid die Arme. »Irgendwann wird jemand kommen ‒ die wollen etwas von uns, oder? Dann müssen wir zeigen, dass sie mit uns nicht so umspringen dürfen.«
»Sie schicken wieder einen Androiden«, sagte Swensson und zerstörte damit jede Hoffnung. »Trotzdem hast du recht. Sie wollen etwas von uns: unser Wissen. William hat schon hinter sich, was uns bevorsteht.«
Der fahle Lichtschimmer reichte aus, das blanke Entsetzen in Kincaids Gesicht erkennen zu lassen.
»Sie werden kommen und uns holen, einen nach dem anderen«, vollendete Swensson.
*
Was Captain Finch am Ziel seines Weges durch die subplanetare Station zu sehen erwartet hatte, war nicht der kleine kahle Raum, dessen Einrichtung sich in einem kabelgebundenen Bildtelefon erschöpfte. Nach allen technischen Leistungen, die er unterwegs gesehen hatte, wirkte das unverständlich. Er sagte sich, dass die Clique flexibel bleiben und notfalls in kürzester Zeit auf andere Treffpunkte ausweichen musste. Keinesfalls durften die Friedfertigen sich durch eine Anhäufung schnell anmessbarer Geräte verraten.
»Die Sprechverbindung ist absolut abhörsicher, so veraltet ist sie«, bekundete Oam-Pham-Phu nicht ohne Stolz.
Der Captain ertappte sich zum wiederholten Mal dabei, dass er den Photiden eindringlich musterte. Nichts an Oam-Pham-Phus Erscheinung deutete darauf hin, dass er kein Wesen aus Fleisch und Blut war, sondern ein vermutlich perfektes maschinelles Ebenbild seiner Schöpfer. Wenn Finch dagegen an irdische Roboter dachte, ihre eckigen, abgehackt wirkenden Bewegungen …
Während er unschlüssig seinen Gedanken nachhing, fühlte der Captain sich plötzlich an den Schultern gepackt und herumgedreht. Der Blick des Photiden sezierte ihn geradezu.
»Ihr Vertrauen zu mir scheint nachzulassen«, sagte Oam-Pham-Phu. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, lassen Sie es mich wissen.«
»Es ist nichts«, murmelte Finch wenig überzeugend. Konnte er es wagen, die Frage zu stellen, die ihm auf den Lippen brannte? Was ging in einem Androiden vor, der mit seiner eigenen, künstlich geschaffenen Existenz konfrontiert wurde?
»Also …«, drängte Oam-Pham-Phu, der sich mit der erhaltenen Antwort nicht zufriedengab.
Finch platzte so direkt heraus, dass es nur falsch sein konnte: »Weshalb haben Sie uns verschwiegen, dass Sie Roboter sind, oder Androiden, oder wie immer man Ihre Erscheinungsform nennen soll?«
Der Captain warf das Fragment, das von dem getöteten Krieger stammte, vor ihm auf den Tisch. Gleichzeitig bereute er seine impulsive Handlung schon. Hoffentlich war das kein Fehler gewesen. Finch war auf alles gefasst, weil Oam-Pham-Phus Griff um sein rechtes Schultergelenk stärker wurde. Dann ließ der Photide ihn unverhofft los.
»Sie wussten es nicht?« Oam-Pham-Phu war sichtlich überrascht und suchte nach einer Erklärung. »Auf unserem Planeten gibt es außer Pflanzen kein organisches Leben. Seit Jahrtausenden nicht mehr.«
Finch nickte irritiert. Sein Gegenüber schien kein Geheimnis aus seiner künstlichen Existenz machen zu wollen.
Oam-Pham-Phu begann zu erzählen. Er berichtete vom einstigen Imperium der Photiden, die ihren Geschöpfen nicht nur den Namen vererbt hatten. Er ließ die Szenerie grauenhafter Vernichtungswaffen wiederauferstehen und schilderte deren Wirkungen so beklemmend, dass in Finch geradezu der Eindruck entstand, er wäre selbst dabei gewesen. Der Widerständler vergaß auch nicht den Hinweis, dass die MADELEINE mit diesen Waffen ausgerüstet werden sollte. Ein einziges kleines Raumschiff, ein altersschwacher Frachter … Dennoch gelte es nun zu verhindern, dass der Krieg erneut in die Galaxis hinausgetragen wurde.
»Das gewaltige Imperium, das sich über die halbe Galaxis erstreckte und die damit verbundene ungeheure Macht stiegen den Photiden zu Kopf«, schloss Oam-Pham-Phu seinen Bericht. »Sie konnten dem Blutrausch nicht widerstehen, den sie selbst entfacht hatten. Die unausbleibliche Folge war eine Selbstzerfleischung, die nicht einmal vor den verheerendsten biologischen Vernichtungsmitteln zurückscheute.«
»So spricht ein Androide von seinen Herren?«, warf Dave Quinger zynisch ein. Er stand völlig unter dem Eindruck der eindringlichen Schilderungen, die eine unüberhörbare Mahnung enthalten hatten.
»Die Clique der Friedfertigen hat sich losgesagt von der einstigen Loyalität«, erwiderte Oam-Pham-Phu. »Unsere Programmierung wurde verändert ‒ um den entscheidenden Faktor. Das verdanken wir einem der letzten Photiden, der den großen Krieg überlebte. Er erkannte die Gefahr, die in uns fortbestand, und er setzte sein Leben ein, um die Umprogrammierung zu vollziehen. Leider konnte er sein Werk nie zu Ende bringen.«
»Soll das heißen, wir bräuchten die Programmierung der feindlichen Androiden nur entsprechend zu verändern?«, platzte Quinger heraus.
»Nein.« Oam-Pham-Phu schüttelte in typisch menschlicher Manier den Kopf. »Ohne das Spezialwissen unserer Erbauer ist die Veränderung unmöglich. Dieses Wissen ist längst verloren.«
Auch Captain Finch schüttelte den Kopf. »Wir hätten ohnehin keine Chance«, sagte er. »Kein Androide würde uns näher als bis auf fünf Schritte an sich herankommen lassen.«
*
Längst war die Flamme des Feuerzeugs erloschen. Dumpf und teilnahmslos brüteten die Männer vor sich hin. O’Harra kauerte in einer Ecke und murmelte ohne Unterbrechung unverständliches Zeug. Die Raumfahrer der MADELEINE waren zum Nichtstun verurteilt, und die Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal zerrte an ihren Nerven.
»Wie die Ratten im sinkenden Schiff«, sagte Swensson bitter. »Wir wissen, dass wir nicht fliehen können und drängen uns auf dem letzten trockenen Fleck zusammen, in der Hoffnung, dass die Flut uns nicht erreicht und hinwegspült.«
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