1 ...6 7 8 10 11 12 ...26 Um die Jahrhundertwende, also zum Zeitpunkt der Gründung des FC Bayern, leben und arbeiten in Schwabing und der Maxvorstadt u. a. Paul Klee, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter aus der Malervereinigung »Blauer Reiter«, Ludwig Ganghofer, Heinrich Mann, Thomas Mann, Oskar Panizza, Ricarda Huch, Frank Wedekind, Rainer Maria Rilke, Ludwig Thoma, Stefan George, Christian Morgenstern, Lion Feuchtwanger, Joachim Ringelnatz, Oskar Maria Graf. Von ihrer Herkunft her ist diese Szene ähnlich gestrickt wie der frühe FC Bayern: Die wenigsten der Schwabinger Kulturschaffenden sind Münchner oder auch nur Bayern. Ihre Freizeit verbringen sie in den zahlreichen Kaffeehäusern Schwabings und der Maxvorstadt. Hier verkehren auch viele der ersten Bayern-Aktivisten. Ähnlich wie in Wien und Budapest kommt es zu einer Melange von Kulturszene und Fußball. Wie einige der Wiener und Budapester Klubs ist auch der in einem Weinlokal gegründete FC Bayern zunächst ein »Kaffeehausverein«.
Noch In den Jahren der Weimarer Republik sind nach den (häufig jüdischen) Textilkaufleuten die Kaffeehausbesitzer die eifrigsten Inserenten in den »Clubnachrichten« des FC Bayern. So Café Glonner in der Rosenstraße (»Täglich Abend-Konzerte. Stammtisch des F.C. Bayern«), Conditorei Café Trautwein an der Ecke Goethe-Landwehrstraße (»Treff-punkt der Bayern. Inhaber: C. Trautwein. Langjähriges Mitglied des FC Bayern«), Café »Der Reichsadler« in der Herzog-Wilhelm-Straße (»Vornehmstes Familien-Café-Restaurant mit herrlicher Gartenterrasse. Täglich spielt nachmittags und abends Sandor Horvath mit seiner berühmten ungar. Magnaten-Kapelle. Treffpunkt der Sportwelt«), Zentral-Café »Ungerer« in der Dachaustraße (»Treffpunkt der Bayern! Nachmittags und abends Künstler-Konzerte«).
Das Schwabing der Jahrhundertwende gilt als liberalster Ort Deutschlands und erfreut sich deshalb auch bei politischen Dissidenten großer Beliebtheit. Im Jahr der Bayern-Gründung treffen vier russische Sozialrevolutionäre in Schwabing ein, auf der Flucht vor der zaristischen Geheimpolizei. Einer von ihnen heißt Wladimir Iljitsch Uljanow und nennt sich in München erstmals »Lenin«. Im Künstlerlokal »Café Stefanie« an der Ecke Amalienstraße/Theresienstraße verkehren mit Kurt Eisner, Gustav Landauer und Erich Mühsam einige der späteren Rädelsführer der Münchner Räterepublik. Angeblich wurde das revolutionäre Unternehmen hier ausgeheckt.
Die Pioniere verlassen München
Die meisten Studenten oder Kulturschaffenden allerdings werden in München nicht dauerhaft heimisch. Auch die Klub-Pioniere John, Francke, Focke, Elkan und Pollack verlassen nach und nach die Stadt, wie schon zuvor die Freiburger Gastspieler.
Franz John, auch Gründer des Bayerischen Schiedsrichterkollegiums, kehrt 1904 nach Pankow zurück. Dort betreibt er ein Fotolabor und -atelier. Der Künstlertyp ist ein Freund der Frauen. Sein Fotoatelier bietet ihm exzellente Möglichkeiten, diese näher kennenzulernen.
Der Fußball kommt trotzdem nicht zu kurz. John wird Präsident seines Stammvereins VfB Pankow und bleibt dies zwei Jahre. Außerdem sitzt er im Satzungsausschuss des Verbandes Brandenburgischer Ballspielvereine (VBB). Zu seinen Hobbys zählt das Abfassen von Stegreifversen, die er bei kleinen Festen vorträgt. In den 1920er Jahren wird John zum Ehrenvorsitzenden des FC Bayern ernannt, 1936 verleiht ihm der Klub die goldene Ehrennadel. Allerdings werden seine Verbindungen nach München seit der Rückkehr nach Pankow zusehends loser.
Wilhelm Focke studiert noch in Weimar und Berlin. In der Reichshauptstadt gehört er zur Meisterklasse des Historienmalers Prof. Arthur Kampf. Zu seinen Förderern zählt Max Liebermann, der sich vor allem für Fockes Pferdebilder begeistert. In Berlin schließt der ehemalige Fuß-ballpionier Freundschaft mit den Künstlerkollegen Oskar Kokoschka, Max Slevogt, Hans Thoma und Olaf Gulbransson. Zwischenzeitlich betätigt er sich mit seinem jüngeren Bruder Henrich Focke als Pionier der Bremer Luftfahrt. Außerdem entwickelt er das »Doppelboot«, Vorläufer des Katamarans.
Doch die Malerei packt ihn noch mehr als die Technik. Nach dem Ersten Weltkrieg unterrichtet Wilhelm Focke zehn Jahre an der Bremer Kunstgewerbeschule. Anschließend verdingt er sich als freier und unabhängiger Künstler. Focke malt Landschafts-, Meeres-, Tierbilder und Akte und avanciert in Norddeutschland zu einem hochgeschätzten Künstler mit einem großen Freundeskreis, der ihn auch durch schwierige Zeiten bringt. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wählt Focke die innere Emigration und verkriecht sich auf das mütterliche Gut Mechow in Mecklenburg.
Paul Francke geht im Oktober 1900 als Kunstmaler nach Paris; im April 1907 kehrt er nach Leipzig zurück. Auf dem Leipziger Nikischplatz steht ein Gedenkstein des Bildhauers Hans Zeißig, der an drei im Ersten Weltkrieg gefallene Leipziger Künstler erinnert: Franz Tittmann, Arthur Heinrich und den Bayern-Mitbegründer Paul Francke.
Benno Elkan meldet sich am 8. Oktober 1901 aus München ab. Der Künstler zieht nach Karlsruhe, wo er sich dem Studium der Bildhauerei widmet. Hier lernt er auch seine spätere Frau kennen, die Rabbinertocher und Konzertpianistin Hedwig Einstein, eine Schwester des Kunsthistorikers Carl Einstein. Das erste Werk des Bildhauers (die »Wandelnde«) ist auf dem Dortmunder Ostfriedhof zu sehen. Anschließend lebt und arbeitet Elkan in Paris und Rom. 1911 kehrt er mit Frau und Tochter Ursula nach Deutschland zurück und lässt sich in Alsbach an der Bergstraße nieder.
Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er teilnimmt, zieht der Bildhauer mit der Familie nach Frankfurt/M. 1920 wird dort an der Ecke Kaiserstraße/Gallusanlage sein Denkmal »Den Opfern« eingeweiht. Das den Opfern des Ersten Weltkrieges gewidmete Mahnmal, das zunächst als Skulptur »Heldenklage« in Alsbach stand, besteht aus einer trauernden Mutterfigur. Figur und Inschrift brechen mit der Tradition martialischer und chauvinistischer Kriegerdenkmäler. Nationalistische und militaristische Kreise denunzieren Elkans Werk als »undeutsch« und gehen auf die Barrikaden.
Doch der Künstler lässt sich nicht einschüchtern. 1925 stellt die Stadt Völklingen ein ähnliches Elkan-Mahnmal auf, auf dessen Sockel »Allen Opfern« steht, was Nationalisten und Militaristen erneut in Rage bringt. Elkan ist längst ein viel gefragter und gut bezahlter Künstler. 1930 wird auf dem Mainzer Schillerplatz aus Anlass der Beendigung der alliierten Rheinlandbesetzung ein »Befreiungsdenkmal« enthüllt, das eine große, aus Stein gemeißelte Frauenfigur mit nacktem Oberkörper zeigt, die die Arme gen Himmel streckt. Diesmal ist es weniger die politische Aussage, sondern der entblößte Busen, der Widerspruch provoziert.
Kaum haben die französischen Truppen Mainz verlassen, nehmen die antisemitischen Aktivitäten in der Stadt zu. Im März 1933 lässt der kommissarische Mainzer Oberbürgermeister Philipp Wilhelm Jung das Elkan-Werk abreißen. Im Laufe des Jahres verschwinden weitere Elkan-Werke aus dem öffentlichen Raum. So auch in Frankfurt, wo sein Mahnmal »Den Opfern« aber 1946 in der Taunusanlage wieder aufgestellt wird.
Der Künstler selbst wird von den Nazis mit einem Berufsverbot belegt und emigriert Ende 1934 nach London. In England schafft er u. a. eine Orang-Utan-Büste, die heute im Zoo von Edinburgh zu besichtigen ist, porträtiert während einer Reise nach Lausanne den Schweizer Minister Stucki und den jungen König von Siam und, zurück in London, den Prinzen Edward von Kent. Zur Erinnerung an Rudyard Kippling, den ersten englischen Literaturnobelpreisträger und Autor des »Dschungelbuches«, gestaltet Elkan ein großes Bleirelief, das Figuren aus dem »Dschungelbuch« zeigt. Im Sommer 1938 wird in den Londoner New Burlington Galleries die Ausstellung »German Twentieth Century Art« eröffnet, aus Protest gegen die Ächtung »entarteter« Kunst im NS-Deutschland. Sie präsentiert Arbeiten fast aller wesentlichen Künstler der Moderne in Deutschland, so von Max Liebermann, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Georg Grosz, Max Beckmann, Otto Dix, Oskar Kokoschka – und auch von Benno Elkan.
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