Frau John winkt heimlich und ängstlich den Kindern zu. Ihr Mann streckt sich behaglich im Sessel. „Zaber? Wer ist das?“
„Waltrauts Schwarm“, beeilt sich der Sekundaner aufzuklären. „Sie hat ihn in Potsdam beim Segelklub ...“
„Danke“, fährt die Schwester dazwischen. „Das kann ich selbst erzählen. Also, Vater, den Herrn, von dem Orsch da fabelt, hab ich im Segelklub kennengelernt. Du weißt doch ... Herr Zaber, von dem ich dir neulich erzählte. Wir lagen doch beim Ansegeln in einer unerhörten Flaute fast die ganze Nacht draußen vor Sakrow fest mit Herrn Teubners ‚Godenwind‘.“
John erinnert sich undeutlich. „So, so. Hoffentlich hat sich der Herr anständig betragen?“
„Aber Vater! Herr Zaber! Dieser Kavalier!“
„Er hat wie ein getreuer Rittersmann an Bord Wache gehalten, während Waltraut pennte“, grinst Georg. „Das hat sie mir schon zwölf- und einhalbmal erzählt. Traun, muß Liebe schön sein.“
Waltraut wirft ihr Buch wütend zur Seite. „Vater, sag dem dummen Bengel doch, daß er seinen Unsinn lassen soll! Aber das ist ja nur purer Neid. Weil er selber noch ein grüner Junge ist und Herr Zaber ein Mann, ein ...“
„Ein Heros! Ein Genie! Der letzte Ritter ohne Furcht und Tadel!“ ruft Georg in komischer Begeisterung. „Übrigens sieht er tatsächlich gut aus, Vater. Alles, was recht ist.“
John scheint die Sache nicht recht zu gefallen, aber er bemüht sich, es nicht zu zeigen. Er kennt doch sein Mädel. Waltraut ist vernünftig genug und weiß, was sie zu tun und zu lassen hat. Schließlich muß sie es auch wissen. Auf einen Sack Flöhe kann man aufpassen, auf ein junges Mädchen nicht. Anscheinend gleichgültig erkundigt er sich, was dieser Herr Zaber denn für ein Mann sei.
Waltraut ist sofort zur Auskunft bereit. Etwas überhastig berichtet sie, Herr Zaber sei Mitte der Dreißig, Großkaufmann, sehr gut aussehend und von tadellosen Formen. Ein gut Teil seines Lebens habe er auf Reisen zugebracht, sei lange in Amerika und Australien gewesen. Zaber sei ein Mann, der fabelhafte Dinge erlebt habe und wunderbar erzählen könne. Im Segelklub schätze man ihn allgemein als glänzenden, liebenswürdigen und interessanten Gesellschafter.
„Was Orsch sagte, ist einfach lächerlich“, schließt Waltraut ihren Hymnus. „Ich hab überhaupt nicht geschlafen an Bord. Herr Zaber hat erzählt und ich hab zugehört. Ihm selber war es furchtbar peinlich, daß wir so lange draußen liegen mußten. Ist ja Unsinn, denn Wind konnte er doch nicht herbeizaubern. Aber Herr Zaber ist ja so korrekt. Übrigens will er herkommen und sich bei Mutter und dir entschuldigen, wie er es nennt. Hast du etwas dagegen, Vater, den Herrn kennenzulernen?“
„Nee. Kennt Herr Teubner ihn auch?“
„Aber natürlich, Vater. Herr Teubner hat ihn mir doch erst vorgestellt im Klub.“
„Na, dann ist die Sache ja in Ordnung. Teubner weiß schon, mit wem er verkehrt.“
„Man kann sich auch keinen besseren Verkehr denken als Herrn Zaber“, erklärt Waltraut kategorisch.
John brennt sich eine Zigarre an. „Bist ja mächtig eingenommen von dem Herrn, Mäuschen. Na ja, mag ein ganz netter Mann sein. Aber ... weißt du, Mäuschen, Becker ist auch nicht ohne.“
„Ach, Becker!“
„Sag das nicht so wegwerfend, Kind.“ John wird unwillkürlich eifrig. „Becker ist erste Klasse. Als Mensch wie als Beamter. Ein grundsolider, treuer Kerl.“
„Ich mag ihn ja auch ganz gern“, lenkt Waltraut vorsichtig ein. „Aber Herr Becker und Herr Zaber — also, das läßt sich doch gar nicht vergleichen, Vater.“
„Seit ich ihn gesehen, glaub ich blind zu sein!“ zitiert Georg spöttisch. Sein Vater wirft ihm einen lächelnden Blick zu.
„Na, mach’s halbwege, Junge. Neulich sah ich einen Jüngling, der mit seiner Schulmappe hinter Teubners Elly herstiefelte, so versonnen, daß er seinen eigenen Vater nicht gewahrte. Na na, du brauchst nicht so entsetzt dreinzublicken, Georg. Ich blase nicht die Asche von deinen Kohlen. Aber sei auch du — traun! — so nett und laß Waltraut in Ruhe.“
Beschämt, mit roten Ohren greift Georg wieder nach seinen Lehrbüchern. Während Frau John in der Küche hantiert, lehnt der Kommissar in seinem bequemen Stuhl zurück und sinnt.
Die Kinder! Georg? Nun, der macht vorläufig die wenigsten Sorgen. In der Schule kommt er gut mit, zeigt Begabung für Geometrie und Algebra. Die Betragensnote könnte manchmal besser sein, aber — ach was, kein richtiger Junge, der nicht mal Streiche macht. Ein paar Jahre hat er noch bis zum Abitur. Was dann später wird, muß man abwarten.
Weniger beruhigt denkt John an seinen Ältesten, den Herbert, der in München Kunstgeschichte studiert. Herbert hat das sanfte, weiche Wesen der Mutter. Schlecht ist er nicht, im Gegenteil, ein braver junger Mensch. Aber zu schlapp, viel zu schlapp. Kommissar John hat nun mal einen Widerwillen gegen junge Menschen, die weiche Knochen haben und sich in Bücherweisheit vergraben. Kunstgeschichte studiert der Herbert! Hat sogar schon ein paar kleine Schriften herausgegeben und wird von seinen Lehrern als vielversprechendes Talent gerühmt. John hat sich ehrlich bemüht, die Gedankenwelt seines Ältesten zu erfassen. In stillen Stunden hat er sich hingesetzt und aufmerksam gelesen, was Herbert über die alten italienischen Maler schrieb. Aber er findet sich nicht zurecht darin. Er, der nüchterne Verstandesmensch, kann dem Aufgehen in all diesem ästhetischen Zeug keinen Geschmack abgewinnen. Und Herbert fühlt, daß zwischen seiner Welt und der des Vaters ein Abgrund klafft. Er ist scheu und verlegen, wenn er in den Ferien daheim ist und der Vater mit gutmütigem Spott über seine Studien spricht. Vielleicht verachtet er innerlich den Vater als Banausen. Nicht zu ändern. John ist ehrlich genug, sich einzugestehen, daß er seinen Ältesten nie begreifen wird. Trotzdem hat er ihn gern, und es bedrückt ihn oft genug, daß er dem Jungen so fremd gegenübersteht. Ein Glück, daß Herbert seine Mutter hat. Die versteht ihn, die verhätschelt und bewundert ihn. Kommissar John weiß, daß sie dem Jungen heimlich Geld schickt, obwohl Herbert ein festes monatliches Taschengeld bezieht, und er läßt ihr das Vergnügen und stellt sich unwissend. Hoffentlich wird aus Herbert doch ein ganzer Kerl werden.
Dann ist da noch Waltraut, sein Liebling. Dunkelblond, etwas klein geraten in der Gestalt. Wie der Vater. Etwas zu breite, derbe Hände. Auch wie der Vater. Keine Schönheit, aber eine frische, sympathische Mädchenerscheinung, kräftig, gesund, sportgewohnt, mit lebhaften, wilden Kulleraugen.
Waltraut ist nun in den Jahren, da man damit rechnen muß, daß sie eines Tages einen Schwiegersohn angeschleppt bringen wird. Das ist nun mal der Lauf der Welt. Bisher hat sie allerdings nicht ihr Herz verloren, wie man so sagt. John weiß, daß sein Mädelchen einen Haufen Herrenbekanntschaften hat, junge Leute aus dem Sportklub, Jugendfreunde, mit denen sie Ausflüge macht und tanzen geht. Vielleicht war auch gelegentlich eine kleine, harmlose Jugendliebelei dabei gewesen. Aber etwas Ernsthaftes war es bisher nicht. Dabei wird Waltraut doch nächsten Monat schon zwanzig. Wenn sie ...
Ja, da ist also der Kriminalassistent Becker. Daß er in Waltraut verliebt ist bis über die Ohren, könnte ein Blinder sehen. John ist vielleicht der erste gewesen, der es gemerkt hat, und im Laufe der Zeit hat er sich an den Gedanken gewöhnt, sein Kind einmal als Frau dieses ehrenhaften, fleißigen Mannes zu sehen. Wenn nur der Becker nicht so schüchtern wäre. Das heißt: Im Dienst konnte man ihm so was beileibe nicht nachsagen. Da ist er stramm und energisch genug. Aber sobald er mit Waltraut zusammenkommt, ist er von einer Schüchternheit, die fast komisch wirkt. Junge Mädels schätzen das nicht sehr. Es ist verständlich, daß Waltraut sich für andere Männer begeistert, wie jetzt zum Beispiel für diesen Herrn Zaber. Na, vielleicht würde doch noch mal ... Nur nicht daran rühren. So ein Blümchen muß man still gedeihen lassen. Kommissar John ist kein Haustyrann, sonst hätte er niemals seinem Ältesten erlaubt, sich den von ihm gewünschten Beruf zu erwählen.
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