»Danke, ihr Säcke«, sagte ich deshalb laut und zog zwei Fotos hinter der Sonnenblende hervor. Erneut stiegen mir Tränen in die müden Augen. Eines der Fotos war am Abend unserer Verlobung gemacht worden; wir hatten Inez’ Verwandte in deren Haus in Saltillo besucht. Es war eine großartige Zeit gewesen. Ich setzte den Flachmann noch einmal an und betrachtete dabei das zweite Bild; es stammte von Bellias Taufe. Sie und ihre Mutter waren wirklich wunderschön. Die Kleine mit ihrem weichen, dunkelhaarigen Köpfchen … Gott sei Dank schlug sie mit ihrem Aussehen ihrer mamacita nach. Ich kicherte und weinte zur gleichen Zeit.
Das vergangene Jahr war mir nur dunkel und verschwommen im Gedächtnis geblieben, und nach all dem zurückliegenden Elend hatte ich ein Riesenglück, dass Inez mir weiter die Treue hielt. Die Schießerei und der Unfall waren aber natürlich nicht unbemerkt an meiner Familie und mir vorübergegangen. Der jüngste Ausfall mit dem Gouverneur erinnerte mich nur wieder daran, dass es mit meinem Glück bald vorbei sein würde und ich, was Inez betraf, mein Schicksal mehr oder minder besiegelt hatte. Denn dies würde garantiert der Tropfen sein, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Der warme Whiskey rann meinen Rachen hinunter … wie hatte ich nur schon wieder so einen Mist bauen können? Jesus Christus, diese Frage war mir im Laufe der letzten Jahre ganz schön oft gekommen, eine Antwort darauf allerdings nie. Ich sah kommen, dass der verfluchte Flachmann leer sein würde, wenn ich irgendwann aus diesem gottverlassenen Parkhaus fahren würde.
Im Kassettendeck lief »Ain’t Wastin’ Time No More« von den Allman Brothers, und mein verhangener Horizont klarte langsam auf. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass meine Gebete endlich erhört worden waren, an welches höhere Wesen ich sie auch immer gerichtet haben mochte – dies war ein Zeichen. Ich warf den zweiten Zigarettenstummel aus dem Fenster und trank noch einmal aus dem Flachmann, bevor ich ihn zurück ins Handschuhfach steckte, dann stellte ich die Hurst-Automatik auf Dauerbetrieb.
Der Regen trommelte auf meinen mitternachtsblauen Plymouth, während ich den Weg zum Ausgang des Flughafenparkhauses zurücklegte und schließlich auf den Freeway in Richtung Südosten einbog.
Ich hatte meine Entscheidung gefällt! Sturm und Regen folgten mir nach Houston.
Route 45 South
Die Nässe spritzte unter den Reifen des Cadillac hervor, und ein Schild mit der Aufschrift »Willkommen in Texas« flog in der kühlen Nacht vorüber. Niemand im Wagen bemerkte es allerdings oder interessierte sich überhaupt dafür. Grauer Dunst strömte aus den getönten Scheiben und vermischte sich mit dem Dampf, der von Highway 45 aufstieg. Vereinzelte Straßenlaternen leuchteten im Vorbeifahren auf, doch Isandro sah sich in keiner Weise dazu bemüßigt, Notiz davon zu nehmen.
»Hey, esé , keiner hat mehr cerveza oder Tequila. Wir müssen unbedingt einen Laden finden, und zwar pronto , yo «, ordnete er an. Seit sie ihr »Partyhäschen« abgestoßen hatten, war es unangenehm still im Wagen gewesen, also war er der Meinung, dass seine Chaostruppe mal wieder einen Tritt bräuchte, und keinen Alkohol mehr an Bord zu haben, lief dem Ganzen zuwider. Er stürzte gerade den letzten Rest Tequila hinunter, und auch das Gras war schon fast vollständig aufgebraucht. So wird das alles nichts , dachte er.
Er betrachtete ununterbrochen das Foto seiner Zwillinge und kämpfte dabei mit aller Macht dagegen an, in Tränen auszubrechen. Denn er durfte vor seiner Crew auch nicht nur einen Hauch von Schwäche zeigen – das durfte er einfach nicht. Denn genau aus diesem Grund war sein Arsch zuletzt überhaupt wieder im Knast gelandet. Doch seit er dem Wärter die Kehle durchgeschnitten hatte und in den Mülllaster geklettert war, stand sein Schwur fest: Er würde sich niemals mehr angreifbar zeigen – selbst, wenn er dabei draufging. Der Tod war immer noch besser, als ein rückgratloser pequeño puto zu sein.
»Wenn mich nicht alles täuscht, steht auf dem Schild dort drüben was von Spirituosen«, rief Hector und blinkte rechts, um die nächste Ausfahrt nehmen zu können, die sie zu der Leuchtreklame führen würde, einer Oase in der klammen texanischen Nacht.
Eine einzelne kleine Laterne hing über dem aufgerissenen Pflaster vor dem alten Schnapsladen wie eine welkende Blüte an einer Ranke. Feiner Regen ergoss sich senfgelb auf den porösen Asphalt, als der Cadillac mit quietschenden Reifen am Gebäude vorfuhr. Die alten Scheibenwischer taten sich extrem schwer mit der schleimigen Nässe auf dem Glas, und von Norden her wehte ein kalter Wind. Isandro erschauderte, als er hinten ausstieg und geduckt los eilte. Die anderen Crewmitglieder folgten ihm, nur Hector nicht, der hinter dem Steuer des laufenden Wagens sitzen blieb.
Während der Boss seinen Blick durch den Regen schweifen ließ, entdeckte er einen rostroten Chevy Pick-up und einen blauen Ford Torino Kombi auf dem Grundstück. In Letzterem saß eine aufgeregte Frau, die gerade zwei kleine Kinder ausschimpfte. Dies alles nahm er zur Kenntnis, als er das Geschäft betrat. Ein Glöckchen kündigte die Kundschaft an, als die Gruppe in den gut sortierten Laden kam. Für Isandro war das Meer aus Flaschen Seelenheil in abgefüllter Form, er suchte die vollen Regale an den Wänden deshalb langsam und sorgfältig ab.
»Immer cool bleiben«, wisperte er seinen Schergen zu, als sie sich im Raum aufteilten. Jeder kannte seine Aufgabe ganz genau und wusste, was geschehen würde, wenn er patzte. Die um einen Kopf kürzer gemachte Blondine bei Mickey Dee’s diente als eindrückliches Beispiel dafür, was geschah, wenn jemand Big Papi ärgerte. Auf all das konnten sie im Moment getrost verzichten, denn es war viel zu laut.
***
Paul Reynolds war hundemüde. Die Spätschicht im Betrieb brachte ihn immer fast um, und er brauchte dringend einen Wodka. Etwas – irgendetwas – das ihn abstumpfte gegen den Scherbenhaufen, der von seinem Leben übrig geblieben war, seit er dieses Luder Traci geschwängert hatte. Gott musste offenbar einen tiefen Hass auf Pauls arme Seele geschoben haben, dass er ihm nicht nur einen, sondern gleich zwei besserwisserische Halbstarke aufgebürdet hatte. Sein Traum war es einmal gewesen, der nächste Quarterback der Dallas Cowboys zu werden, doch jetzt, schuftete er sich in der Ölraffinerie zu Tode beziehungsweise wartete darauf, dass seine Leber endlich versagte, um aus dieser Hölle auf Erden verschwinden zu können.
»Kann gar nicht schnell genug gehen«, klagte er, schnappte sich eine Flasche Mad Dog 20/20 aus dem vollen Regal und steckte sie in seine abgetragene Jacke. Hoffentlich schaute der alte Mann an der Theke nicht gerade zu ihm hinüber, denn das war das Letzte, was Paul im Moment gebrauchen konnte. Er wollte sich einfach nur heillos besaufen und dabei sein Leben vergessen, sich vielleicht das Spiel der Rangers in ihrem schrottreifen Fernseher ansehen und das ganze Wochenende durchschlafen. Vielleicht würde er sich sogar noch zu den Solid Gold Dancers sein Handgelenk trainieren und dann mit der Bitte in ein postorgasmisches Koma fallen, dass der Tod ihn vor Montagmorgen heimsuchen würde.
Er konnte nicht ahnen, dass sein Flehen schon so bald erhört werden sollte.
***
Die letzten Dinge, die Paul durch den Kopf gingen, waren die klingelnden Glöckchen an der Tür des Schnapsladens und eine 9mm-Patrone, die sein Blut und Teile seines Gehirns auf das Rum-Sortiment von Capt. Morgan spritzen ließ. Cahill hielt die rauchende Kanone hoch und lachte dabei wie eine kranke Hyäne.
Isandro packte ihn am Kopf und schleuderte seinen dünnen Körper wütend gegen einen Schrank mit Gin-Flaschen. Das Glas zerbrach, sodass sich die klare Flüssigkeit über sie beide ergoss. Dadurch, dass er mit der Pistole über Cahills Schläfe fuhr, fügte er ihm einen tiefen Schnitt zu, bevor der freche Knabe im Regal, das voller Scherben war und vor Alkohol tropfte, zu Boden sackte.
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