Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

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In einer Zusammenschau sowohl autochthoner als auch ausgewählter allochthoner Minderheitensprachen nimmt dieses Handbuch die Mehrsprachigkeitssituation in Deutschland in den Blick. Einen dritten Fall stellen die sog. (Spät-)Aussiedler dar. Gemein ist all diesen Sprachgemeinschaften, dass sie sich im deutschen Diasystem befinden und durch Andersartigkeit zur Umgebungssprache auszeichnen. Zehn Überblicksartikel geben ausführliche Informationen über Demographie, Geschichte sowie politische und rechtliche Lage der jeweiligen Minderheiten. Zusätzlich wird für jede Minderheit eine Darstellung der Kompetenz- und Sprachgebrauchssituation wie auch der soziolinguistischen Situation mit ihren je spezifischen Sprachrepertoires geboten. Die Spracheinstellungen der Sprecher und die visuelle Wahrnehmbarkeit der jeweiligen Minderheitensprachen im öffentlichen Raum werden ebenfalls analysiert.
Mit Beiträgen von Bernhard Brehmer, Ibrahim Cindark, Serap Devran, Katharina Dück, Reinhard Goltz, Dieter W. Halwachs, Hanna Jaeger, Andrea Kleene, Grit Mehlhorn, Thomas Menzel, Karen Margrethe Pedersen, Jörg Peters, Anja Pohontsch, Doris Stolberg und Alastair Walker.

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Rahel Beyer / Albrecht Plewnia

Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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Dr. Rahel Beyerist wissenschaftliche Angestellte am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.

Dr. Albrecht Plewniaist Leiter des Programmbereichs Sprache im öffentlichen Raum am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.

Umschlagabbildung: www.shutterstock.de, © Max Broszat

Einbandgestaltung: Bernd Rudek Design GmbH, www.rudek.de

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de• info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8233-8261-4 (Print)

ISBN 978-3-8233-0234-6 (ePub)

Einleitung

Rahel Beyer / Albrecht Plewnia

Das vorliegende Buch bildet den Abschluss einer Handbuchserie zu Sprachminderheitenkonstellationen unter Beteiligung des Deutschen. Ihren Anfang nahm die Serie 1996 mit einem Band zur Situation der Sprachminderheiten in Mitteleuropa (Hinderling/Eichinger 1996b). Dieser Band, der noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs konzipiert worden war, war bald vergriffen. Es folgten weitere Bände zu anderen Regionen der Welt, die sich von der Struktur her an dem Mitteleuropa-Band orientierten: zunächst die Länder Mittel- und Osteuropas (Eichinger/Plewnia/Riehl 2008), sodann die deutschen Sprachminderheiten in Übersee (Plewnia/Riehl 2018). Das Handbuch des Deutschen in West-und Mitteleuropa (Beyer/Plewnia 2019) war der erste Band einer vollständigen Neufassung des Handbuchs von 1996, wo über die Dichotomie von Mehrheit und Minderheit hinaus auch weitere Ausprägungen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit berücksichtigt wurden.

Das Anliegen jeden Bandes dieser Serie sowie des vorliegenden war und ist zweiteilig: Zum einen geht es – einem Handbuch entsprechend – um die Bereitstellung von geordneten Informationen, so dass Interessierte Erläuterungen zu bestimmten Stichworten nachschlagen und sich auf diese Weise relativ schnell einen Überblick verschaffen können – sei es zu einer bestimmten Minderheit oder einem spezifischen Aspekt einer bestimmten Minderheit. Zum anderen soll die Zusammenstellung der Artikel bzw. Sprachminderheiten eine vergleichende Betrachtung ermöglichen und wiederkehrende Muster/Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede/Besonderheiten zu Tage treten lassen.

Die Idee eines vergleichenden Blicks auf Sprachminderheiten unter Beteiligung des Deutschen geht zurück bis in die 1980er Jahre. Damals wurden im Rahmen zweier Projekte zunächst die „Methodik von Beschreibung und Vergleich der sprachlichen und sprachenrechtlichen Situation von Minderheiten“ anhand von zwei Minderheitenszenarien getestet und in einem zweiten Schritt auf weitere Gemeinschaften übertragen. Das Ziel wurde damals folgendermaßen formuliert:

Es geht darum, unterschiedliche Sprachgemeinschaften, die oft sonst in jeder Hinsicht verschieden sind, aber eben alle als Sprachminderheiten charakterisiert werden können, nebeneinanderzustellen und aus dieser Nebeneinander- und Gegenüberstellung wenn möglich zu lernen. (Hinderling/Eichinger 1996a: X)

Ergebnis des zweiten Projekts war das „Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten“ (Hinderling/Eichinger 1996b), bei dem deutsche Minderheiten und anderssprachige Minderheiten in deutschsprachigem Mehrheitsgebiet vergleichend gegenübergestellt wurden – eben der eingangs erwähnte Ausgangspunkt der Serie.

Mit dem vorliegenden, letzten Band der Reihe wird nun eine Perspektivenumkehr vorgenommen: Beschrieben werden Charakter und soziolinguistische Situation von Gemeinschaften, die sich im deutschen Diasystem befinden und für die Deutsch Mehrheitssprache ist. Dabei beschränken wir uns auf Deutschland. Mit der sprachlich-geographischen Verortung ist im Wesentlichen auch schon das verbindende Element genannt. Wenn schon die Sprachminderheiten in den vorhergehenden Bänden recht unterschiedlich waren, so gilt dies umso mehr für die in diesem Buch versammelten Situationen. Auf kleinste gemeinsame Nenner gebracht lassen sich auf einer Makroebene drei dominante Grundtypen von Sprachminderheiten ansetzen:

(1) Zunächst die autochthonen Gruppen, die sich durch Altansässigkeit in dem Gebiet, das heute die Bundesrepublik Deutschland konstituiert, auszeichnen. Schon zur Zeit der Staatsgründung lebten in bestimmten Gegenden Gruppen von Menschen mit einer anderen Kultur, einer anderen Tradition und eben anderen Sprachen. Im Zuge der Staatenbildung und der staatenweiten Vereinheitlichung auf sprachlicher Ebene erfuhren diese Sprecher im Vergleich zu jenen der Mehrheitssprache teils starke Benachteiligungen. Sie oder mindestens ihre Sprache wurden unter der vorherrschenden Einsprachigkeitsideologie an den soziopolitischen Rand gedrängt; das ist ein Prozess, der sich praktisch überall in Europa beobachten ließ. Etwa seit den 1970er Jahren gibt es auf europäischer Ebene eine wachsende Aufmerksamkeit für diese autochthonen Minderheiten. Ergebnis der weitreichenden Diskussionen sind eine Reihe von Erklärungen und Abkommen, die die kulturelle und sprachliche Identität der Minderheiten schützen sollen. Das bis heute wichtigste Dokument ist dabei die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen von 1992. Mit ihrer Unterzeichnung gehen Staaten die Verpflichtung ein, die von ihnen anerkannten Minderheiten zu fördern. Für ihr Staatsgebiet hat die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifizierung Dänisch, Friesisch (Nord- und Saterfriesisch), Sorbisch und Romanes als Minderheitensprachen im Sinne der Charta bestimmt. Das Niederdeutsche hat den Status einer Regionalsprache.

(2) Einen zweiten Typ von Sprachminderheit – der europaweit einzigartig ist – stellen die sogenannten Aussiedler und Spätaussiedler dar. Dabei handelt es sich um Personen mit deutscher Familiengeschichte, deren Vorfahren zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit in das ehemalige Russische Zarenreich bzw. die Sowjetunion emigriert sind oder die in den (ehemaligen) deutschen Ostgebieten lebten und die seit den 1950er Jahren in die Bundesrepublik übersiedelten. Sie sind also deutscher Abstammung und haben zumindest teilweise noch deutsche Erziehung und Kultur vermittelt bekommen; gleichzeitig kommen sie von einem Gebiet außerhalb der heutigen Staatsgrenze und verwenden in ihrem Alltag häufig Russisch oder Polnisch. Ihr spezifischer Status spiegelt sich auch in ihrer rechtlichen Stellung wider: Über die Regelungen im Bundesvertriebenengesetz bzw. Kriegsfolgenbereinigungsgesetz verfügen sie über einen sicheren Aufnahme- und Aufenthaltsstatus inklusive Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit. Da sie Deutsche sind, werden sie von der Politik auch nicht als Sprecher einer Minderheitensprache betrachtet; entsprechend gibt es – im Gegensatz zu den autochthonen Minderheits- und Regionalsprachen – keinerlei rechtlichen Schutz- und/oder Förderungsbestimmungen für ihre (nicht-deutschen) Sprachen.

(3) Der politische Sprachminderheitsdiskurs, wie er sich auch in der Charta manifestiert, ist überwiegend auf die autochthonen Minderheiten fokussiert. Eine relevante Gruppe bilden jedoch, drittens, Personen und Gemeinschaften mit einer gebietsfremden sozialen Herkunft oder Abstammung, d.h. die migrationsinduzierten allochthonen oder „neuen“ Minderheiten, die zudem meist eine andere Staatsangehörigkeit mitbringen. Diese sind jedoch weder als Minderheit anerkannt, noch bestehen für sie Förderungsmaßnahmen – im Gegenteil: Ihre Mehrsprachigkeit wird hauptsächlich als Problem wahrgenommen (Extra/Gorter 2007: 23).

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