„Du bist immerhin schon auf der richtigen Fährte“, sagte Starr und blies den Rauch vor sich hin. „Es ist keine Verbrecherbande im üblichen Sinne, die diese Attentate organisiert hat. Wenn ich mich nicht täusche, steckt eine ganze Revolutionsarmee dahinter. Die vier ermordeten Waffenfabrikanten belieferten den ganzen Erdball mit Kriegsmaterial. Es besteht begründeter Verdacht, daß irgendeine Untergrundbewegung diese Fabrikbesitzer deshalb ermordet hat.“
„Und in welches Land weisen die Spuren? “ fragte Joe interessiert.
Starr zuckte die Schultern.
„Das weiß ich nicht. Ich hatte lediglich mit dem Fall O’Brien zu tun, und das war Maßarbeit. Die Burschen verstehen ihr Mordhandwerk, darin besteht kein Zweifel. Der einzige Hinweis, den wir erhielten, war der graue Chevrolet. Denselben Wagen hatte man in Captown gesehen, als Al Costello ermordet wurde. Sonst wissen wir gar nichts. Es gibt keine Spuren, keine Zeugen — nichts. Nicht einmal in der New Yorker Unterwelt hat man eine Ahnung, wer dahintersteckt, und das will schon etwas heißen.“
„Weiß man denn, wohin in letzter Zeit Waffen geliefert wurden? “ wollte Joe wissen.
„In mindestens zehn Staaten“, klärte ihn Starr auf. „Nach Südamerika, nach Nordafrika, dem Vorderen Orient, Hinterasien — wohin du willst. Die meisten Lieferungen scheinen allerdings in letzter Zeit nach der Dominikanischen Republik gegangen zu sein, und zwar haben alle Waffenfabrikanten dorthin geliefert.“
„Die Burschen müssen Schiffe benutzt haben“, meinte Joe nachdenklich. „Ist darüber etwas bekannt? “
„Ist es“, versicherte Tom. „Schließlich haben wir in der Zwischenzeit auch nicht gerade geschlafen. Zur Zeit liegt ein dominikanischer Frachter namens Tyrrhos an Pier 613. An Bord befindet sich eine Ladung Schrotpatronen und Traktorenersatzteile. Das Schiff gehört O’Brien.“
„Warum laßt ihr den Kahn nicht umkrempeln? “ wollte Joe wissen.
„Abwarten“, sagte Tom. „Wir wollen erst genau über die Dinge Bescheid wissen.“
„Vielen Dank für den Tip!“ Joe erhob sich. „Ich werde mir das Schiff mal etwas näher ansehen.“
„Meinen Segen hast du“, versicherte Starr achselzuckend. „Solltest du ein paar Regimenter Marineinfanterie brauchen, um dich heraushauen zu lassen, ich kenne zufällig ein paar Generäle von früher her und lege gern ein gutes Wort für dich ein.“
„Vielen Dank“, wehrte Joe ab, „aber ich glaube nicht, daß ich die Armee nötig habe.“
„Abwarten“, meinte Starr. „Hier geht es um große Beträge, vergiß das nicht.“
Jo stieg, vor sich hinpfeifend, in seinen 190 SL und fuhr nach Hause. Bis zur Dunkelheit waren es noch vier Stunden, in denen er nichts tun konnte. Er kaufte sich unterwegs einen Stoß Zeitungen, um sich über die Revolutionen und Kleinkriege der letzten Zeit einigermaßen zu informieren.
In seiner Wohnung drehte er das Radio an, stellte die Whiskyflasche in Reichweite und legte die Beine auf den Tisch. So lag er ungefähr zwanzig Minuten, bis die Türklingel ging. Da er um diese Zeit niemanden erwartete, wunderte er sich darüber.
Er öffnete die Korridortür. Es war niemand zu sehen. Mißtrauisch blickte er sich um.
Ein plötzliches Geräusch auf der Treppe unter ihm ließ ihn nach unten sehen. Jemand hatte die Lifttür geöffnet. Ein Arm schob sich hindurch.
Dann geschah alles blitzschnell. Eine kurze, ruckartige Bewegung, und ein blinkender Metallgegenstand wurde nach oben geschleudert.
Jo brauchte nicht erst darüber nachzudenken, worum es sich hier handelte. Er hatte, als er bei der Marineinfanterie in Korea war, mehr als genug von diesen verteufelten Dingern gesehen und wußte, wie er zu reagieren hatte.
Die Eierhandgranate hatte den Boden noch nicht berührt, da schoß sein Fuß nach vorn und schleuderte sie in den Treppenschacht zurück. Dann warf sich Joe zurück. Sekundenbruchteile später erschütterte die Explosion das Haus. Kalk rieselte von den Wänden, die Treppe erzitterte.
Ohne sich zu besinnen, stürmte Barry nach unten, während der Lift mit seinem Gegner abwärtssauste. Als er den untersten Treppenabsatz erreicht hatte, hörte er das Aufheulen eines Automotors und das Geräusch eines sich mit hoher Geschwindigkeit entfernenden Wagens.
Als er die Haustür aufriß, sah er einen grauen Chevrolet um die Ecke Gun Hill Road — Wayne Avenue biegen. Er hechtete in seinen SL und jagte dem Wagen nach. An der Biegung war nichts zu sehen. Er fuhr einige Straßen weiter, ohne etwas von dem grauen Chevrolet zu entdecken. Nachdem er den Häuserblock einige Male umrundet hatte, kehrte er langsam wieder zurück.
Er war davon überzeugt, daß die Burschen irgendeinen Trick hatten, mit dem sie den Wagen verschwinden ließen. Er würde ihn herausfinden müssen. Nachdenklich blieb er vor den Trümmern des halbzerstörten Treppenhauses stehen. Die Bewohner der umliegenden Häuser waren zusammengelaufen.
Als Joe abends zurn Hafen fuhr, hatte er das Gefühl, jetzt aufdrehen zu müssen, bevor die Burschen zu dreist wurden. Er ahnte allerdings nicht, daß diese Eierhandgranate nur ein bescheidener Auftakt zu einem wilden Abenteuer sein sollte.
Er stellte den Mercedes in der Nähe der Pier 613 ab und schleuderte zu Fuß weiter. Die Pier war menschenleer. Schwarz und etwas verwahrlost lag die „Tyrrhos“ da, wie ein Seelenverkäufer aus der alten Zeit.
Fünf Minuten später war Barry an Bord.
Sein Weg zu den Laderäumen führte ihn an der dunklen Kapitänskabine vorbei. Von der Besatzung schien mit Ausnahme einiger Matrosen, die mit nacktem Oberkörper an Beck saßen und pokerten, niemand an Bord zu sein.
Die Laderäume waren mit großen, länglichen Kisten vollgestapelt. Ein kleinerer Raum enthielt flache, quadratische Kisten, in denen sich vermutlich Munition befand. Ihn interessierten jedoch vor allem die anderen Kisten.
Er nahm seinen Kugelschreiber mit der eingebauten Taschenlampe und beleuchtete einen der Ladezettel.
„O’Brien Company“, las er. „Traktorenersatzteile“.
Mal sehen, was für Traktoren damit gemeint sind, dachte er und suchte ein Brecheisen. Es bereitete ihm einige Mühe, eine der massiven Kisten aufzubrechen. Dann hatte er es geschafft und hob den Deckel an. Er riß das gelbe Ölpapier auf und leuchtete hinein.
Sieh mal einer an, dachte er und grinste. Ein echtes Maschinengewehr. Er beugte sich darüber und untersuchte die Waffe genauer.
Es war ein deutsches MG 42, jenes Maschinengewehr, das seit dem Krieg von allen Ländern der Erde nachgebaut wurde. Schwarz schimmerte der gut geölte Lauf.
„Bestimmungsland Dominikanische Republik“, laa er.
In diesem Augenblick hörte er hinter sich ein Klicken, das sich wie das Entsichern eines Revolvers anhörte. Seine Hand fuhr zur Schulterhalfter, aber es war schon zu spät.
Die Deckenbeleuchtung flammte auf, und eine Stimme mit starkem spanischem Akzent sagte:
„Geben Sie sich keine Mühe, Privatdetektiv Joe Barry, Sie haben nicht mehr Chancen als ein Ventilator gegen einen Wirbelsturm.“
Langsam drehte sich Joe um.
„Hübsch die Hände hoch“, kommandierte die Stimme. „Und das Gesicht zur Wand. Glauben Sie nicht, bei uns einen Ihrer faulen Tricks anbringen zu können.“
Jo wandte sein Gesicht wieder zur Wand. Er hatte genug gesehen. Einen massigen Körper mit einem Kopf, der von einem Walroß zu stammen schien.
Jetzt ertönten Schritte hinter ihm. Jemand tastete ihn nach Waffen ab und nahm seine Automatic weg. Dann durfte er sich umdrehen.
Der Mann, der ihn angesprochen hatte, grinste ihn breit an. Sein schwarzer Bart gab ihm das Aussehen eines fetten spanischen Kneipenwirtes.
„Ich bin José“, stellte er sich vor und deutete auf die beiden anderen Männer, die Barry jetzt entdeckte. „Das da sind Carlos und Tony. Carlos ist Spezialist für Sprengungen, und auch Tony ist Spezialist. Er spielt besser mit der Maschinenpistole als auf dem Klavier.“
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