»Hector«, rief Isandro mit gedämpfter Stimme und lief schnell zu seinem Komplizen hinüber, um ihn zu umarmen.
»Toll, dich endlich wiederzusehen, Bruder«, erwiderte Hector, während er ihn zur Klappe lotste.
»Das Ganze wird jetzt ein bisschen … schmutzig , aber die Crew wartet bereits draußen. Hoffentlich macht es dir nichts aus, dich ein paar Minuten lang im Dreck zu wälzen.« Hector versuchte, seinen Verwandten noch einmal zu umarmen, doch Isandro hatte bereits genug von dem gefühlsduseligen Unfug. Er nickte daher distanziert und umklammerte einen Griff am Laster.
»Meine Fresse, nein, ich habe mich während der letzten zwei Jahre ständig im Dreck gewälzt und komme ohne Probleme damit klar.« Nachdem er seinen Bruder einen festen Klaps auf die Wange gegeben hatte, sprang er in den Laderaum des Fahrzeugs. »Verschwinden wir von hier.«
Hector schaute hoch. »Was möchtest du denn zuerst machen?«, fragte er strahlend.
»Puta«, antwortete Isandro mit einem Blick zurück zum Gefängnis. »Danach stelle ich McCutcheon und zeige ihm endlich, was richtiger Schmerz und die Hölle auf Erden bedeuten.« Er spuckte auf den regennassen Asphalt. »Vamanos!«
Er blickte zum schwarzen Himmel hinauf und ließ kalten Regen über sein vernarbtes Gesicht strömen. Äußerlich mochte er vielleicht besonnen wirken, doch tief in ihm prasselten das Feuer des Hasses und eine Vergeltungssucht, die er jahrelang fieberhaft geschürt hatte. Jetzt war er wieder frei, und dies bedeutete, dass die Welt bluten würde!
2.700 Fuß über Dallas/dem Fort Worth International Airport
Freitag, 1. April 1985, 20:30 Uhr
Ich wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und versuchte, mich zusammen zu reißen, denn sonst hätte ich Galle gekotzt. Sie schmeckte nach schlechten Tortillas und verbrannten Arschhaaren. Beim Gedanken daran musste ich direkt einen weiteren Schwall des brennenden Safts hinunterschlucken. Nur noch ungefähr eine Viertelstunde, dann würde ich aus diesem beschissenen Vogel steigen und nach Hause zurückkehren können. Ich befürchtete jedoch, dass dies wohl knapp vierzehn Minuten zu lange dauern würde. Mein Magen fühlte sich nämlich an, als sei ich gerade auf einer Achterbahn mitgefahren, die Satan höchstpersönlich entworfen hatte. Der Flug von Washington aus hatte sich qualvoll dahingezogen, und der Gouverneur war ungefähr so charismatisch wie ein abgestorbener Baumstumpf. In der Kabine stank es nach Whiskey, Zigarren und Fürzen vom Widerlichsten. Ich arbeitete zwar erst wenige Wochen als Aufpasser für diese Witzfigur, war sein überhebliches Getue aber schon so was von leid. Allerdings konnte ich mich nicht entscheiden, was mir gerade schwerer zusetzte: Mein Hass auf das Fliegen oder die schlechten Witze, die der alte Stinkstiefel die ganze Zeit von sich gab wie eine Platte mit einer hängen gebliebenen Nadel oder Durchfall, der durch einen Rasensprenger gejagt wurde.
»Mein Junge, kennen Sie den, über den einbeinigen Hispanier mit dem Glas Erdnussbutter?« Der Gouverneur lachte ausgelassen und boxte kumpelhaft meinen Arm.
Dieser Typ ist echt die Krönung. Ich schenkte ihm ein verkrampftes Lächeln und tat so, als sei mir das Ganze nicht scheißegal.
Dieser schleimige Politiker war mit dem berühmten goldenen Löffel im Maul geboren worden und noch dazu erheblich korrupter als die NFL, MLB sowie alle Kongressabgeordneten zusammen. Noch mehr Galle vermengte sich mit meinem Speichel; ich würgte die Flüssigkeit krampfhaft wieder hinunter, kippte einen Schluck Wasser hinterher und warf anschließend dem dicken Mann einen Blick zu, an dem er keinen Anstoß nehmen konnte. Nun zog ich die Spucktüte aus dem Beutel am Sitz vor ihm. Deren frischer Inhalt trug noch mehr zu dem herrschenden Aroma an Bord bei, das an einen Hinterhof denken ließ. Meine Eingeweide drehten sich um, während sich das Flugzeug zur Seite neigte.
»Man hört, eine kleine, heiße mamacita aus Mexiko warte auf Sie, wenn wir landen, stimmt das?« Der Gouverneur zog seine langen, weißen Augenbrauen hoch, die mich irgendwie immer an Insektenfühler erinnerten, und zwinkerte mir kumpelhaft zu.
»Ja, Sir. Ihr Name lautet Inez. Wir sind verlobt.« Ich musste unbedingt cool bleiben, aber dieser Kerl raubte mir allmählich wirklich den letzten Nerv. Ich nippte erneut an dem warmen Wasser, weil ich den Geschmack von Erbrochenem im Mund loswerden wollte. Irgendwie war dieser aber trotzdem noch angenehmer als die Gesellschaft, in der ich während der vergangenen Stunden gesessen hatte. Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich liebe meinen Job, nie hätte ich etwas anderes werden wollen als Texas Ranger. Dieser Beruf ist ein Vermächtnis meiner Familie – von den stark belaubten Wipfeln des Stammbaums der McCutcheons bis ganz hinunter zu meinem runzligen Arsch, der noch gar nicht so alt ist. Wir alle haben ihm unser Leben gewidmet, ja einige von uns sind sogar für die Rangers gestorben, aber verdammt: Wachdienst für diesen Schürzenjäger schieben – für diesen Betrüger, der krummer war als ein Sahuaro-Kaktus im Wind – hätte selbst die ausdauerndsten unter den hartgesottenen Mitgliedern meiner Sippe vor eine Herausforderung gestellt.
»Oh, ich wollte Sie damit keineswegs beleidigen, Ranger.« Der Fettarsch mit dem zerknitterten Anzug stieß gegen meinen Oberschenkel und zwinkerte mir noch einmal scheußlich zu.
»Das dachte ich auch nicht, Sir.« Ich schluckte schwer und schob mein Bein unauffällig aus der Reichweite seiner schweißnassen Hände. Beim Lügen hatte ich mich schon immer schwergetan und ich hätte diesen nicht müde werdenden Schwätzer am Liebsten vor vollendete Tatsachen gestellt, aber ich wusste nur allzu gut, wohin das Ganze dann ausgeartet wäre. Diesen Fehler hatte ich leider schon zu häufig begangen, um noch mitzählen zu können, und war mir deshalb ziemlich sicher, meine Karriere dieses Mal nicht mehr retten zu können. Mich feuern zu lassen stand allerdings nicht auf der Liste der Aufgaben, die ich an jenem Tag erledigen wollte, also entschloss ich mich, die Kröte einfach zu schlucken und abzuwarten, bis das verfluchte Flugzeug endlich landete.
»Haben Sie zufällig Fotos von Ihrer Verlobten dabei?« Der besoffene Klops rutschte nun auf seinem Platz nach vorne, wobei das Leder knarrte, als er einen fahren ließ, der gewiss die ganze Kabine ausräuchern würde. Er selbst schien es allerdings gar nicht bemerkt zu haben. Ich ignorierte das Geräusch, doch der Geruch war leider nicht auszublenden. So ein Mist.
»Also was ist, Junge? Fotos? Warten Sie kurz, ich muss zuerst mal meinen kleinen Freund auswringen. Seien Sie so gut und schenken Sie mir in der Zeit einen Irish Whiskey ein, ja?« Nachdem er mir abermals zugezwinkert hatte, hievte er sein breites Gesäß aus dem Sitz, allerdings nicht, ohne vorher noch einmal knarzend Darmgas entweichen zu lassen.
»Oh, und ein Spritzer Cola light bitte auch, falls es Ihnen nichts ausmacht.« Er klopfte mit einer seiner fleischigen Hände auf den kleinen Kühlschrank und ging dann hastig nach hinten zur Toilette, während er sich in den Schritt fasste.
Ich hielt den alten Mann zwar für einen ausgemachten Volltrottel, führte seine Befehle aber natürlich dennoch immerzu aus und respektierte seine Position ungeachtet der Napfsülze, die sie bekleidete. Nun atmete ich einmal tief durch, nahm eine Lucky Strike aus der inneren Brusttasche meines Jacketts und zündete sie an. Der beruhigende Rauch breitete sich sofort in meiner Lunge aus, während ich zur Minibar ging, um ein Glas mit Whiskey für den spleenigen Politiker zu füllen.
Dabei wandte ich mich an Novak: »Jesus Christus, womit um alles in der Welt habe ich diesen Albtraum denn bloß verdient?« Als ich vor der Theke stand, nahm ich alles, was für den Drink des Arschlochs vonnöten war. »Ist das denn zu fassen?«, wisperte ich. Alles, was meine Kollegen zu entgegneten hatten, war ein zurückhaltendes Lachen.
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