Als Marci die Eingangstür zum Empfang öffnete, was normalerweise ebenso automatisch geschah, aber von Rochelle nicht so gewünscht war, schob der silberhaarige Hüne eine mehr als zwei Meter hohe Stahlkiste auf Rollen herein und ließ sich den Empfang mit ihrem Fingerabdruck auf einem winzigen Tablet quittieren.
»Darf ich erfahren, was die Sendung enthält?«, fragte sie den verwegen aussehenden Kerl, der sie eine Spur zu lange betrachtete.
Der Bote, anscheinend wenig interessiert, ihr eine Antwort zu geben, zuckte mit seinen breiten Schultern, und steckte das Tablet beiläufig in die Brusttasche seines schwarzen Overalls.
»Gemäß den Lieferangaben ist es ein Robot. Frag am besten Mrs MacIntyre«, riet er ihr wenig hilfreich. »Sie hat das Ding bei »CRU« bestellt. Soweit ich die Daten checken kann, ist alles komplett. Die Lieferung ist damit abgeschlossen und es besteht kein Grund, eine Einweisung in den Gebrauch der Maschine vorzunehmen, weil die Empfängerin bereits informiert ist.«
Ohne Abschied drehte er sich um und verschwand in einem dunklen selbstfahrenden Van, der ihn mitsamt seiner Fracht hierher chauffiert hatte.
Marci hatte ohnehin nicht vorgehabt, sich in die Handhabung irgendwelcher Robots einweisen zu lassen. Im Geheimen fürchtete sie, dass sie in ihren Vermutungen richtig gelegen hatte und ihre Chefin sich nun von ihrer eigenen Firma eine vollautomatische Reinigungskraft hatte konstruieren lassen. Womöglich noch einen Robot, der Marci täuschend ähnlich sah, damit Rochelle sich nicht an ein neues Gesicht gewöhnen musste, wie sie gerne betonte.
Im Augenblick stand Marci das Ding nur im Weg, und wenn sie den Marmorboden in der Halle bis zum Mittag poliert haben wollte, würde sie Überstunden machen müssen, wenn nicht bald jemand kam und den ungeliebten Robot aus seiner Verpackung befreite. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie selbst Hand anlegen sollte. Nicht nur um den Störenfried zu beseitigen, auch weil es ihr keine Ruhe ließ, ob sie mit ihren Befürchtungen richtig lag.
»Verdammt«, fluchte sie leise, als sie sah, dass die Kiste, die gut vierzig Zentimeter größer war als sie selbst und um einiges breiter, nur durch einen Iris-Scan des neuen Besitzers geöffnet werden konnte. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis Rochelle sich aus ihrem Bett bequemte, und zum Frühstück herunterkam.
Während sie sich daran machte, die restlichen Marmorbüsten von Rochelles ebenso vermögenden Vorfahren mit einem archaischen Federfeudel zu bearbeiten, hörte sie in der oberen Etage ein Geräusch und kurz darauf einen wahren Begeisterungsschrei, der sie von neuem zusammenfahren ließ.
Ein Blick zur Brüstung des breiten, geschwungenen Treppenaufgangs, der wie fast alles in diesem Haus ganz aus weißem Marmor bestand und Marci wie der direkte Weg ins Paradies erschien, bestätigte den Auftritt der Hausherrin am oberen Ende der Balustrade. Offensichtlich konnte Rochelle ihren Enthusiasmus über die ansonsten nichtssagende Stahlkiste kaum zurückhalten. Mit schnellen Schritten rauschte die spindeldürre, fast achtzigjährige Blondine in einem weißen, durchscheinenden Seidenmantel auf silbernen Highheels die Treppe hinab. Dass sie dabei halbnackt war, schien sie ebenso wenig zu stören, wie ihre zerzauste Mähne, die eindeutig ihre Sicht behinderte und sie beinahe im Blindflug ins Erdgeschoss stolpern ließ.
Nach unzähligen Operationen besaß Marcis Arbeitgeberin noch immer Gesicht und Figur einer Zwanzigjährigen, dazu einen mehr als unecht aussehenden Busen, den sie sich erst letzte Woche auf Größe F hatte aufpumpen lassen, obwohl das schon lange nicht mehr gefragt war. Nun lugten ihre ballonartigen Brüste obszön aus dem offenen, knöchellangen Mantel hervor, der mit einer silbernen Federboa eingefasst war, und vermittelten dabei den Eindruck, als ob sie jeden Moment explodieren wollten. Was ihre Besitzerin nicht im Geringsten zu stören schien. Wenigstens war Rochelle so vernünftig gewesen, sich noch rasch einen Slip überzuziehen. Was aber auch nicht immer der Fall war, da sie es als ein Privileg ihrer Freiheit empfand, im eigenen Haus splitternackt herumlaufen zu können.
Inzwischen war sie vor dem Objekt ihrer Begierde angelangt und strahlte es mit glänzenden Augen an, als ob es der Weihnachtsbaum am Rockefeller-Center in New York wäre.
»Weißt du, was das ist«, rief sie vollkommen außer sich vor Entzücken und drehte sich zu Marci herum, die es verwunderte, wie ein Mensch, der bereits alles besaß, sich noch so sehr freuen konnte.
»Nein«, antwortete Marci schlicht und stellte für einen Moment das Staubwedeln ein. »Aber Sie werden es mir sicher gleich verraten.«
Anstatt zu antworten trat Rochelle an die Kiste heran, um eines ihrer mehrfach gestrafften Lider, mitsamt der dahinter befindlichen, hellblauen Iris vor einem schmalen Scanfeld in die richtige Position zu bewegen. Ein kurzes Aufleuchten aus dem Innern des Felds versicherte ihr, dass der gescannte Entschlüsselungscode erfolgreich gewesen war.
Ein summendes Geräusch ließ sie einen Schritt zurücktreten. Die Kiste faltete sich in mehreren Abschnitten anschaulich auf und entblößte im wahrsten Sinne des Wortes ihr ungeahntes Innenleben. Der Anblick eines vollkommen nackten Mannes verschlug nicht nur Rochelle die Sprache. Auch Marci klappte der Mund auf. Der beängstigend muskulöse Kerl war gut und gerne zwei Meter groß. Was sie daran erkennen konnte, dass sie ihm gerade mal bis zur Brust reichte. Er besaß ein überaus attraktives Gesicht mit einem energischen Kinn und einer geraden Nase. Sein kurzgeschorenes Haar war dunkel und sein Dreitagebart schimmerte in einem rötlichen Braun. Die exakt geschnittenen Brauen und dichten Wimpern waren dagegen von nussbrauner Farbe. Eine Kombination, die alles in allem erschreckend natürlich wirkte und Marci mit der Frage beschäftigte, ob es sich bei diesem Mann tatsächlich um einen Robot handelte.
Aber Menschen wurden normalerweise nicht in Kisten transportiert, es sei denn sie waren tot. Und dieses Exemplar sah ziemlich lebendig aus. Seine Lider waren geschlossen und somit blieb die spannende Frage, welche Augenfarbe sich dahinter verbarg.
»Oh«, machte Rochelle nur und leckte sich hastig über die Lippen. »Dr. Tanaka hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Der Kerl sieht fantastisch aus. Gestern noch ein Kampfrobot auf den Killingfields, heute schon als Mann für gewisse Stunden in meinem Schlafzimmer. Ist das nicht scharf?«, frohlockte sie.
Marci zweifelte einen Moment, ob es sich bei diesem Mann tatsächlich um einen Kriegsroboter handeln konnte, selbst wenn man das bei seinen Körpermaßen hätte vermuten können. Abgesehen davon, dass diese Art von Maschinen dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterstanden, wie sie von Will erfahren hatte, und in privaten Haushalten verboten waren, vermochte sie sich kaum vorzustellen, dass ihre Chefin ein solches Risiko einging. Rochelle jedoch erklärte ihr, dass ihr Chefingenieur einen ausrangierten Kriegsroboter als Basis verwendet hatte, um diesen fantastisch aussehenden Kerl für sie zu konstruieren. Und sie musste es schließlich wissen, hatte sie doch die Produktion dieses Prototypen selbst angeschoben, wie sie Marci nicht ohne Stolz berichtete.
Mit einer bloßen Berührung seiner Schläfen erweckte Rochelle den vergleichsweise riesigen Robot zum Leben, woraufhin er tatsächlich die Augen aufschlug. Sie leuchteten grün. Jadegrün, um genau zu sein, wie der Bergsee auf dem Bildschirmschoner von Marcis uraltem Intercomtablet. Der unnachahmliche Glanz in den dunklen Pupillen des Robots ließ ihn beinahe noch lebendiger erscheinen als einen Menschen. Marci war so überwältigt von seinem Anblick, dass sie sich gar nicht von ihm zu lösen vermochte.
Mit einer etwas ungelenken Bewegung trat der Robot aus seinem stählernen Gefängnis heraus. Was Marci beinahe enttäuschte, hatte sie sich seine ersten Schritte doch irgendwie fließender vorgestellt. Doch dann lockerte er seine beeindruckende Muskulatur und nahm mit einer weiteren, knappen Bewegung Haltung an, als ober er tatsächlich ein Soldat wäre, der sich zum Dienst meldet.
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