Heute ist der Schrecken religiös codierter Gewalt allgemein und der unter dem Schlagwort »Kampf der Kulturen« firmierende Krisenzusammenhang längst um die Krise des islamischen Monotheismus erweitert worden. Doch die alte Vision, die drei verfeindeten Monotheismen in Erinnerung an den gemeinsamen abrahamitischen Anfang zu versöhnen, hat sich erschöpft – und durch die Auffindung eines vierren Monotheismus, der historisch gesehen an der Spitze steht, erledigt. Verbirgt sich hinter der Idee eines ägyptischen Vorläufers der alten Monotheismen ein neuer Mythos von der Einheit des Menschengeistes? 4Wenn dem so wäre, dann hätten wir ein weiteres Stück der geheimen Anziehungskraft des Paradigmas zutage gefördert; seine Durchsetzungsgeschichte aber wäre damit noch nicht erklärt. Der Siegeszug der Monotheismusthese hat erstaunlicherweise mit dem Gegenstand der Forschung selbst zu tun. Zugespitzt formuliert hält die um den Monotheismusbegriff gerahmte Sinngeschichte innerhalb des Diskurses um die Ära Echnaton eine quasi-monotheistische Position inne. Ihre Rekonstruktion der Ereignisfolge ist konkurrenzlos. Neben unzähligen Einzelanalysen, die häufig nur notdürftig chronologisch verlötet werden, gibt es keinen vergleichbaren Gesamtentwurf, der die rätselhafte Geschichte der Amarnakönige auf den Begriff zu bringen vermöchte. Die Monotheismusthese fungiert nach Art einer exklusiven Navigationshilfe durch das unwegsame Gelände von Raum und Zeit. Sie allein, so scheint es, verfügt über einen durchlaufenden roten Faden, der es erlaubt, die komplexe Geschichte als Abfolge von Phasen zu erzählen: der Einführung, der Radikalisierung, der Wiederaufgabe und der Verfemung einer grundstürzenden monotheistischen Religion.
Reden so die ausgegrabenen Steine? So und anders. Das Dilemma des saxa loquuntur besteht ja darin, dass jeder Fund gedeutet werden muss. Kein Monument interpretiert sich selbst. Das gilt für den Fall Amarna in einem ganz besonderen Maße, denn nicht mündliche oder schriftliche Überlieferung hat uns den Weg dorthin gewiesen, sondern allein der Spaten der Archäologen. Achetaton und die amarnatypischen Anlagen von Theben sind ausgegraben, aber nirgends hat sich die Spur einer großen Geschichte oder Legende gefunden. Die archäologischen Funde sind ohne jeden mythologischen Index. Was das bedeutet, zeigt erst der Vergleich mit dem gegenläufigen Fall Troia. Schliemann war beseelt von der großen Erzählung der Ilias; was er ausgrub, hatte einen Namen und eine genaue Stelle in der literarischen Überlieferung, hieß »Schatz des Priamos« oder »Maske des Agamemnon«. Unbeschadet vieler Irrtümer vollzieht sich die Diskussion um Homer und den Troianischen Krieg bis heute unter dem Spannungsbogen von »Mythos oder Realität«. Im Fall Amarna waren die ersten Funde »blind«. Weder der Ort selber noch Namen und Herkunft seiner Herrscher waren bekannt. Noch Lepsius, dem es gegen Mitte des 19. Jahrhunderts gelang, den »Bech-en-Aten« (wie er den unbekannten Pharao anfänglich nannte) der 18. Dynastie zuzuordnen, musste sich mit dem Gerücht herumschlagen, die Monumente von El-Amarna stammten von den Hyksos. Mit dem spektakulären Fund des Tontafelarchivs (der keilschriftlichen Korrespondenz der Amenophis III und IV mit den Königen und Fürsten Vorderasiens) änderte sich das Bild, das heißt: die Erwartungshaltung hinsichtlich einer großen Geschichte. Schon die Ausgrabungen des frühen 20. Jahrhunderts begleitet die teils heimliche, teils offene Suche nach dem Mythos von Amarna . Die ganze Rezeptionsgeschichte steht im Bann dieser Idee.
Der Anspruch auf diese Semantik ist nicht leicht abzutun, wie die unzähligen Romane und Bühnenwerke, Opern und Musicals, Bilder und Filme belegen, die jenseits der Forschung entstanden sind und die Ikonen der Amarnazeit auf ihre Art verherrlichen. 5Der kulturelle Sinn, den das Monotheismusparadigma anzubieten hat, ist fraglos von anderer Qualität, aber es wäre ein Irrtum zu glauben, hier wäre der Faden der wahren Geschichte gefunden und entrollt worden. Bei der These von der »monotheistischen Revolution, ihrem Scheitern und heimlichen Weiterleben« handelt es sich um eine glänzende Interpretation. Sie imponiert durch die Vielzahl der Räume, die das Erklärungsmuster erschließt, die klugen Denkwege, die diese miteinander verbinden, schließlich die scheinbar passgenaue Zusammensetzung der Teile zu einem kohärenten Ganzen. Sie definiert sich aber nicht minder durch ebenso viele Einseitigkeiten und Auslassungen, ohne die ein in sich stimmiges Paradigma nicht Kontur gewinnen kann. Solange man sich in seinem Inneren bewegt, eingeschlossen im Kokon eines dichten Bedeutungsgewebes, wird dieser einbehaltene Sinn nicht als Mangel erlebt. Erst wenn man heraustritt und dem schönen Ganzen gegenübertritt, vermag man zu erkennen, dass der Versuch, den Knoten des Amarnakomplexes vom Leitfaden des Monotheismus her aufzulösen, der Dialektik der Aufklärung nicht entgangen ist. Anders als beim legendären Bild zu Sais, das entschleiert werden will, haben die Monotheismustheoretiker die nackten Tatsachen, die der Spaten nach und nach freigelegt hat, eingekleidet. Was vor uns steht, ist das verschleierte Bild von Amarna, in seiner Mitte Echnaton, angetan mit des Königs neuen Kleidern. Er ist nackt und hässlich, allein der Glaube an das besondere semantische Schnittmuster verbürgt jene Tuchfühlung, die ihn, ein anderer Lilienprinz, vor unserem geistigen Auge in einen Schöngeist und kulturellen Heros verwandelt.
Abb. 3: Grabung der Deutschen Orient-Gesellschaft in Tell-el-Amarna (1914)
Heißt das nun, eine theologisch inspirierte und spekulativ verfahrende Ägyptologie handle hier leichten Sinns nach dem Motto »Kleider machen Leute«? So einfach dürfen wir es uns sicherlich nicht machen. Aber wer immer die konkrete Einzelanalyse verlässt und (bei spärlicher Quellenlage) aufs Ganze geht, der muss wissen, dass die wenigen Bruchstücke von unstrittiger Bedeutung allein durch den Kitt eines meta-physischen Sinns zusammengehalten werden. 6Zu gewinnen ist bestenfalls ein »ehernes Bild auf tönernen Füßen«. Diese selbstkritische Einschätzung, die Sigmund Freud einst mit Blick auf seine großartige Mosesstudie getroffen hat, gilt ohne alle Ausnahme, also auch für die vorliegende Studie. Sie muss auf die Weise einer engmaschigen Argumentation überzeugen: durch Triftigkeit (nicht durch Gewissheit). Für die etablierten Entwürfe, den Freud’schen nicht weniger als den von Assmann, beinhaltet der semantische Vorbehalt gegenüber den Rekonstruktionsversuchen kulturellen Sinns paradoxerweise eine gewisse Immunisierung; sie haben jenseits der Frage nach der historischen Wahrheit Bestand, insofern sie als Modelle zu einer Theorie der kulturellen Überlieferung dienen können. Das begründet ihren bleibenden Wert. Das mehrfache Bürsten gegen den Strich des Monotheismusparadigmas ist deshalb auch nicht auf Widerlegung aus. Intendiert ist vielmehr, den Horizont an Möglichkeiten neu aufscheinen zu lassen. Was sich mit der Sondierung des Prospekts der monotheistischen Kulturlandschaft Ägyptens andeutete, ist in heilsame Verunsicherung umgeschlagen. Die Dinge sind im Fluss, ihre einseitige Ausrichtung ist ins Wanken geraten. Vieles könnte sich offenbar ganz anders zugetragen haben – und damit andere Erklärungen erzwingen. Das bedeutet, es sind Zweifel aufgekommen, ob in alle Richtungen ermittelt wurde oder ob die frühe Festlegung auf eine bestimmte Version genau dies verhindert hat. Die Konsequenz aber lautet: Der Fall Echnaton muss neu aufgerollt werden. An diesem Punkt, einem point of no return , stehen wir. Die übersehenen Spuren noch exakter zu sichern, die vernachlässigten Dimensionen der Debatte noch präziser zur Sprache zu bringen, ist der nächste Schritt. Die Monotheismusthese, so viel sollte deutlich geworden sein, ist offensichtlich überinstrumentiert und der Hauptgrund ist die extreme Fokussierung auf Echnaton.
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