Den Behörden gegenüber Rechenschaft ablegen
Ich war Mitte zwanzig. Mich begeisterten die Herausforderungen und Möglichkeiten, die vor uns lagen. Dann wurde ich auf den Boden der Tatsachen gebracht, als ein Befehl des stellvertretenden Polizeipräsidenten eintraf, ich hätte in seinem Büro zu erscheinen. Das große Büro war voller Menschen. In ihrem Beisein konfrontierte mich ein Beamter: „Es wurde mir berichtet, dass einige Studierende, für die Sie Verantwortung tragen, Christen geworden sind. Das ist gegen das Gesetz. Ich ordne daher eine vollumfängliche Ermittlung an. Ich versichere Ihnen: Das wird aufhören!“
Ich hatte Angst, dass ein möglicher Ausruf „Allahu akbar“ (Gott allein ist groß!) aller Anwesenden auf diese Worte folgen könnte. Ich betete still: „Heiliger Geist, Jesus versprach, du würdest uns sagen, was wir in so einer Situation antworten könnten. Bitte beeile dich! Es gibt keine Zeit zu verlieren!“
Ich bat darum, dass alle, bis auf einen Zeugen, das Büro verlassen mögen. Der Beamte stimmte dem zu, weil er das Anliegen verstand. Nur der Polizeichef blieb. Dann antwortete ich: „Ich will nicht darauf eingehen, ob Studierende zum Glauben an den Messias kamen. Nur Gott kennt die Herzen. Führen Sie Ihre Untersuchung durch und entscheiden Sie selbst darüber, was geschehen ist. Als Lehrer der Mennonitischen Mission dienen wir an der Schule als Gäste Ihres Landes. Wir sind dankbar für das Privileg, den Somali dienen und mit ihnen arbeiten zu können. Als Gäste wollen wir uns an das Gesetz Ihres Landes halten. Ich habe jedoch ein Problem und bitte Sie um Ihren Rat“, fuhr ich fort. „Als ich vor vielen Jahren zum Glauben an Jesus, den Messias, kam, erfüllte mich der Heilige Geist mit Freude und Liebe. Ich kann diese Gaben Gottes nicht ignorieren. Manchmal kommt ein Student zu mir und sagt: ‚Ich sehe in dir die Gabe von Freude und Liebe. Ich glaube, diese Gaben sind durch den christlichen Glauben in dir entstanden. Bitte erkläre mir diesen Glauben und führe mich zu diesem Glauben.‘ Was soll ich tun? Was ist die richtige Antwort, wenn Studierende zu mir kommen und die Bibel studieren wollen? Wenn jemand glauben will, wie könnte ich oder auch die Regierung das verhindern? Sind nicht auch Sie ein freier Mann? Wie sollte ich diesen Studierenden antworten?“
Der stellvertretende Polizeipräsident unterbrach mich: „Sie haben Recht. Ich bin ein freier Mann. Niemand kann bestimmen, was ich glaube. Was die Studierenden angeht: Machen Sie so weiter wie bisher. Sie machen es richtig. Es wird keine weiteren Ermittlungen geben.“
Das ganze Geschehen hatte Vertrauen bei den Behörden geweckt. Vertrauen entwickelt sich auf der Basis von Wahrhaftigkeit. Bei einer anderen Gelegenheit sprach ich mit einem hohen Regierungsbeamten – ich glaube, er war der Erziehungsminister. Zu dieser Zeit war ich Direktor der Mission. Ich sagte ihm, dass ich in allen Bereichen ganz der Offenheit und Integrität verpflichtet sei. Ich teilte ihm mit: „Wir als SMM wollen auf eine Art und Weise hier dienen, die die Gesetze des Landes respektiert. Angesichts des Gesetzes, das die Verbreitung des Christentums verbietet, ist das eine enorme Herausforderung. Daher möchte ich Ihnen gern beschreiben, wie wir darum bemüht sind, unsere Arbeit innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu tun.“ Er antwortete mir: „Nein, sprechen Sie nicht von Ihrer Arbeitsweise. Wir wissen, wie Sie arbeiten. Setzen Sie Ihre Arbeit so fort. Wenn Sie Fehler machen, informieren wir Sie. Aber machen Sie keine Fehler.“
Verlassen Sie das Land, wenn Sie hoffen, dass meine Leute Christen werden
Ein wesentlicher Aspekt von Integrität in muslimischen Gesellschaften ist, sich mit dem Verdacht auseinanderzusetzen, christliche Mitarbeitende seien nur in das Land gekommen, um zu evangelisieren. Erinnern wir uns: Das war auch die erste Frage, die mir in der Teestube in Mogadischu in den ersten Tagen gestellt wurde. Die gleiche Sorge trieb den Beamten an, der Ermittlungen gegen unsere Schule einleiten wollte, weil Studierende Christen geworden waren. Hier steckt oft der Verdacht, der wahre Grund für die christliche Präsenz sei die Evangelisation und nicht der Dienst an den Menschen. Diesem Verdacht waren wir auch in Somalia ausgesetzt.
Auf den Philippinen begegnete ich dem gleichen Verdacht gegenüber dem christlichen Zeugnis. Kollegen und ich besuchten die Insel Mindanao im Süden der Philippinen, auf der es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Regierungsarmee und muslimischen Separatistengruppen kam. Eine der mennonitischen Missionen hatte einen kanadischen Friedensbotschafter in das Dorf gesandt, das wir besuchten. Wir wurden im Dorf vorgestellt und genossen im Anschluss ein ausgezeichnetes Abendessen im Haus des Sultans, als Zeichen der Anerkennung für unsere Friedensbemühungen.
Während des Essens stellten einige Söhne des Sultans nervös hüstelnd die Frage: „Was ist der wahre Grund für Ihre Ankunft in unserer Stadt?“ Der freundliche Vater, der Sultan, griff das Thema auf: „Ich bin der Nachkomme vieler Generationen von Sultanen, die die Verantwortung dafür trugen, dass diese Stadt muslimisch blieb und dass niemand die muslimische Gemeinschaft verließ, um Christ zu werden. Wir schätzen die Arbeit des Abgesandten, aber wenn Sie darauf hoffen sollten, dass Menschen aus unserer Stadt zu Christen werden, dann ist das religiöser Imperialismus, den ich niemals tolerieren werde. In diesem Fall sollten Sie nach Hause zurückkehren.“
Natürlich verstand der Sultan unter Christentum mehr als nur den Glauben an Jesus. Er verstand das Christentum wie den Islam, nämlich als ein umfassendes geopolitisches System. Auf Mindanao standen diese unterschiedlichen Systeme seit Jahrzehnten im Konflikt miteinander. Daher war in ihren Augen jeder, der Christ wurde, auch jemand, der sich dem imperialen System des Feindes anschloss. Daher vermeide ich es in der Regel, in Gesprächen mit Muslimen davon zu reden, dass ich Christ sei. Ich bekenne mich lieber als jemand, der an Jesus, den Messias, glaubt.
Wir waren angesichts dieser Attacke des frommen und sanften Sultans ziemlich erschüttert. Es war offensichtlich, dass er fürchtete, wir würden unseren Dienst als Vorwand und Mittel zum Missionieren nutzen. Manche meiner christlichen Kollegen würden auf den Vorwurf vielleicht so antworten: „Oh nein, bestimmt nicht. Wir würden nie erwarten, dass sich ein Muslim aus eurer Stadt bekehren würde. Wir sind hier nur als Menschen, die mit ihren Gaben dienen wollen. Wir würden Muslimen sogar davon abraten, Christen zu werden.“ Was passiert aber, wenn sich doch ein Muslim entscheiden will, Christ zu werden? Es könnte das Vertrauen in der ganzen Region ruinieren. Die Integrität der christlichen Mitarbeitenden würde in Frage gestellt.
Da ich am Tisch des Sultans der Mann mit dem weißen Bart war, schauten mich alle an und waren gespannt, wie ich dem Sultan antworten würde. Ich betete still: „Herr, leite du dieses Gespräch.“
Ich begann: „Danke, dass Sie Ihre Bedenken beschreiben. Ich möchte vier Anmerkungen machen. Erstens, wir sind uns darin einig, dass weder Christen noch Muslime missionieren sollten. Darunter verstehe ich, dass Geld oder andere Lockmittel benutzt werden, um Menschen von der eigenen Religion zu überzeugen. Wir verwerfen und verurteilen solche Praktiken überall in der Welt. Wir stimmen mit der Aussage des Koran überein, wo es heißt: ‚Es soll keinen Zwang in der Religion geben.‘ 21Auch die Bibel benennt die Freiheit des Menschen, ohne Zwang zu wählen: ‚Wer durstig ist, der soll kommen. Jedem, der es haben möchte, wird Gott das Wasser des Lebens schenken‘. 22
Zweitens: Muslime haben mich ganz frei dazu eingeladen, Muslim zu werden. Sie tun das aus Wertschätzung heraus und sie denken, der Islam würde für mich ein großer Segen sein. Genauso sehnen sich Christen danach, dass andere Menschen an das Evangelium glauben.
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