Franz John und Josef Pollack werben fortan im MTV für einen Beitritt der Fußballer zum Verband der Fußballer. Die MTVler sind zu dieser Zeit bereits die stärkste Kraft im Münchner Fußball und somit geradezu prädestiniert für eine Vorreiterrolle. Aber ein Antrag auf Anschluss an den Fußballverband wird vom Hauptverein abgelehnt. Franz John: »Man wendete ein, dass es absolut nicht gehe, denn die Deutsche Turnerschaft erlaube es nicht. Im Übrigen ist die Deutsche Turnerschaft sowieso nicht gut auf uns zu sprechen, denn Reißner, Keyl, Prage und andere sind um Ehrenpreise bei leichtathletischen Wettkämpfen mitgelaufen.« Bei den Genannten handelt es sich um MTV-Fußballer. Die Wettkampforientierung der »english sports« und die Aussetzung von Preisen widersprach dem Denken der deutschen Turnideologen.
Alleine sind wir stärker
John und Pollack entscheiden sich bald dafür, die Trennung von den Turnern und die vollständige Unabhängigkeit anzustreben. Franz John: »Mir war von vorneherein klar, dass eine sportliche Entwicklung nur möglich war, wenn München, Bayerns Hauptstadt, dem Süddeutschen Verband nähergebracht wurde. Münchens Sportbetrieb stand damals weit hinter dem anderer Städte zurück und ein Aufschwung war meines Erachtens nur zu erwarten, wenn durch die Austragung von Verbandsspielen das allgemeine Interesse geweckt wurde. Ist der MTV auf Grund seiner Bin-dung mit der Turnerschaft nicht dazu in der Lage, bahnbrechend voranzugehen, so gab es für mich nur eine Lösung: die Gründung eines Fuß-ballklubs, der, dem Süddeutschen Verband angehörend, die sportliche Führung in München übernimmt und auf diese Weise befruchtend auf das Ganze wirkt.«
Als die Leitung des Hauptvereins von Johns und Pollacks Separationsbestrebungen hört, lädt sie zum 27. Februar 1900 ins Altmünchner Gasthaus Bäckerhöfl an der Schäfflerstraße ein. Auf einer großen Sitzung der Spielabteilung kommt es zum MTV-internen Showdown. Die MTV-Führung signalisiert Entgegenkommen, »der MTV würde das alles bieten, was man bräuchte, ja dass man auf einen Beitritt zum Süddeutschen Verband ohnehin nochmals zurückkommen werde und dass wohl für diesen Beitritt jetzt Stimmung vorhanden wäre« (John). Aber die Rebellen wollen sich nicht mehr länger hinhalten lassen. Franz John: »Ich stellte dem entgegen, dass ich eine sportliche Entwicklung innerhalb des Turnvereins nicht für aussichtsreich halte, da uns die Hände gebunden seien und wir stets eine Reihe von Rücksichten zu nehmen hätten, die bei einem reinen Sportverein niemals vorkommen könnten.« Schließlich trennt man sich friedlich.
Hinter John und Pollack stehen bei Weitem nicht alle MTV-Fußballer. Nur elf von ihnen verlassen den Tagungsort und ziehen ins Weinhaus Gisela in der Fürstenstraße in der Maxvorstadt um, einem Treffpunkt der in der Maxvorstadt und Schwabing residierenden und schaffenden Künstler. Elf Tage nach der Gründung des FC Bayern, am 9. März 1900, wird hier mit dem »Goethebund zum Schutz der freien Kunst und Wissenschaft« ein weiterer Verein aus der Taufe gehoben. (Der Abschnitt der Straße, an dem das »Gisela« lag, heißt heute Kardinal-Döpfner-Straße und liegt in der Nähe vom Odeonplatz.)
Möglicherweise wäre es zum Auszug von John, Pollack und Co. gar nicht gekommen, hätten John und Pollack nicht Garantien aus Freiburg vorgelegen. Als Gustav Randolph Manning von den Plänen der beiden erfährt, schreibt er John: »Wenn du einen Fußballklub dort gründest, so wirst du von uns (gemeint ist der FFC, d. A.) die weitgehendste Unterstützung erfahren.«
Die Gründung des FC Bayern
Noch am Abend des 27. Februars heben elf Rebellen den FC Bayern aus der Taufe. Die Gründungsversammlung besteht somit exakt aus einer Fußballmannschaft, aber auf der Gründungsurkunde stehen 17 Unterschriften. Diese wurden von Franz John bereits Tage vor der Gründung eingesammelt. Auf einem DIN-A5-Blatt erklärten die 17 ihre Bereitschaft, einem noch zu gründenden Fußballklub beizutreten, sollte es zum großen Knall auf der MTV-Sitzung kommen. John wollte sichergehen, im Falle eines Auszugs ausreichend Unterstützer zu haben. Zumal die Sitzung im »Bäckerhöfl« an einem Faschingsdienstag stattfand. Möglicherweise hatten seine Gegner diesen Termin bewusst gewählt: in der Hoffnung, viele der Fußballer würden lieber feiern, als an der Sitzung teilzunehmen, denn der Faschingsdienstag ist der Höhepunkt des Münchner Faschings. Erst im Nachhinein wird aus dieser Absichtserklärung eine Gründungsurkunde.
Die ersten Klubfarben sind bayerisch »Weiß-Blau«. Der neue Klub allerdings ist alles – nur nicht bayerisch. Seine »Macher« kommen zu einem Großteil nicht aus München oder Bayern, sondern aus Berlin, Freiburg, Leipzig und Bremen.
Erster Präsident des FC Bayern wird der Berliner Franz John, erster Schriftführer der Freiburger Josef Pollack, der auf dem Fußballfeld auch als erster Goalgetter des Klubs reüssieren wird. 1902 wird Pollack außerdem Vorstandsmitglied des Verbandes Süddeutscher Fußball-Vereine, dem der FC Bayern im Sommer 1900 beigetreten ist.
Paul Francke, der erste Kapitän des FC Bayern, ist Sachse und von Wacker Leipzig zum neuen Klub gestoßen. Als 1. Kapitän ist Francke für das Training und die Aufstellung verantwortlich.
Sein Stellvertreter, Wilhelm Focke, kommt aus Düsseldorf in die bayerische Metropole, stammt ursprünglich aber aus Bremen, wo sein Vater, Dr. Johann Focke, Senatssyndikus ist und 1900 das Historische Museum für bremische Altertümer gründet. 1918 wird das Museum zu Ehren seines Gründers in »Focke-Museum« umbenannt und heißt heute offiziell »Focke Museum – Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte«. Passenderweise ist Wilhelm Fockes Mutter Louise eine Nichte des französischen Malers Souchay de la Duboissière.
In Bremen hat Focke beim Bremer SC gekickt, einem der ältesten Fußballklubs Norddeutschlands und um die Jahrhundertwende Bremens Nummer eins. In München studiert Focke an der Königlichen Akademie für Bildende Künste beim amerikanisch-deutschen Maler Carl von Marr, Sohn eines deutschen Auswanderers und Kupferstechers. Carl Marrs nachhaltigster Eintrag in die Kunstgeschichte ist sein 1889 entstandenes Monumentalgemälde »Die Flagellanten«, das sich im Besitz des Museum of Wisconsin Art befindet.
Ein Dortmunder Pionier in München
Zu den Gründern des FC Bayern gehört auch der aus Dortmund stammende Benno Elkan, Sohn der jüdischen Kaufmannseheleute Salomon und Rosa (geb. Oppenheimer) Elkan. Schneidermeister Salomon Elkan ist Mitinhaber eines Herrentextilgeschäfts in der Dortmunder Innenstadt und zudem ein bedeutender Schachpionier seiner Stadt – Wegbereiter, Mitbegründer, Motor, Präsident und erster Ehrenpräsident des Dortmunder Schachvereins von 1875. Zu seinen Ehren wird alljährlich beim Dortmunder Sparkassen Chess-Meeting, einem der renommiertesten Schachturniere Deutschlands mit internationalen Spitzenspielern, der Salomon-Elkan-Preis verliehen.
Sohn Benno Elkan zählt zu Dortmunds Fußballpionieren. Er hatte zunächst eine kaufmännische Lehre absolviert, die er als höchst ungenügend empfand und die ihn nur langweilte. So berichtet er in seinen bislang unveröffentlichten (und vom BVB-Historiker Gerd Kolbe entdeckten) autobiografischen Notizen: »Es waren tote Jahre, nur belebt durch einen Kreis anderer Lehrlinge, denen ich das in Deutschland fast unbekannte Fußballspiel beibrachte. Wir zogen am Sonntagnachmittag aufs Land, baten einen Bauern um die Erlaubnis, seine Wiese benutzen zu können, rammten das Goal ein und spielten los. Langsam gewannen die Burschen Lust daran, wir sparten unser Taschengeld und ließen uns einen richtigen Ball von England kommen. Dann fingen wir ganz langsam an, unseren knappen Mitteln entsprechend, denn in jenen Zeiten arbeiteten wir nicht nur bis abends 8 Uhr und auch Sonntag vormittags ein oder zwei Stunden, Chef und Commis und Lehrling ›wegen der Post‹, sondern wir Lehrlinge bekamen auch keinerlei Gehalt. Also mit den gleichartigen Sweatern und den Mietzen ging es noch, nur die echten Fußballschuhe aus England kamen erst sehr, sehr langsam in unsern wirklichen Besitz. Mittwochabend war die Zusammenkunft mit viel Bier und Rauch und Gesang, ein richtiger deutscher Verein entstand bei den Erben. Ich dichtete ein Fussball-Lied, das nach der Melodie von Luetzows Jaegern flott und herausfordernd gesungen wurde. Es wurde Jahrzehnte später noch gesungen und vielleicht noch heute, da der Dichter längst den Augen und dem Gedächtnis entschwunden ist, und vielleicht noch in all den Städten, in denen die zerstreuten Kollegen neue Vereine gegründet haben, sodass ich als einer der Großväter des deutschen Fußballsports angesehen zu werden, mich rühmen kann. Obwohl es niemand andres tut und weiß – so für mich selbst.«
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