„Die wird sich kaum bieten.“
„Aber du versprichst es trotzdem?“
„Natürlich verspreche ich es.“
Einen Augenblick zögerte der Yankee, als wisse er nicht recht, in welche Worte er seinen Wunsch einkleiden solle. „Ich habe dir erzählt, dass mein Vater eines der grossen Tiere in Wall Street ist; er hat mehr Geld als er verbrauchen kann und doch jobbert er für sein Leben gern ein bisschen.“
„Und du willst ihm von mir als abschreckendem Beispiel erzählen?“
„Das nicht. Aber der Sohn schlägt dem Vater nach.“
„Nun so spekuliere doch, du kannst es dir ja leisten.“
„Das will ich auch; und von dir möchte ich, dass du mir einen guten Tip sofort schickst, wenn er dir in die Hände fällt.“
„Mir? Du machst dich wohl über mich lustig?“
„Beim Himmel, nein! Du hältst das für unmöglich, ich halte es für sehr wahrscheinlich. Denk an dein Versprechen. Du hast gar keine Verantwortung, wir handeln ganz nach eigenem Ermessen, und wenn wir gewinnen, erhältst du die Hälfte des Gewinns.“
„Aber ich —“
„Ich weiss schon, du willst das Geld nicht nehmen,“ unterbrach ihn der Freund. „Aber da nach deiner Ansicht auch nicht die geringste Aussicht für dich besteht, brauchen wir uns ja nicht um des Kaisers Bart zu streiten.“
„Na meinetwegen, ich nehme die Hälfte des ersten Sacks voll Gold, den du auffindest.“
„Den du uns aufzufinden hilfst,“ verbesserte sein Freund lächelnd. „Der Handel gilt, vergiss es nicht.“
Verloren und gefunden
Der Plan gelang vollkommen. Armitage brachte nach und nach seine Habseligkeiten in Thorntons Wohnung. Am letzten Abend nahmen die Freunde ein üppiges Abschiedsdiner im Savoyhotel ein, wo Thornton jetzt wohnte. Beide waren in grosser Aufregung über das Abenteuer und sprachen bis tief in die Nacht miteinander. Armitage hatte das Gefühl, einen seltsamen Traum zu träumen, von dem er im nächsten Augenblick erwachen würde, aber Thornton spielte seine Rolle mit vollendetem Gleichmut. Am andern Morgen tauschten sie die Kleider. Thornton rasierte sich, nahm herzlichen Abschied von seinem Freund und fuhr fort, um den Zug nach Liverpool zu erreichen. Phil Armitage mit Schnurrbärtchen und kurzem Spitzbart blieb in der Verwandlung als Cyril Littledale zurück.
Armitage wunderte sich im stillen, weshalb der ruhelose Yankee, der gewöhnlich seinen Zug im allerletzten Moment erreichte, sich heute so viel Zeit genommen hatte. Thornton war seinen Fragen ausgewichen und hatte von notwendigen Abschiedsbesuchen gesprochen, und niemals kam Phil eine Ahnung von dem übermütigen Streich, den der unverwüstliche Yankee vorhatte.
Als der Hansom um die Ecke bog, klopfte Thornton mit dem Griff seines Regenschirms gegen die Klappe, und als in dieser ein breites, rotes Gesicht erschien, gab er Aby Lammans Adresse an.
Mit grosser Wärme empfing der sehr überraschte Aby seinen lieben Freund, und Armitages zweites Selbst gab ihm nichts nach an Herzlichkeit.
Es stellte sich nun heraus, dass Lamman fast das Herz gebrochen war aus Verzweiflung über des Freundes Verschwinden. „Ich fürchtete schon,“ sagte er — „ich will lieber gar nicht sagen, was ich mitunter fürchtete. Nachts konnte ich nicht schlafen aus Sorge um dich. Mich quälte immer der Gedanke, dass ich es doch schliesslich war, der dir diese Grube gegraben, wenn auch in bester Absicht, und ich fühle mich verpflichtet, dir herauszuhelfen. Sage mir bitte, ob ich irgend etwas für dich tun kann. Die dumme Sache hat mich ja allerdings selbst recht hart getroffen, aber —“
Der andre schnitt ihm die Rede ab mit der Erklärung, dass er noch am selben Nachmittag nach New York abreisen wolle.
Lamman tat erstaunt und entsetzt; er meinte wieder und wieder, es sei doch zu hart, das alte Leben und die alten Beziehungen so gänzlich aufzugeben; er versuchte ihm den Gedanken auszureden und wurde um so eifriger, je fester entschlossen er den falschen Armitage fand. Schliesslich sah er ein, dass es so wohl am besten sei, und bot dem Freunde grossmütig ein Darlehen an, das aber dankend abgelehnt wurde.
„Weisst du,“ rief er plötzlich liebenswürdig, „ich hätte die grösste Lust, die Bude hier zuzumachen und dich nach Liverpool zu begleiten. Und ich tue es wirklich.“
Die beiden reisten zusammen zweiter Klasse, denn die jetzigen Verhältnisse des armen Armitage erlaubten nicht den Luxus der ersten. Sie assen zusammen, aber Armitage bestand darauf, seinen Anteil zu bezahlen. Lamman ging mit an Bord und schwatzte mit ihm, bis das mächtige Schiff von der Kaimauer losmachte, und nicht einen Moment zweifelte er, dass er dem wahren Armitage Lebewohl gesagt habe.
Thornton führte seine Rolle bis zu Ende durch, winkte ihm, an die Reeling gelehnt, noch Abschiedsgrüsse zu und belohnte sich dann im Rauchsalon durch einen guten Trunk für diese Leistung. „Wenn Armitage ebenso gut durchhält, so müssen wir siegen.“
Armitage wurde inzwischen auf dem Telegraphenbureau mit einem Jubel empfangen, der ihn zugleich überraschte und erfreute. Er fand bald heraus, dass er hier ein besonderer Liebling war. Sein Stellvertreter war ein mürrischer, ungeschliffener Mensch, und sowohl der Postmeister als seine Tochter waren hoch erfreut, den immer gut gelaunten Yankee wieder zu haben. Des jungen Mädchens Willkomm schien Armitage sogar, in Anbetracht der fernen Irene, ein wenig reichlich herzlich.
Merkwürdig rasch wird ein neues Leben zur Gewohnheit und läuft dann wie ein Rad im Uhrwerk glatt und gleichmässig dahin. Nach acht Tagen war Armitage völlig vertraut mit seinen neuen Pflichten, und nach einem Monat war ihm diese Tätigkeit zur zweiten Natur geworden. Seine Arbeit war leicht, sein Zimmer hatte er ganz für sich, und es gab Stunden, wo er, völlig ungestört durch abgesandte oder hereinkommende Telegramme, lesen konnte. Als unabhängiger Mann, als er noch völlig frei über seine Zeit verfügte, hatte er kaum hin und wieder mal eine Stunde Zeit gefunden zu ernster Lektüre. Als Telegraphenbeamter las er durchschnittlich vier bis fünf Stunden am Tag. Anfangs hatte die ungewohnte, gleichmässige Arbeit, wie ein narkotisches Mittel, die bittere Verzweiflung über seine unglückliche Liebe eingelullt, aber nach einiger Zeit hörte diese Wirkung auf, wie ja auch die betäubenden Mittel durch steten Gebrauch ihre Kraft verlieren, und in ihm erwachten Liebe und Sehnsucht mit schneidendem Schmerz, gerade wie ein Kranker aus tiefem, betäubendem Schlaf zur alten Qual erwacht. Vor Wochen schon hatte er von dem plötzlichen Tode des alten Lee gelesen, mit tiefstem Mitleid für die Tochter, doch ohne Hoffnung für sich selbst. Er widerstand damals der Versuchung, zu ihr zu gehen oder ihr zu schreiben, denn er wollte den Vorwurf ihres Vaters, als Bettler ihre Hand zu begehren, nicht rechtfertigen, fühlte er doch, dass er, sobald er in ihre liebevollen, vorwurfsvollen Augen blickte, schwach werden würde. Aber der Gedanke an die Geliebte quälte ihn von Tag zu Tag mehr, störte ihn in seiner Arbeit, machte ihn ruhelos und raubte ihm den Schlaf.
Ohne Interesse schlug er eines Tages seine Lieblingszeitschrift auf. Mit leisem Erbeben, in das sich die seltsamsten Gefühle mischten, fand er auf dem Titelblatt, wo er noch nie eine Anzeige gesehen, folgende Ankündigung:
Gefunden. „Kleines goldenes Medaillon mit Buchstaben P. A., enthaltend Damenporträt. Gute Belohnung erwartet. Persönliche Anfrage erbeten.“
Sein Medaillon mit ihrem Bild! Diese Anzeige rief ihm den Tag ins Gedächtnis, an dem er es verloren hatte, den Tag, an dem er ihr seine Liebe gestand. Jahre schienen seitdem vergangen. Häufig hatte er das kleine Ding vermisst, und die Hoffnung, es wieder zu erhalten, erfüllte ihn mit grosser Freude.
Seit seiner Ankunft hatte er dem jungen Mädchen, das sein amerikanischer Freund so sehr gelobt hatte, das Telegraphieren beigebracht, und sie freute sich stets, wenn sie seinen Platz an dem Apparat einnehmen durfte. Fünf Minuten, nachdem er die Anzeige gefunden, fuhr er in einem Hansom so rasch wie möglich nach Queen Anne Mansions, der in der Anzeige angegebenen Adresse.
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