»Der Rationalismus ist zu allen Zeiten mit dem Teufel rasch fertig geworden – in der Theorie wenigstens! … Die Aufklärung hat den Teufel ganz einfach als nichtexistent erklärt und den Teufelsglauben als eine Ausgeburt mythenbildender Phantasie gedeutet. In das optimistische Weltbild der Aufklärung passt natürlich die Macht der Finsternis nicht hinein. Der Hinweis auf den Teufelsspuk und Hexenwahn früherer Zeiten und der nicht ganz unberechtigte Stolz darüber, dass diese betrüblichen Erscheinungen durch den Geist der Aufklärung überwunden seien, mochten dieser rein negativen Beurteilung zu einem gewissen Ansehen verhelfen. Aber diese rationalistische Einstellung wird weder dem biblischen Zeugnis, in dem die Macht der Finsternis den notwendigen dunklen Hintergrund der Erlösungsbotschaft bildet, noch der reiferen christlichen Erfahrung gerecht. Wir können dabei jedenfalls nicht stehen bleiben.« 6
Trotz dieses Appells bleibt die Beschäftigung mit dem Unsichtbaren suspekt. Es fehlen Sprache und Denkkategorien, um dem wissenschaftlichen Anspruch des Theologietreibens gerecht zu werden. Die Ablösung von einem antiken Weltverständnis war gründlich; die Auseinandersetzung mit der erfahrenen Wirklichkeit des Unsichtbaren blieb jedoch weitestgehend unbefriedigend.
Als der Soziologe Peter L. Berger 1969 sein Buch: »Auf den Spuren der Engel« veröffentlichte, da schüttelte die theologische Welt nur den Kopf. Theologen waren vielmehr damit beschäftigt, den »Tod Gottes« zu proklamieren und zum aktiven politischen Handeln aufzurufen. Die Zeit für eine neue Weltsicht war scheinbar nicht reif. Da unternahm jemand den Versuch, auf eine Wirklichkeit hinzuweisen, die unsere Alltagswelt transzendiert, d. h. überschreitet und von enormer Bedeutung für die Menschen ist. Berger forderte eine Wiederentdeckung der Transzendenz und eine »Offenheit der Wahrnehmung« gegenüber der Wirklichkeit. 7Die Herausforderung Bergers findet jedoch kaum Gehör. Der Theologe Ernst Benz beschreibt in seinem Standardwerk »Die Vision« die Situation treffend. Erfahrungen mit der Welt des Unsichtbaren, so Benz,
»verführen den wissenschaftlichen Betrachter von heute meist zu einer rein psychopathologischen Deutung und – wenn möglich – Behandlung. Unsere heutige Zeit schützt sich so ängstlich gegen alle Erschütterungen vom Transzendenten her, dass sie die zeitgenössischen Träger einer visionären Begabung zunächst einmal in die Nervenklinik einliefert, mit dem redlichen Ziel, sie dort von ihren visionären Störungen zu befreien, und auch die früheren Träger derartig ›anormaler‹ seelischer Fähigkeiten zu Psychopathen erklärt.« 8
Unbeachtet der philosophischen und theologischen Deutung blieb das Böse in der Welt, und es mehrte sich. Um es zu begreifen, braucht man neue Kategorien. Schließlich versteht man Teufel und Dämonen vielfach nur als Begriffe, als Personifikationen des Bösen im Menschen oder auch in der Welt. Damit ordnet man die Auseinandersetzung dem Bereich der Ethik und Moral zu. Das Böse hatte nun keine offizielle Definition mehr, »es ist im Prozess der Neuzeit ins Unbewusste, Subjektive und Private abgesunken. Der einzelne ist mit seinem Bösen allein.« 9
2. Konfrontation mit der unsichtbaren Wirklichkeit
Man sollte meinen, das »Böse« habe nun mithilfe der Aufklärung seine klare Platzanweisung erhalten, und nicht nur das »Böse«. Die Verneinung der Welt des Unsichtbaren führte ja unmittelbar zur Einsamkeit des Menschen mit seiner Diesseitigkeit. Alles musste nun irgendwie erklärbar werden.
Es waren nicht erst die beiden großen Weltkriege mit ihren entsetzlichen Auswüchsen des Bösen, die massiv an diesem scheinbar intakten aufklärerischen Weltbild rüttelten. Die Konfrontation mit der unsichtbaren Wirklichkeit war durch alle Zeiten gegeben. 200 Jahre nach der Französischen Revolution, einem Höhepunkt der Aufklärung, haben heute Okkultismus und Religionen aller Art wieder Hochkonjunktur. Unsere Zeit ist nicht nur geprägt von einer nicht enden wollenden Technisierung und radikalen Gottlosigkeit, sondern auch von einer intensiven Suche nach dem verlorengegangenen Jenseits. Mit jedem Triumph der Vernunft ist zugleich auch eine Gegenbewegung geboren. Die Ahnung, dass es da noch mehr »zwischen Himmel und Erde« gebe, ist auch den Menschen unserer Zeit nicht abhanden gekommen. Die kirchliche Theologie schaut dieser neuen Religiosität etwas hilflos zu. Einerseits muss sie sich eingestehen, dass mit der Verbannung der Unsichtbarkeit aus der Theologie die Kirche ungeheuer arm geworden ist. Wenn nicht die christliche Kirche etwas sagen kann zu Engeln, zu Geistwesen; zu Dämonen und Teufel – wer denn sonst? Zum anderen scheuen sich die christlichen Theologen, in eine »unvernünftige« Theologie zurückzufallen; nach wie vor lässt man nur rational Einsichtiges und »Beweisbares« als Lehre gelten. Theologie soll eben auch Wissenschaft sein, und zwar eine Wissenschaft für einen aufgeklärten Denker unserer Zeit.
Wo aber sollen dann die Menschen mit ihrer Suche nach dem Jenseits hin, wenn die christliche Kirche sich geradezu verweigert? Es ist schon auffallend, wie selbst in evangelikalen und pietistischen Kreisen die ganze Welt des Unsichtbaren mehr oder weniger als unwichtig angesehen wird. Man glaubt sich mit dem Wort: Visionen, Engel, Dämonen oder selbst der Heilige Geist sind Dinge, die nicht so gut in dieses von der Aufklärung geprägte Denken passen, in der Hand auf sicherem Terrain! Aber immer wieder hat es auch Denker und Philosophen gegeben, die aus diesem angeblich modernen Denkraster ausscherten.
Einer der ersten, der bei Anbruch der aufklärerischen Zeit von sich reden machte, war der schwedische Naturwissenschaftler Emanuel Swedenborg (1688–1772). Er wurde als Bischofssohn in Stockholm geboren. Als Naturwissenschaftler und Erfinder sowie als Politiker genoss er bereits in jungen Jahren hohes Ansehen. Mit 37 Jahren jedoch beendete er seine Tätigkeit als Wissenschaftler. Er begründete diesen sensationellen Schritt mit einer Christus-Vision, die ihm zuteil geworden sei. Durch weitere Offenbarungen erhielt er Einblick in die »Welt der Geister«. Damit machte er die Redeweise von der jenseitigen Geisterwelt auch in Wissenschaft, Philosophie und Theologie wieder zum Thema. 10Das Denken Swedenborgs übte in der Folgezeit enormen Einfluss aus. So sieht Immanuel Kant den Menschen als »Bürger zweier Welten«, wobei für ihn die wahre Welt die Geisterwelt ist. Zahlreiche Kant-Forscher haben darauf hingewiesen, dass die grundlegenden Themen des Philosophen sich an Swedenborgs Thesen entzündeten. 11Auch Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) ließ sich durch Swedenborg inspirieren. Die Magie, der sich seine Figur Faust ergibt, ist eben der Verkehr mit der Geisterwelt, wie auch Swedenborg ihn pflegte. Für Goethe ist der schwedische Forscher zugleich ein »gewürdigter Seher unserer Zeiten«. 12Ansätze für eine neue Orientierung gab es auch bei pietistischen Lehrern wie z. B. dem schwäbischen Prälaten Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782) u. a. Auf die Götterdämmerung zur Zeit der Aufklärung folgte zunehmend eine Dämmerung der Vernunft. Die Religion und damit auch die Hoffnung und Orientierung an einem unsichtbaren Jenseits wurde eben nicht durch eine von Vernunft geprägte Wissenschaft abgelöst; die Kirche erwies sich aufgrund ihrer wissenschaftlichen Verhaftung in der Theologie allerdings auch nicht als der geeignete Gesprächspartner für die neue Religiosität. So blieb der Mensch weitestgehend mit seinen religiösen Erfahrungen allein.
Die hohe Zeit der Psychologie nahm ihren Lauf. Zugleich entwickelte sich eine Art Kult der Humanität, der die Verehrung des Menschen als dem höchsten Wesen verpflichtet war. Selbst das Denken des einstigen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow steht noch ganz in dieser Tradition. »Wir sehen den Sozialismus als die Gesellschaftsordnung eines echten realen Humanismus an, in welchem der Mensch tatsächlich als das ›Maß aller Dinge‹ auftritt« – so definierte er auf dem Parteitag der KPdSU laut »Prawda« vom 29. Juni 1988 das Ziel der »Perestroika«. Im selben Jahr erklärte seine Partei, dass der Mensch die Religion durch Erziehung überwinden könne und damit die »Hinwendung zum Übernatürlichen nicht vonnöten« sei. 13
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