»Er ist über den Berg …«
»Man wird sehen, was mit dem linken Arm möglich …«
»Erst einmal müssen wir den Kreislauf stabilisieren …«
»Die Schmerzen sind am ganzen Körper …«
»Du wirst immer klarer im Kopf. Und realisierst immer mehr: ›Ach, Scheiße, es ist jetzt wirklich so.‹ So schlimm, so unwiderruflich schlimm. Zefix, der Arm ist weg – und er wird auch nicht mehr kommen.
Das Ausmaß wird deutlicher und deutlicher. Du hast jetzt echt ein Problem.«
Für den ungeduldigen Mann, der vor ein paar Tagen noch die Welt hätte einreißen können, ist es ein Martyrium. Da liegt er und denkt an den Arm, der ihm weggekommen ist.
Gerd Schönfelder mag es nicht, zu jammern. Wenn er sich vor dem Unfall ein Unglück eingefangen hat, hat er nicht lange geklagt. Er hat sich geschüttelt, nach vorne geschaut, seine Zukunft für sich hingebogen.
Es gibt einen Sportlerspruch für den Fall, dass etwas schiefgelaufen ist: Mund abputzen, weitermachen! Das heißt: Die blöde Geschichte abhaken, es werden bessere Tage kommen.
Nun liegt er da und kann sich kaum rühren. Er hat Schmerzen wie noch nie in seinem Leben. Der Arm ist ab.
Gerd reißt sich zusammen und versucht, positiv zu denken. Da gibt es ja noch die linke Hand, immerhin. Die steckt zwar im dicken Gips. Aber er spürt sie noch. Die ist ja da, die Hand. Die Nerven spielen ja Klavier in seinem Kopf. Das ist doch okay. Herrgott noch mal, nun ist das Unglück passiert, jetzt kann er es auch nicht mehr ändern.
Mund abputzen! Weitermachen!
Dann wechseln sie den Gips. Schönfelder schaut der Schwester zu, wie sie behutsam alle Verbände löst.
»Und da sehe ich, dass praktisch nichts mehr übrig ist. Nur der Daumen. Sonst ein Rest vom Handballen – und nix. Nichts. Nix mehr.
Nix – kann man sagen.
Der Daumen ist schwer verletzt, fixiert in einem Durcheinander von Eisen und Schrauben. Der sieht nicht gut aus, echt nicht. Das ist der nächste Schock.
Heftig. Dieses ungewohnte Bild. Das muss dein Hirn doch erst mal verarbeiten, dass das deins ist.
So schaust du also jetzt aus. Ein Arm weg. Ein Daumen und nix. Ein paar Tage vorher bin ich noch braungebrannt gewesen, kurz nach dem Urlaub. In bester Form. Ich bin voll im Saft gewesen, ein sportlicher Kerl. Und nun kann ich zusehen, wie die Muskeln von Tag zu Tag verkümmern, wie ich weniger und weniger werde. Ich bin nicht mehr braun, ich bin käsweiß. Alles, die Bräune, die Kraft, alles ist so schnell weg, als würdest du das Licht ausmachen.
Und dieser kaputte Daumen als Rest.
Ich bin so, bin so … so verstümmelt.«
Dazu kommt, dass Gerd Schönfelder von Hals bis Fuß ramponiert ist. Das Knie ist kaputt, am rechten Knöchel müssen die Ärzte reparieren.
Das Schmerzhafteste sind die Verletzungen am Gesäß. Mit der linken Seite ist Gerd auf einen Gegenstand geknallt. Könnte die Bahnsteigkante gewesen sein. Dabei ist der Ischiasnerv gequetscht worden.
Das linke Bein ist »von der Ansteuerung her total im Eimer«. Es droht ein Spitzfuß, weil die Muskeln die unteren Extremitäten nicht mehr bewegen. Gerd wird eine Plexusschiene angepasst, die den Fuß nach oben zwingt. Das muss sein, um die nächste Behinderung zu vermeiden. Folge der Schiene: Nach ein paar Tagen kann der Patient seinen Fuß nicht mehr nach unten drücken.
Die Schmerzen, die vom Ischias und vom Hintern ausgehen, sind kaum auszuhalten. Ein riesiger Bluterguss ist aus dem Fleisch geschnitten worden. Gerd liegt auf einem Spezialbett – doch das hilft nicht viel. Die vielen Schmerzmittel vernebeln den Kopf – aber nach einer Viertelstunde wirken sie nicht mehr gegen die Qualen.
Den Schmerz hat er in großer Intensität bis Weihnachten. Die ersten zwei Wochen ganz extrem, es wird mit der Zeit ein wenig besser, aber weh tut es Tag und Nacht.
Bier auf ärztliche Anweisung
Zwei Wochen liegt er in Erlangen. Nach zehn Tagen kann er sich leicht aufsetzen, er schafft es in den Rollstuhl. Er wiegt noch 57 Kilo, bei einer Größe von 1,85 Meter, vor dem Unfall sind’s 78 gewesen.
Er bekommt Fresorbin. Das schmeckt wie dicker Kakao. Einen Liter soll er hinunterwürgen, damit er wieder ein wenig Gewicht zulegt. Gerd graut es vor der Pampe, er kann das Gebräu nicht mehr sehen.
Arztvisite.
»Na, wie geht’s, Herr Schönfelder? Sie machen Fortschritte, Respekt. So einen wie Sie haben wir noch nicht gehabt. Jetzt müssen Sie wieder zunehmen, dann geht es auch bergauf.«
Schönfelder schweigt grimmig.
»Stimmt etwas nicht? Können wir was tun?«
Schönfelder meint: »Naa, passt schon. Wird schon wieder.« Er mag es nun mal nicht, wenn andere Mitleid haben. Außerdem ist er keiner, der sich beschweren würde.
»Sagen S’ schon, was ist es?«
»Ah, des Fresorbin, Herr Doktor.«
»Was ist damit?«
Es bricht aus ihm heraus: »Des kannst doch net saufen. Ich hab eh schon keinen Hunger, aber des Zeug verdirbt einem ja den letzten Appetit. Ich mag das nicht mehr trinken – und wenn ich’s trink, dann mag ich schon gar nichts mehr essen.«
»Ja, das verstehe ich. Aber wir müssen schauen, dass Sie wieder zu Kräften kommen. Auf was hätten S’ denn Lust?«
Schönfelder sieht den Arzt an. Ja, der meint es ernst mit seiner Frage.
»Also, wenn Sie es wirklich wissen wollen – auf ein Bier hätt ich Lust.«
»Patschbumm! Habe ich zwei Flaschen Bier an meinem Bett stehen.
Auf ärztliche Anweisung.
Ich trinke das Bier, es ist ein fränkisches Helles – und es passiert etwas.
Ich kann es nicht beschreiben.
Die ganze Zeit liegst du da und siechst dahin. Du kriegst so ein pappiges Zeug, das dich am Leben hält.
Aber ein Leben ist das ja nicht.
Jetzt läuft mir das Bier die Gurgel runter. Der Alkohol beamt mich nieder, klar.
Ich schlafe ein, wache auf, weil die Blase drückt.
Der Pfleger, den ich rufe, besieht sich den Katheter und erklärt, alles ist okay. ›Nein, das kann nicht sein, sonst hätte ich nicht diesen Druck.‹ Er widerspricht noch einmal. Ich beharre, dass etwas nicht in Ordnung sein kann. ›Alles in bester Ordnung‹, sagt der Mann. Na gut, dann lasse ich’s halt laufen.
Er ärgert sich über die Sauerei. Das Bett muss sauber gemacht werden, ich muss neue Wäsche bekommen, man muss mich umbetten. Er ist sauer.
Ich auch.
Nichts ist mehr wie früher.
So hilflos bin ich.
So ein Bündel Mensch.
So eine Kacke.
Aber mein Bier kriege ich von nun an täglich. Und das mit dem Katheter bekomme ich auch unter Kontrolle. Das schwöre ich mir.«
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