Vielleicht beschlich Marci gerade deshalb ein ungutes Gefühl, das sie veranlasste, sich entgegen jeder Vernunft die Treppe hinauf zu Rochelles Zimmer zu stehlen, um dort vor der Tür abzuwarten, ob ihre Chefin unversehrt wieder zum Vorschein kam. Falls der Kerl tatsächlich eine Schraube locker hatte und nicht so funktionierte wie von Rochelle gewünscht, würde Marci unverzüglich den Wachdienst alarmieren. Der würde diese putzende, kochende und zugleich fickende Maschine mit dem Risikopotential einer Massenvernichtungswaffe sogleich aus der Villa entfernen. Und das am besten bevor Rochelle zu Schaden gekommen war. Nicht, dass ihre Chefin ihr besonders am Herzen lag, nein, aber immerhin garantierte sie Marci ein halbwegs sicheres Auskommen. Zumindest noch.
Marci hatte indes nicht die geringste Ahnung, wie solche Maschinen funktionierten. Will hatte ihr einmal zu erklären versucht, wie wahnsinnig komplex Aufbau und Programmierung eines menschenähnlichen Robots sein musste, damit er nicht nur aussah wie ein Mensch sondern auch so agierte. Inzwischen existierten unzählige biotechnologische Labore, in denen multinationale Unternehmer wie MacIntyre Gott spielten, indem sie mithilfe organischer 3D-Drucker täuschend echte, menschlich anmutende Geschöpfe aus genetisch modifizierten Materialien schufen, deren Ausgangssubstanz menschlichen Zellen immer ähnlicher wurde. Am Ende waren sie von einem echten Menschen nur zu unterscheiden, wenn man sie durchleuchtete. Ihre Organe waren ein wenig anders angeordnet und dort wo normalerweise das Hirn saß, war bei ihnen ein Quantenprozessor zu finden, der jederzeit durch eine neue Programmierung manipuliert werden konnte.
Während Marci zutiefst verunsichert noch einmal darüber nachdachte, wie dieses Etwas ihr zugezwinkert hatte, beschlich sie ein ungeheurer Verdacht. Was wäre, wenn dieser Robot ein unerwartetes Eigenleben führte, von dem Rochelle und ihre Geschäftspartner nichts ahnten? Denn wer auch immer einen solchen Robot für seinen ersten Einsatz programmiert hatte, war bestimmt nicht daran interessiert, dass er – bevor er seine neue Besitzerin beglückte - zunächst einen Flirtversuch bei ihrer Putzfrau unternahm. Je mehr Marci darüber nachdachte, umso mehr wurde sie von einer fast panischen Unruhe ergriffen. Was wäre, wenn Mister Perfekt unversehens außer Kontrolle geriet und Rochelle womöglich vergewaltigte oder schlimmeres? Mit hämmerndem Herzen horchte sie in die Stille hinein. Nichts. Ob sie den Wachdienst trotzdem alarmieren sollte, mit dem Hinweis auf mögliche Probleme, denen man vorsichtshalber auf den Grund ging?
Dummerweise war Marci fast sicher, dass Rochelle nicht nur die Türen hermetisch verriegelt, sondern auch die Kameras in ihrem Zimmer ausgeschaltet hatte. Was also würde geschehen, wenn Marci mit ihren Verdächtigungen falsch lag und die Security ganz umsonst den Notfallcode anwendete, um die Türen trotzdem zu öffnen?
Rochelle wäre sicher ziemlich wütend auf sie und würde sie auf der Stelle entlassen. Ein Risiko, das sie nur ungern eingehen wollte. Zumal ihr Job nun ohnehin mehr als gefährdet schien.
Unentschlossen schaute sie durch die großen Fensterfronten auf den Lake Michigan hinaus, wo sich die helle Morgensonne unschuldig im türkisblauen Wasser spiegelte.
Vielleicht hatte sie sich das lächelnde Zwinkern des Mannes auch nur eingebildet. Schließlich waren ihre Sinne von so viel männlicher Präsenz vollkommen vernebelt gewesen. Seit mehr als einem halben Jahr hatte sie keinen Kerl mehr im Bett gehabt und die Aussicht darauf, dass dieses potente Multitalent sie demnächst womöglich auch noch beim Putzen ersetzte, tat ihr Übriges, um sie vollkommen nervös zu machen.
Mit einem Seufzer wandte sie sich zum Gehen, um in ihrer Arbeit fortzufahren, als ein polterndes Geräusch sie unvermittelt herumfahren ließ. In einer Schrecksekunde sah sie, wie die Tür aufglitt und Rob 007 vor ihr stand. Barfuß, in elastischen Sport-Tights und einem grauen, viel zu engen Gymnastik-Shirt wirkte er wie Superman, der seine Kleider zu heiß gewaschen hatte. Er starrte sie von oben herab an, als ob er auf sie gewartet hätte. Dann riss er ihr ohne Vorwarnung den Feudel aus der Hand und schleuderte ihn über die Brüstung. Während Marci lauthals zu protestieren begann, packte er ihren Oberarm mit einer solchen Kraft, als ob sie zwischen zwei automatische Türen geraten wäre. Marci stieß einen unkontrollierten Schmerzenslaut aus und fürchtete für einem Moment, dem Feudel zu folgen. Doch dann zog der Robot sie in Richtung Treppenhaus.
Marci war viel zu verdutzt, um nach Rochelle zu rufen oder gar um Hilfe zu schreien. Zudem hatte Rob 007 einen so flotten Schritt drauf, dass sie Mühe hatte, auf dem Weg nach unten nicht über ihre eigenen Füße zu fallen, bevor sie sich bei wem auch immer hätte bemerkbar machen können. Erst als sie im Erdgeschoss angekommen waren, von wo aus er sie gnadenlos zum Ausgang zerrte, füllte sie ihre Lungen mit Luft, um zu schreien. Rob 007 war schneller und legte ihr wie im Reflex seine große Hand auf den Mund. Da er mit seinen kräftigen Fingern nicht nur ihre Lippen sondern auch ihre Nase bedeckte, war Marci nicht fähig zu atmen. Was er nicht zu bemerken schien, denn er ignorierte all ihre Versuche sich zu befreien und schleppte sie weiter in Richtung Sicherheitsschleuse. Die normalerweise streng gesicherte Tür schob sich zu Marcis Entsetzen wie von Geisterhand zur Seite und schon waren sie draußen. Doch anstatt den frischen Sauerstoff inhalieren zu können, der ihnen vom Lake Michigan entgegenwehte, blieb Marci die Luft weg. Sie spürte, wie ihre Beine versagten und ihr schwarz vor Augen wurde. Das war‘s dann wohl , dachte sie und ihre letzten Gedanken galten Willie Junior, ihrem kleinsten und Logan, der in einem Monat seinen achten Geburtstag feiern würde, und das wahrscheinlich in einem Waisenhaus ohne Vater und Mutter.
Als Marci wieder zu sich kam, dachte sie zunächst, sie würde träumen, weil sie sich in ihrem eigenen Bett wiederfand. Obwohl es kein richtiges Bett war, es war ein Ausklappsofa, das sie zur Nacht in ein Bett verwandelte und das breit genug war, um dort zusammen mit den Jungs schlafen zu können. Irritiert blinzelte sie in die Sonne, deren Strahlen schräg durch das viel zu kleine Fenster fielen. Hatte sie in Wahrheit einfach verschlafen? Instinktiv tastete sie nach links, wo normalerweise Logan lag, doch der war nicht da. Dann nach rechts, wo Willie Junior sich für gewöhnlich wie ein kleines Hündchen an sie heran kuschelte. Aber auch dort war niemand. Zutiefst beunruhigt schrak sie hoch… und blickte in das unbewegte Gesicht von Rob 007.
Für einen Moment glaubte sie zu ersticken und wiederholte damit die Panik, die sie auf ewig mit dem Anblick dieses Mannes in Verbindung bringen würde. Er hätte sie um Haaresbreite erdrosselt! Und da half es auch nicht, dass er nun so sanft lächelte wie ein Engel. Denn allem Anschein nach, vertrat er eindeutig die Gegenseite.
»Wo sind die Kinder?«, brüllte sie außer sich vor Sorge, nachdem sie einigermaßen zu Atem gekommen war.
»Hier«, rief eine piepsig klingende Stimme. Es war Willie Junior, dessen kurzes, blondes Haar total verstrubbelt war, während er mit noch herunter gelassener Hose aus der Toilette stürmte. Gefolgt von Logan, seinem dunkelgelockten älteren Bruder, der ihm wie üblich beim Hintern abwischen geholfen hatte.
Marci hielt es nicht auf dem Sofa. Wie eine Löwin, die ihren Nachwuchs mit dem eigenen Leben verteidigt, sprang sie auf und nahm die beiden Jungs schützend in ihre Arme, wobei sie Willie rasch die Hose hochzog. Dann warf sie Rob 007 einen mehr als feindlichen Blick zu. »Wenn du den Kindern etwas antust, reiße ich dir eigenhändig dein kaltes Herz aus der Brust!«
»Mum, warum bist du so böse zu dem Mann«, piepste Willie irritiert. »Er hat uns einen Kakao gemacht und Pizza bestellt, als du geschlafen hast.«
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