Jógvan Isaksen
Option Färöer - Ein Färöer-Krimi
Saga
Option Färöer - Ein Färöer-Krimi Übersetzt Christel Hildebrandt Copyright © , 2019 Jógvan Isaksen und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726344103
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Einsam und kalt und grauer Oktober, fern die Flügelschläge der Zugvögel bringen eine Botschaft ob von Liebe, Gesang und Sonne, der Oktober herrscht, es gibt keinen Schimmer, keine Hoffnung.
(J. H. O. Djurhuus)
Henry Mancini. Der Nachrichtensprecher war sich ganz sicher, dass es Henry Mancini mit seinem Orchester war. Wenn der betagte Mitarbeiter aus dem Norden für die Mittagsmusik verantwortlich war, stand fast immer Mancini auf dem Programm. Nur falls er übermütiger Laune war, ertönte James Last im ganzen Land. Wenn seine Stimmung jedoch auf den Nullpunkt sank, gab es kein Pardon; klassische Musik bis zum Abwinken. Und sobald er Strawinsky auflegte, wussten alle: Es kamen schwere Zeiten. Dann schien es, als brächen die Mittagstische zusammen und alle Gespräche erstarben.
So hatte dieser Mann, der einen harten Dialekt sprach, die färöische Bevölkerung seit einem Menschenalter mit fester Hand gelenkt. Niemand konnte sich daran erinnern, dass es jemals anders gewesen war, und niemand rechnete damit, dass es sich je ändern würde. Die Mittagsmusik des Radiosenders war so gesetzmäßig wie das Wetter: Man konnte nichts daran ändern, sie lag außerhalb des menschlichen Einflusses.
Der Nachrichtensprecher saß am grünen Tisch und blätterte die Meldungen durch, die er gleich vorlesen sollte. Das Meiste waren Übersetzungen aus der dänischen Presseagentur, aber schließlich war die Redaktion unterbesetzt und es somit unmöglich, für jede Sendung originelle Nachrichten zu bekommen. Aber etwas Färöisches gab es doch. Ja, da. Ein Mann aus Eiði war 101 Jahr alt geworden und der Gemeinderat gab ein Fest. Das war doch eine gute Nachricht.
Der Werbeblock war länger als die Nachrichten, aber der Sender verdiente nun einmal gut damit, also durfte man sich nicht beschweren. Er stieß die Papiere zu einem ordentlichen Stapel mit schnurgeraden Kanten auf. Er hatte gern Ordnung in seinen Papieren und überhaupt um sich herum.
Er schaute auf das schwarze Mikrofon und die rote Lampe. Wenn die Lampe leuchtete, war er auf Sendung. Der Techniker auf der anderen Seite der großen Glasscheibe hob die Hand, bereit, sie fallen zu lassen, wenn die Uhr zwanzig Minuten nach zwölf zeigte. Die Leute regten sich ständig darüber auf, dass die Nachrichten nicht pünktlich begannen. Dieses Mal sollte es klappen.
Noch fünfzehn Sekunden, der Sprecher nahm einen Schluck Wasser, um seine Kehle zu säubern. Das Wasser hatte einen bitteren Geschmack und der Magen revoltierte, als es hinunterrann. Der Schmerz kam umgehend, sodass er sich über dem Tisch zusammenkrümmte und das Glas losließ, dessen Inhalt sich über die weißen Nachrichtenblätter ergoss.
Der Techniker schaute unverwandt auf die Uhr und sah nicht, was im Studio vor sich ging. Um Punkt zwanzig Minuten nach zwölf schaltete er das Mikrofon ein.
Der Sprecher hatte rasende Kopfschmerzen und ihm war speiübel. Er bekam keine Luft, stöhnte und keuchte, etwas erwürgte ihn.
Der Techniker und die färöische Bevölkerung hörten zunächst ein Röcheln und Stöhnen aus den Lautsprechern und dann das Geräusch eines Menschen, der sich übergibt.
Der Moderator lag über dem schmalen Tisch und umklammerte mit beiden Händen die gegenüberliegende Tischkante. Er war rot im Gesicht, und während sein Körper von Krämpfen geschüttelt wurde, öffnete und schloss er den Mund wie ein Fisch, der an Land geworfen worden war.
An einigen Mittagstischen blieben die Gabeln in der Luft stehen, aber nur für einen kurzen Moment, dann wurden die unappetitlichen Geräusche mit der Bemerkung beiseitegeschoben, dass er dieses Mal aber wirklich zu viel getrunken hätte. Jetzt war es allerhöchste Zeit, ihn zur Entziehungskur in die Klinik von Velbastaður zu schicken.
Als der Techniker ins Studio kam, lag der Körper des Nachrichtensprechers bewegungslos über dem Tisch. Nur die Arme, die herunterhingen, schaukelten leise hin und her. Und als der Techniker sich über das Gesicht mit den aufgerissenen Augen beugte, war ihm, als nehme er den Geruch von Mandeln wahr.
Der Rundfunkmitarbeiter Páll Hansen hatte in einem der hellroten Reihenhäuser in Berjabrekka gewohnt. Der Name an sich war ja nicht schlimm, aber es gab keinen Skandal und kein Unglück, das einer Baustelle zustoßen kann und das diese neuen Reihenhäuser nicht betroffen hätte. Wie üblich trug niemand die Schuld. Die Verantwortung wurde in einem ewigen Kreislauf von Pontius zu Pilatus und wieder zurück geschoben und die Besitzer der Häuser waren die Betrogenen.
Jetzt saß ich in meinem frisch erworbenen alten Volvo vor Hansens Haus und versuchte, mit mir selbst einig zu werden, inwieweit ich mich schämen müsste, wenn ich mich an Páll Hansens Witwe wenden würde, die Frau des früheren Journalisten beim färöischen Rundfunk.
Die Oktoberkälte kam langsam von den Bergen im Norden heruntergekrochen und harmonierte ausgezeichnet mit den Gefühlen, die in mir aufschwappten. Frierend und mit einer Antriebskraft, die nicht einmal die Zeiger einer Uhr bewegen würde, saß ich da und starrte vor mich hin. Ich dachte über existenzielle Fragen nach. Wo kommen wir her? Warum sind wir hier? Und wohin werden wir ziehen? Aber das dauerte nur einen kurzen Augenblick, denn ich kannte mich selbst gut genug, um zu wissen, dass sich, wenn ich einmal damit anfangen würde, an der Oberfläche der großen Fragen des Daseins zu kratzen, der Kater nur verschlimmern würde.
Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor elf.
Am Samstagabend war ich in der Stadt gewesen, und den Sonntag hatte ich, wie so oft, im Bierclub vertan. Genau diese Handlungen begannen jetzt, meine Gedanken zu dominieren.
Aber dabei konnte ich nicht stehen bleiben und mit meiner reichhaltigen Erfahrung als Therapeut konnte ich die diversen Katzentiere beiseiteschieben.
Montagmorgen, kalt, bewölkt, aber trocken.
Páll Hansen war vor vierzehn Tagen vor eingeschaltetem Mikrofon gestorben. Das ganze Land war in heller Aufregung gewesen. Schließlich geschah es nicht alle Tage, dass man bei einem Mord zuhörte. Diese unangenehme Begebenheit verschaffte den Leuten einen wohligen Schauer. Endlich gab es etwas, was man gemeinsam hatte, und wenn die Leute zusammenkamen, war oft die Rede davon, was sie sich gedacht hatten, als sie die merkwürdigen Geräusche im Radio hörten.
Die Polizei stand vor einem Rätsel.
Mein Freund beim Kriminalkommissariat, Karl Olsen, hatte mir erzählt, dass der Sprecher mit Blausäure vergiftet worden war. Dass sie keine Ahnung hatten, wie diese ins Glas gekommen war oder wer sie dort hineingekippt hatte. Auf den Fluren des Senders liefen ständig Leute hin und her, deshalb mussten viele Verhöre durchgeführt werden. Mehr bekam ich nicht aus ihm heraus. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Polizei gar nicht mehr wusste.
Meine Gründe herumzuschnüffeln waren ganz persönlicher Natur. Vor zwei Monaten war ich nach langer Zeit im Ausland wieder zurück auf die Färöer gezogen. Ich arbeitete als Freelancer beim Blaðið und wurde nach dem Stoff bezahlt, den ich ablieferte. Aus Themen, über die andere viel besser als ich Bescheid wussten, konnte ich nichts herausholen, aber wenn es sich um einen Mord handelte, bei dem die Polizei im Dunkeln tappte, hatte ich die gleichen Chancen wie alle anderen. Das bildete ich mir jedenfalls ein.
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