Ist unser Leben nicht eigentlich mit einer Rennstrecke zu vergleichen? Wissen wir, an welcher Stelle dieser Rennbahn wir uns befinden? Sind wir mitten im Rennen, in einer Kurve, auf der Gegengeraden oder bereits auf der Zielgeraden? Am Ende, unmittelbar vor dem Ziel? Wir können alle jederzeit vor dem Ziel sein. Sind wir bereit, schon dort zu sein? Haben wir unser Leben so gelebt, daß wir sagen können, es war sinnvoll? Das Leben ist nur sinnvoll, wenn wir entsprechend unserem Lebensziel leben. Das gilt für jedes Lebensalter. Leben ohne Lebensziel, ohne Lebenssinn, kann zur Krankheit führen und im Extremfall tödlich sein. Das beste Beispiel dafür sind Depressive, die in der Regel nicht einmal in der Lage sind, sich vorzustellen, wie ihr Leben anders sein könnte. Es gibt für sie kein Ziel, das sie verfolgen könnten. Der erste Schritt zur Gesundung besteht deshalb darin, ihr spezielles Ziel zu definieren, auf das hin sie sich verändern können.
Aber gibt es nicht Argumente, die dagegen sprechen, daß man ein Ziel genau festlegt? Bedeutet das nicht eine Einschränkung der persönlichen Freiheit? Wer so denkt, verwechselt das Ziel mit dem Weg. Das Ziel muß absolut klar sein, sonst ist es einfach nur etwas Vages und kein Ziel. Wege zum Ziel kann es viele geben. Wenn einer sich als nicht gangbar erweist, dann gibt es fast immer einen anderen.
Ein Ziel kann aus mehreren Teilzielen bestehen. Ebenso kann ein Mensch mehrere Ziele haben. Wenn er allerdings seine Kräfte zersplittert und gleich viele verschiedene Ziele gleichzeitig erreichen will, dann wird er kaum erfolgreich sein. Das gleiche gilt, wenn er ein Ziel anstrebt, um dann, ehe er es erreicht hat, sich einem anderen zuzuwenden.
Wer seine Kräfte auf ein ganz konkretes Ziel konzentriert, der kann seine Energie mit einem hohen Wirkungsgrad einsetzen. Was nützen denn die besten Werkzeuge, wenn sie nicht gezielt eingesetzt werden? Es ist genauso wie in der modernen Technologie. Zum Beispiel ist es nur dann sinnvoll, einen Laserstrahl, also einen scharf gebündelten Energiestrahl, zu verwenden, wenn der Punkt, auf den er einwirken soll, ganz genau festliegt. Dann wirkt der scharf gebündelte Energiestrahl mit unglaublicher Geschwindigkeit präzise auf das entsprechende Material ein. Genauso ist es auch mit unseren geistigen Werkzeugen. Auch sie sind um so wirkungsvoller, je spezifischer wir sie einsetzen.
Es gibt noch einen weiteren Grund, das Ziel genau festzulegen. Wie können Sie denn sonst feststellen, ob Sie das Ziel erreicht haben? Wenn ein Hochspringer die Latte bei zwei Metern angelegt hat, dann hat er sein Ziel erreicht, wenn er rüberspringt und die Latte liegenbleibt. Ohne Latte würde ihm jede Kontrolle über seine Leistung fehlen.
Vielleicht sind Sie aber der Meinung, das sei überhaupt nicht wichtig. Irgendwo haben Sie den Ausspruch gelesen: Der Weg ist das Ziel. Das heißt mit anderen Worten, es kommt nicht darauf an, ob Sie das Ziel jemals erreichen. Worauf es ankommt, ist allein, auf dem rechten Weg zu sein. Das ist richtig und doch nicht richtig.
Auf dem Weg sein heißt doch, auf einem Weg voranzukommen. Es bedeutet nicht, stillzustehen. Dann wäre es kein Weg, sondern ein Ort. Woran aber erkennt man, ob man vorankommt? Wenn wir auf einem Weg wandern, dann zeigen uns verschiedene Dinge, daß wir vorankommen. Ein Wegweiser, ein großer Baum, eine Kirche, eine Brücke, alles Merkmale, die auf unserer Karte eingezeichnet sind.
Daran merken wir, daß wir uns unserem Ziel nähern, also auf dem richtigen Weg sind. Das Ziel und die Teilziele müssen vor Beginn der Wanderschaft festliegen, nur dann wissen wir, ob wir sie erreicht haben oder uns ihnen zumindest nähern.
Dieses Wissen ist wichtig für unser Bewußtsein. Es gibt uns die richtige Motivation, den Ansporn, weiterzumachen. Es ist das Feedback, die Rückmeldung, daß wir uns richtig verhalten. Es ist genauso, als wenn Sie eine Sprache lernen. Sie können noch so viele Vokabeln lernen, wenn Sie nie überprüfen, ob Sie sie beherrschen, richtig aussprechen und beim Sprechen anwenden können, dann wird Ihr Lernerfolg äußerst gering sein. Lernen ist ein Prozeß der Verhaltensänderung. Das Verhalten aber kann man nur ändern, wenn man weiß, wieweit das bisherige Verhalten dem vorgegebenen Ziel entsprach. Jede Rückmeldung, ob ein Lernschritt erfolgreich bewältigt wurde, verstärkt damit die gewünschte Verhaltensweise. Dies ist auch einer der Gründe, daß die Form des programmierten Lernens so effektiv ist. Beim programmierten Lernen erfährt der Lernende nach jedem Lernschritt sofort, ob er richtig gelernt hat.
Wie Sie Ihr Ziel festlegen, trägt ganz entscheidend dazu bei, ob Sie es erreichen. Es gibt bestimmte Kriterien für die Definition eines Zieles. Nur wenn die Formulierung diesen Kriterien entspricht, ist das Ziel wohlgeformt.
Das fängt damit an, daß Sie immer nur Ziele für sich selbst setzen können. Wenn Sie sich also wünschen, daß sich Ihre Partnerin oder Ihr Partner ändert, so kann das nur ein frommer Wunsch sein. Kein Mensch kann einen anderen Menschen so einfach ändern. Das können nur »Zauberer« oder andere »Wesen mit überirdischen Fähigkeiten«.
Was Sie jedoch sehr wohl tun können, ist, auf andere Menschen indirekt einzuwirken, so daß sie sich von selbst ändern. Die Formulierung Ihres Zieles könnte dann etwa so lauten: Ich will bestimmte Fähigkeiten erwerben, mit denen ich andere Menschen beeinflussen kann. Diese Fähigkeiten sind ...
Noch einmal, formulieren können Sie nur Ihr eigenes Ziel, nicht das einer anderen Person. Jeder, der sich ein Ziel steckt, muß darauf achten, daß er selbst es erreichen kann. Das Ziel, im Lotto zu gewinnen, kommt also nicht in Frage. Auf den Lottogewinn hat nach menschlichem Ermessen, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, niemand Einfluß.
Darüber hinaus sollte Ihr Ziel situationsspezifisch und möglichst konkret sein. Angenommen, Sie wollen besser reden können. Eine solche Formulierung ist auf keine bestimmte Situation bezogen und nicht konkret. Wo wollen Sie besser reden können? Vor einer großen Gruppe oder gegenüber einer bestimmten anderen Person? Wann soll das der Fall sein, und wie wird sich das ausdrücken? Erst wenn Ihnen eine konkrete Situation vor Augen steht, ist das Ziel eindeutig.
Das Wort »besser« ist ein Vergleich, und Vergleiche soll die Zielformulierung nicht enthalten. Was heißt denn »besser« reden? Besser, als Sie jetzt reden, oder besser als Ihr Freund? Vergleiche dienen nicht der Klarheit.
Nicht nur bei der Zielformulierung, auch sonst in unserem Leben gehört nach meiner Überzeugung die Angewohnheit, zu vergleichen, zu den Eigenschaften, mit denen sich viele Menschen ihr Leben unnötig schwermachen. »Mir geht es viel schlechter als anderen Menschen.« »Meine Mutter liebt meinen Bruder/meine Schwester mehr als mich.« Obwohl solche Aussagen mit großer Wahrscheinlichkeit falsch sind, wirken sie gefühlsmäßig ebenso stark wie Tatsachen, einfach weil die Betroffenen fest daran glauben.
Zu mir kam ein vierundzwanzigjähriger Student, der sehr stark stotterte. Ich machte mit ihm eine Rückführung, das heißt, er erlebte im tief entspannten Zustand Geschehnisse aus seiner Vergangenheit wieder, Ein entscheidendes Erlebnis aus seiner Kindheit, das zumindest eine Ursache für sein späteres Stottern war, war ein Ereignis im Alter von sechs Jahren.
Vor seinem geistigen Auge konnte er sehen, was damals geschehen war. Es war sein erster Schultag. Mit der Zuckertüte im Arm verabschiedete er sich von seiner Mutter, um allein zur Schule zu gehen. Seine Mutter stand an der Tür. Sie drückte ihn nicht an sich oder hielt ihn an der Hand. Nein, sie stand aufrecht im Türrahmen, schaute auf ihn herab und sagte: »Du mußt besser sein als die anderen.« Das war alles. Kein liebes Wort, kein Lächeln, nur »besser als die anderen«!
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