Nun klopfte es laut an die Terrassentür und Karl Neubrunn erschien mit zwei Champagnerflaschen unter dem Arm.
„Habt ihr euch nun des Leids gesättigt und seid ihr imstand, ein vernünftiges Wort zu hören“, begann er. „So vernehmt: Pomona richtet soeben ihren Risotto an — sie hat Rigalia darein gewiegt und ihn mit Curry gewürzt — und zwei Wildenten drehen noch am Spieß. Was den italienischen Salat betrifft, so habe ich selbst seine Zubereitung überwacht, und damit ist alles gesagt. Vom Nachtisch nenne ich nur ein Wort: Gorgonzola. Frau Pomona und ich bitten um das Erscheinen unsrer Gäste. Ihr Bengel sitzt mit bei Tische, also sind wir zu fünfen. Fräulein Lydia hat uns zwar noch nicht zugesagt, aber ihre Zusage wurde als sicher angenommen. Pomona setzt uns ihren Pomino vor — Verzeihung für das Wortspiel — und den Champagner trinken wir auf der Terrasse. Ich mußte ihn auf deine Rechnung schreiben lassen, denn sie wollten mir nicht borgen. Aber du darfst nicht erschrecken, Paul, morgen wird er unfehlbar bezahlt, ich erwarte Geld.“
Paul lachte, Lydia lachte ebenfalls und eilte hinab, um der Wirtin beim Anrichten behilflich zu sein.
Das Essen, das auf Pomonas feinstem Porzellan serviert und mit ihrem ältesten Wein begossen wurde, brachte eine sanft gehobene Stimmung, die auf die beiden Kummervollen wie der erste milde Sonnenblick nach schwerem Hagelschlag wirkte, sie sahen sich leise um, was ihnen noch an Hoffnungen geblieben sei. Karl Neubrunn quoll über von Laune und Liebenswürdigkeit, wie immer, wenn er in Gesellschaft und bei gutem Wein saß. Die Räume wurden weiter, in denen er sich befand, man fühlte sich mit ihm in freier Luft; es schien, als müsse nun gleich ringsum alles zu grünen und zu blühen beginnen. Seine Nachbarin Lydia, deren gedrücktes Aussehen ihn erbarmte, überhäufte er mit den ritterlichsten Aufmerksamkeiten, wollte sie immer selbst bedienen und machte sie dadurch zum Mittelpunkt der Gesellschaft. Die Hausfrau ging schnell auf diesen Ton ein, indem sie recht als Italienerin damit anfing, Lydias körperliche Vorzüge herauszustreichen, sie lobte auch ihr schönes Italienisch sowie ihre Geschicklichkeit in häuslichen Dingen und wunderte sich, daß man bei so großer Jugend schon so viel Reife und Haltung besitzen könne.
Dem anmutigen, verschüchterten Geschöpf ging das Herz auf, endlich auch einmal etwas zu bedeuten. Sie war sehr hübsch und schien auf den ersten Blick noch ganz jung, aber ihren überschlanken Formen fehlte schon die Rundung, und ihr Gesicht hatte einen heimlich leidenden Ausdruck, wie eine Rose, die seit mehreren Tagen im Wasser steht: sie bewahrt noch ihren Duft und Farbenschmelz und ist scheinbar unverändert, dennoch fühlt man ihr an, daß sie beim ersten Stoß zerblättern kann.
Jetzt aber färbte sich ihr blasses Gesicht mit einer sanften Röte, die ihr lieblich stand, und ihre schönen dunkeln Augen begannen zu glänzen. Paul Andersen war glückselig über den Erfolg der Geliebten, und es fiel allgemein auf, daß die beiden einander ähnlich sahen; ohne die leuchtenden Blicke, die zwischen ihnen hin und her gingen, hätte man sie für Geschwister halten können.
Nur Karl Neubrunns Unart, immer deutsch zu reden, ohne Rücksicht auf die Wirtin, verdarb dem zartfühlenden Andersen diesen schönen Abend ein wenig. Er trat alle Augenblicke dem Freund auf den Fuß und flüsterte: „Sprich doch italienisch!“ — aber dieser achtete nicht darauf, und Pomona, obgleich sie kein Wort verstand, hing mit gespannter Aufmerksamkeit an Neubrunns Mund und lachte fröhlich mit, wenn die andern lachten.
Vor allem war Neubrunn bemüht, die gute Lydia über den Geldverlust zu trösten, denn der moralische Gewinn, den sie aus diesem Vorkommnis ziehen werde, sei groß genug, um sich mit dem Schaden auszusöhnen.
„Es ist leider die natürliche Folge des unbedachten Geldanlegens“, sagte er, „man sollte dieser häßlichen Versuchung immer widerstehen, das ist nur gut für Menschen, die einen angeborenen Beruf zum Reichwerden haben. Ich selber hatte auch einmal eine kapitalistische Anwandlung, aber eine innere Stimme trieb mich, mein eingezahltes Geld schon des andern Tags von der Bank zurückzuholen und damit auf Reisen zu gehen, denn nur das Geld, das man aufbraucht, ist wahrhaft sicher angelegt.“
Pomona schien hier etwas verstanden zu haben, sie nickte mit dem Kopf und schaltete den Spruch ein: „Uomo allegro, Dio l’ajuta.“
Neubrunn beglückwünschte sie eifrig zu diesem Fund und hatte diesmal sogar die Gefälligkeit, ihr seine Worte zu verdolmetschen.
„Es liegt die tausendjährige Weisheit eines sinnenfrohen Volkes in diesem Sprichwort“, sagte er. „Der trübsinnige Germane hat ein anderes erfunden, das so ungefähr das Gegenteil ausdrückt: ‚Wenn es dem Esel zu wohl wird, so geht er aufs Glatteis tanzen‘.“
„Ach“, fuhr er mit einem Blick auf Paul Andersen fort, „es gibt manchen Esel, dem es niemals wohl wird und der doch die Beine bricht; das, meine Freunde, ist der tragische Widersinn der Dinge! Ich hoffe“, setzte er schnell hinzu, „daß in diesem aufgeklärten Kreise kein Vorurteil gegen den edlen Vierfüßler besteht und somit meine Worte niemand verletzen können.“
„Nicht im geringsten“, antwortete Andersen. „Ich war von je der traurige Esel mit den hängenden Ohren, der das Glatteis meidet und auf sicherer Chaussee zu Schaden kommt.“
Karl Neubrunn erwiderte wohlwollend: „Es ist eine deiner besten Eigenschaften, daß du dich deiner Tugend nicht überhebst, sondern sogar hin und wieder so erleuchtet bist, sie für eine Lücke deines Wesens zu erkennen. Auch hast du die Entschuldigung des schwächlichen Beispiels, weil in deiner Heimat alle Menschen Tugendbolde sind. Darum: ego te absolvo.“
„Und nun“, fuhr er fort, „da wir bei diesem Thema sind, bitte ich um Erlaubnis, den anwesenden Freunden meine Lebensanschauung auseinanderzusetzen. Für mich zerfällt die Menschheit seit langem in zwei Hauptgattungen: Die Schuster und die Schneider.“
Andersen und Lydia starrten ihn verwundert an, und Pomona bat um eine Übersetzung, was den Sprecher nun bewog, halb deutsch und halb italienisch fortzufahren.
„Ja, die breitspurigen, weitherzigen, sinnenfrohen, die Temperamentsmenschen, die Schustermenschen, und die feinspurigen, spitzigen Schneider, die klugen, oft superklugen, spekulierenden, weit ausspähenden, rechnenden, auch sich verrechnenden, aber ebensooft gewinnenden Schneider. Diese beiden Naturen führen seit Beginn der Welt einen großen, wechselvollen, nie ausgefochtenen Krieg, in dem das Glück hinüber- und herüberschwankt. Fast alle großen geschichtlichen Ereignisse sind in ihrem letzten Urgrund zurückzuführen auf den heimlichen Kampf der Schuster und der Schneider, denn diese hassen sich mit dem tödlichsten Haß, sie müssen sich befehden, wenn auch eine Mutter sie geboren hat, weil ihre beiden Naturen einander aufheben. Und wir alle haben keine Wahl, wir müssen entweder Schuster oder Schneider sein.“
„Gibt es gar keine Ausnahmen?“ fragte Lydia schüchtern.
„Es gibt, aber mit diesen haben wir nichts zu tun, das sind die ganz Flauen und Unbedeutenden, die weder Fisch noch Fleisch sind, oder aber die Allergrößten und Begabtesten, die in sich den Schuster und den Schneider vereinigen, wie z. B. Napoleon, aber wie gesagt, diese gehen uns nichts an, es sind Über- oder Untermenschen. Der Normalmensch — homo sapiens — gehört stets in die eine oder die andere Klasse.“
„Erlaube mir nur“, begann Paul Andersen, aber Neubrunn legte sich breit über den Tisch und fuhr, ohne auf ihn zu hören, fort: „Ein glänzendes Beispiel: Marcus Antonius und Caesar Octavianus. Die antike Welt liefert wie immer die Typen am reinsten. Wer kann hier den Schuster und den Schneider verkennen, die beiden menschgewordenen Urgewalten, die um die Herrschaft des Erdballs streiten? Es war ein Ereignis von unergründlicher Tragik, als das Schustertum größten Stiles bei Actium unterlag. Ich weiß nicht, wie andere denken, ich für meinen Teil gäbe das ganze, aus tausend Lappen zusammengenähte Weltreich des Schneiderkaisers Augustus um eine Nacht in den Armen der Ägypterin.“
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