Die verkniffene Frau versuchte hereinzukommen. Das war nicht so leicht, denn die ganze Zeit war ihr die Einkaufstasche auf Rollen im Weg. Johannes stand auf und hielt ihr die Tür auf. Sie drückte ihn gegen den Türrahmen und fuhr ihm mit ihrer Einkaufstasche über den Fuß. Und sie sagte nicht einmal Danke. Johannes setzte sich wieder hin.
»Was soll’s sein?«, schrie die Frau hinterm Tresen, als ginge sie davon aus, dass alte Frauen mit Brille immer schlecht hören.
Die Frau zeigte auf den Tresen und murmelte etwas. »Eine Makrone«, schrie die Verkäuferin.
Johannes fiel der Löffel auf den Boden. Die Frauen in der Ecke hörten auf zu schlürfen, die alte Frau mit der rollenden Einkaufstasche drehte sich um und die Verkäuferin sah ihn an. Sie sahen ihn alle an. Aha. Ein Schulschwänzer. Johannes ließ Käsekuchen Käsekuchen sein und sah zu, dass er rauskam. Die Uhr zeigte neun Uhr vierzig. Das halte ich nicht aus, dachte Johannes. Er ging nach Hause. Er würde seinem Vater sagen, dass er krank geworden war oder so etwas. Vater fragte normalerweise nicht so genau nach.
Es dauerte länger, als er gedacht hatte. Er war bereits zwanzig Minuten gegangen und wurde langsam müde und immer noch war ein ziemliches Stück zu gehen. Er kam wieder an einem Café vorbei und warf einen gleichgültigen Blick durchs Fenster. Kurz sah er sein eigenes Spiegelbild und drinnen eine alte Frau und seinen Vater sitzen.
Vater? Johannes blieb stehen, machte dann jedoch einen Satz und hüpfte zur Seite, damit er von innen nicht zu sehen war. Vorsichtig reckte er den Hals und guckte nur mit einem Auge durchs Fenster hinein.
Tatsächlich, das war Vater. Er saß allein an einem Tisch und trank Kaffee. Einen Augenblick lang wollte Johannes einfach hineingehen, sich neben Vater auf den Stuhl fallen lassen, ihm auf die Schulter klopfen und »Hallo« sagen. Und dann dessen Reaktion abwarten. Vater würde sich garantiert am Kaffee verschlucken. Und dann könnte Johannes auch gleich alles erzählen.
Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Etwas an der Art, wie Vater dasaß. Er saß so komisch da, irgendwie so traurig, als wäre er nur ein leerer Sack, den jemand einfach weggeworfen und vergessen hatte. Johannes mochte ihn nicht so sehen, es machte ihm Angst.
Er konnte ja reingehen und fragen, was los war, warum Vater hier so traurig herumhing, wo er doch eigentlich zu Hause sein und fröhlich schreiben sollte. Er tat es nicht. Stattdessen blieb er halb verborgen stehen und spionierte ihm nach. Und je länger er dort stand, umso schwieriger wurde es, einfach hineinzugehen und sich zu erkennen zu geben.
Nach einer Weile, die Johannes wie eine Ewigkeit erschien, stand Vater auf. Johannes wich zurück und suchte nach einer Möglichkeit, sich zu verstecken. Etwas weiter hinten stand ein riesiger Container. Johannes stürzte auf ihn zu. Im sicheren Schatten des Containers sah er, wie sein Vater auf die Straße kam.
Vater guckte sich um, als könnte er sich nicht entschließen, wohin er eigentlich gehen wollte. Dann ging er nach rechts, in die Richtung, aus der Johannes gekommen war. Johannes schlich ihm vorsichtig hinterher. Ab und zu blieb Vater stehen und guckte sich ein Schaufenster an. Dann sprang Johannes schnell hinter einen Mülleimer oder presste sich, so gut er konnte, gegen eine Wand. Ihm wurde klar, dass sein Vater genauso herumlief wie er selbst, er bummelte einfach, um die Zeit totzuschlagen. Und Johannes hatte das Gefühl, er hätte etwas gesehen, was er eigentlich nicht sehen sollte.
Vater ging in ein Schuhgeschäft, kam jedoch wieder heraus ohne etwas gekauft zu haben. Er ging langsam weiter in Richtung Zentrum. Johannes blieb stehen und sah ihm eine Weile nach. Dann drehte er sich um und ging nach Hause.
Als er wieder am Café vorbeikam, kam ihm plötzlich eine Idee. Er ging hinein, zum Tresen.
»Der Mann, der vorhin hier gesessen hat. Da hinten.«
»Was soll mit dem sein?«
»Er sieht genau aus wie jemand, den ich kenne. Aber ich dachte, er würde zu dieser Tageszeit arbeiten.«
»Ach ja? Nein, der Mann, der da saß, ist jeden Tag hier. Er kommt meistens ziemlich früh und sitzt hier den ganzen Tag mit Zeitungen oder einem Buch. Er ist bestimmt arbeitslos.«
»Dann habe ich mich geirrt«, sagte Johannes.
Daheim schloss Johannes die Tür auf. Er ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Und noch eins. Er lief auf Zehenspitzen, obwohl er wusste, dass niemand zu Hause war. Schließlich schlich er in Vaters Arbeitszimmer. Wie konnte Vater denn überhaupt etwas schreiben, wenn er wie ein schlaffer Sack im Café saß? Und das jeden Tag?
In der Schreibmaschine steckte kein Blatt Papier. Auch auf dem Schreibtisch lag kein Papier.
Johannes öffnete die Schreibtischschublade. Er fand einen winzigen Stapel beschriebenes Papier und blätterte ihn schnell durch. Vieles war durchgestrichen. War das alles, was Vater seit einem Jahr zu Stande gebracht hatte? Mehr nicht? Johannes durchsuchte alle Schubladen. Es gab keine weiteren Seiten.
Johannes legte den kleinen Stapel wieder zurück, ging auf sein Zimmer und legte sich aufs Bett. Die Uhr zeigte elf Uhr null zwei. Er schloss die Augen und ließ die Farben tanzen. Dann schlief er ein.
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