Der Schmerz und die Freude des Dialoges
Vor einigen Jahren lud meine Glaubensgemeinschaft in den Vereinigten Staaten mich und einen muslimischen Imam zu einem Abend des Dialoges ein. Mein Weggenosse, der Imam, zeichnete zwei sich überlappende Kreise auf eine Tafel. Im Zentrum, das für ihn die muslimische Gemeinschaft darstellte, schrieb er „Koran“ hinein. Ins Zentrum, das die christliche Gemeinschaft darstellte, schrieb er „Christus“ hinein. Er erklärte, dass diese verschiedenen Zentren sich nie ganz überlappen könnten, da sie so unterschiedlich seien. Das ist der Schmerz des Dialoges. Muslime verkünden, dass der Koran die volle und endgültige Offenbarung des Willens Gottes sei. Christen bekennen, dass Jesus die volle und endgültige Offenbarung Gottes sei – er offenbare nicht nur seinen Willen, sondern auch das Wesen Gottes. Sie bekennen, dass mit dem Messias das Reich Gottes auf die Erde kam und es nur in ihm ewige Errettung gibt. Muslime sehen wiederum Mohammed als perfektes Beispiel an, dem alle Menschen nacheifern sollen.
Also was nun? Kommt es wirklich darauf an, ob Jesus oder Mohammed das Zentrum darstellen?
„Es kommt nicht darauf an“, betonte neulich meine deutsche Sitznachbarin auf unserem gemeinsamen Flug von Frankfurt ganz vehement. Sie verwarf die Beharrlichkeit, mit der Muslime und Christen glauben, dass es wesentlich sei, wer im Zentrum steht.
Mein Taxifahrer, den ich auf einer meiner Reisen nach Singapur traf, würde ihr widersprechen. Sobald wir ins Taxi gestiegen waren, fragte er mich: „Glauben Sie an Jesus Christus? Er ist der Retter. Er ist der Weg!“
Auch der Imam der Moschee in Harrisburg würde der Frau aus Deutschland nicht zustimmen. Am Ende eines abendlichen langen Gespräches umarmte mich der freundliche Imam und weinte, als er mich bat: „Du bist ein zu guter Mann, um Christ zu sein. Ich bitte dich flehentlich, Muslim zu werden.“
In Kapitel 5werden wir die verschiedenen Glaubensgrundlagen ausführlicher erkunden, und welche Konsequenzen das hat, wenn wir respektvolle freundschaftliche Beziehungen zueinander aufbauen wollen. Zuvor komme ich in meinen Erzählungen auf meinen ersten Abend in der Teestube in Mogadischu und die darauffolgende Jahre zurück. Dieser Abend war nur die erste vieler solcher Erfahrungen. Die Gespräche in Somalia setzten sich während der darauffolgenden zehn Jahre fort. Überall, wo unsere Leute tätig waren, entwickelten sich Gemeinschaften von Messiasgläubigen. 9Im Johannesevangelium wird ebenfalls berichtet, wie Nikodemus nachts zu Jesus kam, um ihn nach dem Reich Gottes zu fragen. 10Es waren freudvolle Jahre!
Das Land, das wir zu lieben gelernt hatten, wurde zu einem marxistischen Staat unter starker sowjetischer Kontrolle. Die Veränderung kam wie ein rollender Gewittersturm über Somalia, der immer mehr Fahrt aufnahm, als er über das mit Akazien übersäte Weideland Somalias hinwegzog. Am 21. Oktober 1969 schlug der Blitz in Form eines Militärschlages ein. Somalia wurde ein marxistisch-leninistischer Revolutionsstaat. Schnell streckte die marxistische Regierung ihre Fühler in alle Bereiche der somalischen Wirtschaft und Politik aus. Infolgedessen mussten alle westlichen Ausländer das Land verlassen. Es fiel uns schwer, diese Tatsache zu akzeptieren, aber wir vertrauten darauf, dass sich neue Türen und Gelegenheiten für einen Dienst unter Muslimen öffnen würden. Das geschah dann tatsächlich in Kenia.
Und so stiegen wir im Januar 1973, zehn Jahre nach unserer Ankunft in Mogadischu, in Nairobi, Kenia, aus dem Flugzeug. Kenia grenzt im Nordosten an Somalia. Wir waren nun eine sechsköpfige Familie und zogen nach Eastleigh, wo viele somalische Muslime lebten. Dort eröffneten wir einen Leseraum. In den darauffolgenden Jahren entstand daraus ein multifunktionales Gemeinschaftszentrum, wodurch heute fast eintausend Menschen pro Woche erreicht werden. Die Dienstleistungen des Zentrums umfassen eine beachtliche Bibliothek, verschiedene Unterrichtsangebote, besonders für Frauen, und ein Sportprogramm mit verschiedenen Fitnessgeräten. Das Basketballteam ist bekannt und heißt „Mennonitische Ritter“. 11Das Zentrum hat sich zu einem Begegnungsort für viele Menschen aus den weiten Regionen des Horns von Afrika entwickelt. Es hat sich auch eine Gemeinschaft von gläubigen Christen gebildet. Zudem nutzen verschiedene Gemeinden mit unterschiedlichen Traditionen das Zentrum als Begegnungsort. Mit einem vor Ort erarbeiteten Bibelleseprogramm werden jedes Jahr Hunderte von Studierenden erreicht.
Durch den Dienst in Eastleigh wurde ich überraschenderweise vom Kenyatta University College eingeladen, in der Abteilung für Religionsstudien über die Weltreligionen zu unterrichten. Dort bildeten wir Lehrer für die kenianischen Highschools im Bereich Religionsstudien aus. Im Rahmen dieser Tätigkeit machte ich die bedeutsame Bekanntschaft mit Professor Badru Kateregga, einem Muslim aus Uganda, der in der gleichen Abteilung unterrichtete. Wir wurden Freunde. Aus unserer Freundschaft heraus entstand das Buch Woran ich glaube – Ein Muslim und ein Christ im Gespräch . In diesem Buch bekennt mein ugandischer Freund seinen Glauben und ich antworte darauf, später schreibe ich über meinen Glauben und er antwortet darauf. Dieses einfache Buch mit 24 Kapiteln wurde in mehrere Sprachen übersetzt und hat gute Dienste geleistet, interreligiöses Verständnis zu fördern.
Freundschaftliche Beziehungen mit Sufis kultivieren
Das Eastleigh Fellowship Center liegt gegenüber einer Sufi-Moschee. 12Wir bauten zu den Sufis freundschaftliche Beziehungen auf und erhofften uns davon, dass sich eine Tür zur muslimischen Gemeinschaft öffnen würde. Eine solche Öffnung würde uns einen Blick auf ihre geistliche Sehnsucht ermöglichen.
Die Sufi-Bewegung ist eine spirituelle Strömung des Islam. Sufis streben danach, sich in Gott zu versenken. Sie sind allgemein als Gemeinschaften des Friedens bekannt. Es gibt vier geistliche Strömungen innerhalb der muslimischen Bewegung, die die Sufis hoffen lassen, sich tatsächlich in Gott verlieren zu können. Die erste ist der Glaube, dass Mohammed eines Nachts von Mekka über Jerusalem in einer mystischen Reise, genannt Mirādsch , 13in die Gegenwart Gottes geführt wurde. Daher wird Mohammed als derjenige angesehen, der den Weg fand und der nun seine Anhänger dazu anführt, sich in Gott zu versenken. Die zweite Strömung basiert auf der Aussage im Koran, dass Abraham ein Freund Gottes ( Wali) war. 14Die dritte Strömung gründet in der Hoffnung, dass Gott fromme Heilige aus der Vergangenheit dazu bestimmt hat, als Fürbitter bei Gott einzutreten, damit Gläubige den Weg in die göttliche Versenkung finden. 15Die vierte Strömung ist die mystische Erfahrung, die durch die ständig wiederholte Anrufung des Namens Gottes geschieht. 16Die Sufigemeinschaften bieten dem Einzelnen einen Weg der Versenkung ins Göttliche an. Diese Gemeinschaften waren daher in Kenia als Inseln des übergemeindlichen Friedens inmitten der turbulenten Beziehungen innerhalb der Somali-Stämme bekannt.
Tragischerweise gewann die Drogenkultur in der Sufi-Bewegung in fast ganz Nordostafrika die Oberhand. Das traf leider auch auf Eastleigh zu. Die Gläubigen dachten, dass sie eine authentische Versenkung in Gott erlebten, wenn sie in ihren abendlichen Treffen die Namen Gottes sangen und dabei eine Euphorie hervorrufende Pflanze (Khat) kauten. Diese Praxis führte jedoch vor allem zur Apathie und gelegentlich auch zur Demenz. Ein dermaßen ungesunder Ausdruck von Spiritualität, der von so vielen Menschen in ganz Nordostafrika praktiziert wurde, hat schließlich negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Wirtschaft und Bildung. Natürlich gab es auch Ulama (muslimische religiöse Lehrer), die den Khat-Konsum für den spirituellen Gebrauch anprangerten und dafür plädierten, den Islam in größerer Übereinstimmung mit dem Koran zu leben. Unsere Botschaft an die Sufis war, dass der Messias und das Wirken des Heiligen Geistes ihre Sehnsucht nach Gott erfüllt. Aber mit einem wesentlichen Unterschied! Die Suche der Sufis führt zur Auflösung des Selbst und der eigenen Persönlichkeit, da man ins Universum absorbiert wird. Durch den Messias wird die Person nicht ausgelöscht oder ins Göttliche absorbiert. Stattdessen lädt der Messias Gläubige dazu ein, eine freudige, lebendige und Leben spendende Beziehung mit Gott und untereinander einzugehen.
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