Abbildung 2: Das Erdsystem im Anthropozän, vereinfachte Darstellung. Zu den klassischen Natursphären ist eine weitere hinzugekommen, die Anthroposphäre, als Gesamtausdruck aller menschlichen Aktivitäten und ihrer Hinterlassenschaften. Alle Sphären, also auch die Anthroposphäre, interagieren miteinander (für eine aktuelle wissenschaftliche Darstellung siehe Steffen et al. 2020, Fig. 3).
Box 1: Technosphäre:
Eine ganz besondere Rolle im menschlichen Tun spielt das Ausmaß der Nutzung nicht nachwachsender Ressourcen. So verwendet der Mensch nicht nur fossile Energieträger, deren Verbrennung den anthropogenen Klimawandel bedingen, sondern auch Unmengen anderer Rohstoffe, wie Sand, Kalk, Eisenerze oder seltene Erden, um daraus Gebäude, Infrastrukturen, Geräte, Maschinen und Fahrzeuge zu produzieren, deren Erstellung und Betrieb dann wiederum Energie benötigen. Eine wissenschaftliche Abschätzung der Anthropocene Working Group besagt, dass die Menschheit bislang die unvorstellbare Menge von 30 Billionen Tonnen an „Technosphäre“ hergestellt hat. 40 % dieser Technosphäre befinden sich in und unter den Städten dieser Welt (Zalasiewicz et al. 2017a). Andere technische Produkte, wie insbesondere Kunststoffe, verteilen sich über die ganze Erde. So hat die Menschheit insgesamt mehr als 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoffe erstellt (Geyer et al. 2017). Während die Vorkriegsproduktion minimal war und 1950 erst etwa 1,5 Millionen Tonnen hergestellt wurden, stieg die jährliche Produktion auf nunmehr über 358 Millionen Tonnen 8 , was schon fast der Biomasse aller lebenden Menschen entspricht (Zalasiewicz et al. 2016, Leinfelder & Ivar do Sul, 2019). 2,5 Milliarden Tonnen des insgesamt produzierten Plastiks sind immerhin derzeit noch in Gebrauch, weltweit betrachtet wird allerdings nur ein sehr kleiner Teil recycelt oder verbrannt, während etwa 4,9 Milliarden Tonnen, also ca. 60 % allen bislang produzierten Plastiks in die Umwelt gelangt sind, sei es in langfristig nicht dauerhafte Deponien oder direkt in die Böden und Gewässer auf Land und im Meer (Geyer et al. 2017). Bau und Betrieb technischer Maschinen aus Naturressourcen ermöglichen wiederum, andere Ressourcen, beispielsweise Phosphate, abzubauen und diese in Form von Kunstdüngern auf landwirtschaftliche Flächen auszubringen oder für die Nahrungsmittelproduktion in anderer Weise zu verwenden. Eine neuere Studie trug die verfügbaren Daten zusammen: Zwischen 1910 und 2005 verdoppelte sich hiernach der menschengemachte Anteil an der pflanzlichen Nettoprimärproduktion (NPP) von 13 auf 25 % der globalen Vegetation, was auch eine Verdoppelung des Eintrags an reaktivem Stickstoff und Phosphor in die Umwelt bewirkte sowie gewaltige Anteile an fossiler Energie für die landwirtschaftliche Produktion erforderte. 2014 wurden 225 Millionen Tonnen fossiler Phosphate abgebaut, Tendenz stark steigend. Die Szenarien für den Anteil des Menschen an der gesamten pflanzlichen Primärproduktion bis zum Jahr 2050 belaufen sich auf 27 bis 44 % NPP (Williams et al. 2016, auch für weitere Literatur. Siehe auch Box 3).
Wie weit sich der Zustand des neuen Erdsystems von dem des Holozäns entfernt, wird von unserem zukünftigen Handeln abhängen (Steffen et al. 2016, 2018, 2020). Hierbei geht es vor allem um die Beherrschbarkeit und Anpassungsfähigkeit der Menschheit an die neuen Bedingungen unter Wahrung freiheitlicher Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaften. Daher macht es einen immensen Unterschied für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften, ob planetarische Grenzen ( Abb. 3), wie etwa die 2°C-Leitplanke, eingehalten werden oder nicht.
Um die menschlichen Eingriffe und die damit verbundene Umweltproblematik zu erfassen, ist es sinnvoll, die Problemkreise zuerst sektoral zu analysieren. Hierbei geht es insbesondere um das Ausmaß der Quantitäten und um die Frage, wie weit man sich jeweils planetarischer Stabilitätsgrenzen (Rockström et al. 2009, Steffen et al. 2015a) angenähert oder diese sogar schon überschritten hat ( Abb. 1, Abb. 3). Von besonderer Bedeutung ist dabei auch die „Große Beschleunigung“, der erdsystemare Sektoren durch die entsprechende Akzeleration sozioökonomischer menschlicher Aktivitäten seit den 1950er-Jahren unterliegen (Steffen et al. 2015b). Diese immensen Beschleunigungen hebeln die natürliche Anpassungsfähigkeit der belebten sowie der unbelebten Umwelt aus und lassen damit auch keinen „Trost“ durch die Daten der Erdgeschichte zu (siehe Abschnitt 1). Insgesamt stellt sich zudem die schwierige wissenschaftliche Frage nach den Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Problemsektoren und damit auch des Verhaltens von Kippelementen (Lenton et al. 2008, Steffen et al. 2018) ( Abb. 4).
Abbildung 3: Planetarische Grenzen mit Hervorhebung des Anteils des Ernährungssektors. Planetarische Grenzen nach Steffen et al. (2015a), vereinfacht, Ernährungssektor sowie Ergänzung des Aerosol-Sektors nach Meier (2017)
Wie wird die Menschheit nun auch zur geologischen Kraft? Dies untersucht die geologisch-stratigraphische Ebene des Anthropozän-Konzepts . Ein Blick auf den historischen Ablauf ist erhellend. Natürlich haben sich die erdsystemaren Einflüsse durch die Menschheit graduell aufgebaut (vgl. Williams et al. 2016, Zalasiewicz et al. 2019a): So war bereits der frühe Mensch, wie auch jeder andere Organismus, ein biologischer Faktor, denn schon allein durch seinen Stoffwechsel war er in die Erdsystemkreisläufe integriert und hat sie – wenn auch in sehr kleinem Umfang – mit beeinflusst. Sobald jedoch Werkzeuge wie Faustkeile und Speere sowie der Gebrauch des Feuers dazukamen, war der Einfluss möglicherweise schon so groß, dass das Aussterben von Großsäugetieren zu und nach Ende der letzten Eiszeiten schon durch ihn mitbedingt war. Als sich Menschen in der Neolithischen Revolution niederließen und Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung betrieben, waren die Einflüsse durch die Landnutzung, ggf. auch auf die Atmosphäre (etwa rodungs- und reisanbaubedingte Entwicklung von Treibhausgasen), bereits deutlich höher – der Mensch wurde zum „geographischen Faktor“. Eine Hypothese besagt, dass die Eroberung Amerikas durch Europäer, welche mit dem Einschleppen von Krankheiten und der Ermordung großer Teile der indigenen Bevölkerung einherging, zu einer vorübergehenden natürlichen Wiederbewaldung früher gerodeter Gebiete und damit zu mehr Kohlenstoffspeichern führte, was als kleiner atmosphärischer CO 2-Rückgang in Eiskernen messbar sei (Ruddimann et al. 2016, Ruddimann 2018, siehe jedoch Zalasiewicz et al. 2019b). Dies kehrte sich wieder um, als Jagd und Fallenstellerei der ersten europäischen Siedler durch immer mehr Ackerbau und Viehzucht ersetzt wurden und dazu auch diese regenerierten Urwälder wieder abgeholzt wurden. Aber erst durch die Optimierung der Dampfmaschine durch James Watt Ende des 18. Jahrhunderts startete die Industrialisierung voll durch: Bergbau wurde großmaßstäblich möglich, zur Eisenverhüttung wurden weitere Wälder gerodet, später kam Kohle dazu, auf landwirtschaftlichen Flächen in den USA wurde auf riesigen Flächen Baumwolle angebaut, wozu Bäche und Flüsse reguliert wurden, um ganzjährig bewässern zu können und mechanische Webstühle anzutreiben. Eisenbahn- und Handelsschifffahrt wurden mit Dampfmaschinen betrieben und sehr rasch ausgebaut, die Industrialisierung beschleunigte sich in allen Bereichen immens (siehe Abschnitte 3.1.3, 3.2.2). Damit vergrößerte sich nicht nur die „geographische Kraft“ der Menschheit (vgl. ArchaeoGlobe Project 2019) – die Ausweitung der Industrialisierung legte auch die Grundlagen dafür, dass der Mensch zunehmend zur erdsystemaren Kraft wurde. Es dauerte aber noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, bis sich – insbesondere auch durch die Nutzung von Erdöl und Erdgas – diese Prozesse so beschleunigten, dass in allen Erdsystemsphären, darunter auch der Lithosphäre, neue Geosignale dauerhaft überliefert wurden. Die „Große Beschleunigung“ machte die Menschheit damit nicht nur zum „erdsystemaren Faktor“, sondern eben auch zum „geologischen Faktor“.
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