„Aber Sie haben gewiß an andern Kriegen teilgenommen“, der Jüngling ließ nicht locker, „wo, ähnlich wie im Trojanischen, ein Teil der Krieger mit Tieren zusammengeschmolzen war, die man Rosse nannte . . .?“
„Ach ja, Kavallerie gab’s noch zu meiner Zeit, wenn sie auch immer mehr und mehr motorisiert wurde . . .“
„Und worum ging jener Trojanische Krieg?“
„Um das würdigste Kampfobjekt, das sich denken läßt: die schönste Frau der Welt . . .“
„Und an welchem Kriege haben Sie teilgenommen, Seigneur?“
„Am sogenannten Ersten Weltkriege, von 1914 bis 1918, Monsieur le Fiancé.“
„War das viel später, Seigneur?“
„Ja und nein! Von jetzt und hier gesehn, nein.“
„Und was war das Kampfobjekt dieses Ersten Weltkriegs? Worum ging es, Seigneur?“
Während meiner Antwort fühlte ich mit Unbehagen, daß ich zumindest dem Zweiten Weltkrieg nicht ganz gerecht wurde. Wie weit aber lag das alles zurück, und ich war zu träge, vor diesen so fremden Zuhörern nur um des Gewissens willen feinere Unterscheidungen zu treffen:
„Ja, worum ging es in diesen zwei Weltkriegen meiner Lebenszeit, bester Io-Do? Wenn sich das so leicht sagen ließe. Es ging um ein trübes Spülicht, um ein schmutziges Gebräu von Arbeitskrisen und Ersatzreligionen. Je unechter nämlich eine Religion ist, um so fanatischer beißen ihre Anhänger um sich. Meine ehemaligen Zeitgenossen waren fanatisch darauf versessen, keine Seelen und keine Persönlichkeiten zu besitzen, sondern Ich-lose Atome materieller Großkomplexe zu sein. Die einen hingen dem Großkomplex ,Nation‘ an, indem sie die Tatsache der Zuständigkeit, daß sie nämlich in irgendeinem Lande und unter irgendeinem Volke geboren waren, zum ewigen Wert erhoben. Die andern hingen dem Großkomplex ,Klasse’ an, indem sie die Tatsache, daß sie arm und niedrig geboren waren und dies nicht länger sein wollten, zum ewigen Wert erhoben. Beide Großkomplexe waren jedoch für ihre Anhänger ziemlich leicht austauschbar, da beinahe jedermann sowohl arm war als auch einer Nation angehörte. Und so wußten denn die meisten von den einen wie von den andern nicht, warum sie sich gegenseitig umbringen mußten. Sie taten es aus Furcht. Aber sie fürchteten sich weniger voreinander, als sie sich vor ihren eigenen Führern fürchteten, die wiederum aus Furcht vor ihnen, den Angeführten, sie zwangen, sich gegenseitig zu vernichten . . .“
„Ihre Definition des Krieges gefällt mir gar nicht, Seigneur“, sagte der Bräutigam verbissen, und er fügte hinzu, sein Wissen leuchten lassend: „Wir haben gelernt, daß Kriege zwischen gerüsteten Gegnern nur dann zum ritterlichen Austrag kamen, wenn mangels eines universalen Gerichtshofs kein menschliches Rechtsmittel mehr in Anspruch genommen werden konnte. Die Kriege der Urzeit waren demnach Gottesgerichte, wie unsre Gelehrten zweifelsfrei festgestellt haben. Bellum internecinum, das ist Ausrottungskrieg, war ebenso als unfair verboten wie bellum punitivum, das ist Bestrafungskrieg. Auch war es nicht erlaubt, percursores, als da sind Meuchelmörder, venevici, als da sind Giftmischer, dem Gegner auf den Hals zu hetzen, so wie auch perduellio, das ist Anstiftung zum Verrat, verabscheut wurde . . .“
Nach diesem kleinen Vortrag sah mich Fiancé Io-Do im Goldhelm triumphierend an. Noch konnte ich nicht ahnen, wie wenig diese barock-adlige Auffassung des Krieges mit seinen wirklichen Vorstellungen zusammenfiel. Ich applaudierte geräuschlos, um dem jungen Mann zu verstehen zu geben, wie sehr er mir imponiert hatte:
„Ihr Wissen um die ritterlichen Kriegsregeln ist erstaunlich, Monsieur“, sagte ich. „Sie haben mich tief beschämt, denn ich hatte all diese Ausdrücke nie gekannt oder längst vergessen . . . Und doch, grau ist alle Theorie! Blicken Sie nur auf die Fernsubstanzzertrümmerer an Ihrer eigenen Wand. Mit denen hat man ausschließlich bella internecina, das sind Ausrottungskriege geführt . . .“
Der Bräutigam machte eine pikierte Bemerkung, wurde aber von seinem Vater unterbrochen:
„Du solltest Seigneur nicht widersprechen, Sohn“, sagte Herr Io-Solip, „er hat’s erlebt. Er ist dabeigewesen. Du aber hast dein Wissen nur aus dem Sephirodrom, von Vorträgen und aus den Sammlerkatalogen . . .“
„Gewiß, Seigneur ist dabeigewesen“, schmollte Bräutigam Io-Do, „und so möchte ich denn ergebenst gebeten haben, daß er uns als Augenzeuge und Mitkämpfer etwas zum besten gibt von dem sogenannten Ersten Weltkrieg. Er hieß doch so?“
Ich erschrak aufs heftigste, denn ich fand mich in dieselbe Lage versetzt wie vorhin, als mich der Wortführer nach Beendigung des Festmahls aufgefordert hatte, eine „nette Causerie“ über den Unterschied der Zeit ehmals und jetzt zu halten. Ich sah hilfesuchend meinen Freund B.H. an, der in seiner verwitterten Leutnantsuniform aus dem Ersten Weltkriege neben mir stand. Dieser erbleichte. Ich aber hielt mich nicht zurück zu sagen:
„Haben wir nicht einen Mann unter uns, der im Ersten Weltkrieg zum Offizier aufgestiegen ist? Könnte er nicht unserm Monsieur Fiancé, der ganz seltsamerweise verschollene Kriegsgeschichte zum Vergnügen treibt, viel anschaulicher Kunde und Schilderung geben als ich, der ich ein sehr schlechter Soldat war und es mit Ach und Krach nur zum Sergeanten gebracht habe . . .“
„Halt, F.W.“, rief B.H. und hielt mir beschwörend die Hand vor den Mund, „ich hätte nicht angenommen, daß du dich zu mir so unfreundschaftlich, ja so unfair betragen würdest. Gut, es ist wahr, ich bin ein Wiedergeborener. Aber ich bin viel mehr als das, ich bin ein Zeitgenosse dieser Herrschaften, und zwar voll und ganz. Ich lehne ab, ich refüsiere, ja ich protestiere leidenschaftlich dagegen, daß man meine durchaus zeitgenössische Person mit irgendwelchen schimpansischen Affären und stinkenden Barbareien der Vorzeit in Verbindung bringt Und du dürftest das am wenigsten tun, F.W. . . .“
„Aber mein lieber alter Freund“, fiel ich schuldbewußt und kleinlaut ein, „warum gehst du dann in dieser feldgrauen Uniform herum, anstatt dich deinen verehrten Zeitgenossen auch gewandlich anzugleichen?“
B.H. zog die verblichene Militärkappe mit nervöser Hand tief in die Stirn, damit man so wenig wie möglich von seinem schwarzen Haar wahrnehme, das auf keine Weise wegzupraktizieren war.
„Ich trage diese unangenehme Verkleidung nur um deinetwillen“, sagte er leise, „damit du dich etwas heimischer fühlst und nicht etwa an Fremdheit erkrankst.“
Also doch, dachte ich, der Gute! Er wollte mich bei unserer Wiederbegegnung nicht in Schrecken versetzen. Vielleicht aber hätte ich ihn auch gar nicht erkannt, wenn er in der verwischten Nacktheit oder in der gewählten Schleierraffung der Zeitgenossen vor mir aufgetaucht wäre. Jedenfalls, er hat mich sofort erkannt, sogar als ich noch unsichtbar war. Das beweist, daß er der bessere Freund ist als ich. — Ich begriff plötzlich, daß ich mich in der Tat unfair benommen hatte, ihn mit unserer gemeinsamen Vorzeit allzusehr zu belasten. B.H.s, des Wiedergeborenen, Sinnen und Trachten mußte ja dahingehn, der gegenwärtigen Epoche und menschlichen Gesellschaft ungeteilt anzugehören. Es war dies freilich ein Sinnen und Trachten, das niemals voll sein Ziel erreichen konnte. Kein Wiedergeborener konnte ja einer bestimmten Gegenwart ganz und gar angehören. Ich verstand plötzlich das Problem noch tiefer. B.H. war der geistige Mensch in Person. Was aber ist der geistige Mensch anders als einer, der durch mehrere Wiedergeburten hindurchgegangen ist? Der geistige Mensch kann daher in keinem Zeitalter wirklich zu Hause sein, und will er sich nur halbwegs einrichten, ist er gezwungen, Zugehörigkeit zur jeweiligen Menschheit zu simulieren. Ich versuchte schnell, meinen Fehler gutzumachen und die allgemeine Aufmerksamkeit von B.H. abzulenken. Darum schloß ich die Augen und seufzte bereitwillig:
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