Tatsächlich ist die Frage der Periodisierung eine, die Historiker-innen und Historiker manchmal zu wenig beschäftigt. Die klassische, eurozentrische Einteilung der Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit wird oft nicht genügend hinterfragt. Zweifelsohne dient die Periodisierung dem Festmachen von historischen Prozessen, die mit einem vermeintlichen Anfang und Ende dargestellt werden können. Die Geschichte, als „science des hommes dans le temps“, wie sie Marc Bloch bezeichnete, verlangt nach einer Einteilung für ihre Deutung. Jede Arbeit, die sich mit historischen Prozessen befasst, muss zwangsläufig auf eine Periodisierung zurückgreifen. Das Thema wird zeitlich eingeschränkt und eingeteilt, zeitliche Konnexe hergestellt, das Kontinuum der Zeit je nach Anforderung für eine angemessene Behandlung des Themas hierarchisiert, gedehnt und gestreckt, um Zäsuren angeordnet. So meint etwa Jürgen Osterhammel: „Die Zeitstrukturem, die sich Historiker als ihre Hilfsmittel zurechtlegen, sind niemals ganz aus der rekonstruierbaren Zeitwahrnehmung der historischen Subjekte geschöpft“. 1 Diese Periodisierung kann sich an Datierungen (Jahrzehnte, Jahrhunderte oder „lange“ Jahrhunderte), Herrschaftsperioden (die „karolingische Zeit“, die Zeit der Tudors in England), besondere Daten und Zäsuren (etwa 1492, 1648, 1789, 1815, 1914 für die europäische Geschichte), wirtschaftliche Entwicklungen (die Industrielle Revolution) und einer Vielzahl anderer Faktoren richten. Gemeinsam ist jeglicher Art von Periodisierung, dass sie einteilend und einschränkend wirkt. In ihr geht es genauso um das Weglassen wie um das Einbeziehen von bestimmten Ereignissen und Entwicklungen. Dies bedeutet auch, dass die Periodisierung auf spezifische Ereignisse oder Ereignisketten hinweist, den Blick auf bestimmte Faktoren – etwa politische, wirtschaftliche, religiöse oder andere Vorgänge – richtet und damit der „Zeit“ Struktur gibt. So sehr uns diese Einteilungen bei der Widergabe von Vorgängen helfen und eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen in einer ”gemeinsamen Sprache“ erlauben, so können sie dazu verleiten, tradierte Auffassungen von Zeitlichkeit nicht in Frage zu stellen. Frei nach dem Zitat von Samuel Butler – „God cannot alter the past, though historians can“ – wird mit der Definition einer Zeitlichkeit oder einer Periodisierung auch Geschichte „gemacht“. Historikerinnen und Historiker ändern mit ihren Analysen die Geschichte und geben ihr neue Interpretationen und neue Bedeutung.
Trotz unterschiedlicher Versuche, Zeit und Zeitlichkeit von den althergebrachten Einschränkungen zu lösen, wie dies etwa in der Globalgeschichte oder der connected history geschieht, bleiben bis heute zu einem grossen Teil nationalhistorische Vorstellungen paradigmatisch für die Geschichtswissenschaft. In diesen wird eine auf einen bestimm ten Raum erstellten Abfolge von Ereignissen Relevanz zugesprochen. Auf ihre lange Vorherrschaft in der Geschichtswissenschaft ist es auch zurückzuführen, dass viele Periodisierungen geografisch nationalen Territorien gleichen. Schließlich kann Jacques Le Goff gefolgt werden, wenn er meint: „Dividing history into periods is never […] a neutral or innocent act. The changeable reputation of the Middle Ages over the past two hundred years proves my point. Not only is the image of a historical period liable to vary over time; it always represents a judgement of value with regard to sequences of events that are grouped together in one way rather than another.“ 2 Daher stellt sich umso mehr die Frage nach einer regionalhistorischen Betrachtung nicht nur von Raum, sondern auch von Zeit. Mit einer regionalspezifischen Periodisierung wird der Konnex zwischen dem Raum (der Region) und „seiner“ Zeit hergestellt. Damit löst sich die Regionalgeschichte von nationalhistorisch tradierten Erzählungen und kann sich mit, neben und unabhängig von diesen darstellen lassen sowie in einem supranationalen und globalen Kontext einbetten. Die Problematik der Übertragung westlicher/ eurozentrischer Periodisierungen auf den Rest der Welt kann parallel zur Problematik der Übertragung nationalhistorischer Periodisierungen auf Regionen betrachtet werden. Solche Übertragungen führen automatisch zu einer Einschränkung und Verneinung spezifischer Periodisierungen.
Regionale Perspektiven haben aber auch ihre Tücken, denn sie reproduzieren im Kleinen oft dieselben Mechanismen, die den nationalen Identitäten zugrunde liegen. Das Erbe des 19. Jahrhunderts sind nicht nur Nationalismen, sondern auch die vielen lokalen „Mikronationalismen“, die Historiker häufig mehr oder weniger bewusst dazu veranlassten, in anachronistischer Weise die regionalen Identitäten der Gegenwart in die Vergangenheit zu projizieren, sie im genealogischen Sinne als „Abstammungsgemeinschaften“ zu verstehen, die aus biologischer, kultureller, sprachlicher und territorialer Sicht definiert sind.
Diese Identitäten sind voll und ganz Teil der „vergifteten Landschaft“, um einen wirkungsvollen Ausdruck von Patrick J. Geary zu verwenden, die die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts den folgenden Generationen hinterlassen hat. 3 Die innovativste Forschung, die in den letzten Jahrzehnten der regionalen Dimension eine neue Zentralität verliehen hat, während sie gleichzeitig einer in sich geschlossenen Lokalgeschichte entkommen ist, war und ist von dieser Landschaft weit entfernt. Sie beschreitet meist zwei verschiedene Wege. Der erste ist die Mikrogeschichte, die in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von großer Bedeutung war, auch dank erfolgreicher, wenn auch sehr unterschiedlicher Bücher wie Carlo Ginzburgs Der Käse und die Würmer oder Emmanuel Le Roy-Laduries Montaillou . 4 Es handelte sich um einen Weg, der wenig oder gar nichts mit früheren Traditionen der Lokalgeschichte zu tun hatte. Die Mikrohistoriker interessierten sich in der Tat weniger für die Geschichte eines Territoriums als vielmehr für die eines Individuums oder einer Gemeinschaft. Der Schwerpunkt lag vor allem auf der Kultur der einfachen Leute, die lange Zeit am Rande der historischen Forschung standen, und insbesondere auf der „Populärkultur“. Es ist kein Zufall, dass der Untertitel von Der Käse und die Würmer von Ginzburg Die Welt eines Müllers um 1600 ist. Und es sind gerade die „Mikrokosmen“ und nicht die regionalen Sphären im eigentlichen Sinne, die im Mittelpunkt einer fast zwanzigjährigen Forschungsgeschichte standen, die in jüngerer Zeit dank einer glücklichen und vielleicht unerwarteten Einbettung der mikrohistorischen Dimension in die Globalgeschichte wiederbelebt wurde. Dieser Weg wird durch zwei Bücher von Natalie Zemon Davis, einer der Hauptprotagonistinnen der mikrohistorischen Forschung, gut veran-schaulicht. 1983 untersuchte sie mit The Return of Martin Guerre Formen der bäuerlichen Identität anhand der Geschichte eines Hochstaplers in den Pyrenäen des 16. Jahrhunderts; zwanzig Jahre später untersuchte sie mit Trickster travels: a sixteenth-century Muslim between worlds anhand der Biographie von Hasan al-Wazzan, im Westen als Leo Africanus bekannt, die vielfältigen Identitäten, die sich in der mediterranen Welt verflechten. 5
Die mikrohistorische Forschung, die sich hauptsächlich auf den individuellen und kollektiven „Kosmos“ konzentriert, hat es selten geschafft, in einen Dialog mit der Regionalgeschichte im traditionelleren, stark an den territorialen Kontext gebundenen Sinn zu treten. Sie hat jedoch wesentlich zu einer fruchtbaren Debatte über die regionale oder territoriale Dimension der Geschichtswissenschaft beigetragen, einer Debatte, in der Geschichte und Region / Storia e Regione ein wichtiger Protagonist war und ist. Es ist kein Zufall, dass der Titel der ersten Ausgabe, nicht ohne Ironie, lautet: Die Grenzen der Provinz / I limiti della provincia . Als dieses Heft 1992 erschien, war klar, dass die „Grenzen“, die „Limitierungen“ der lokalen oder traditionellen Landesgeschichte zu eng und erdrückend waren für innovative Forschung, die sich von den großen Erzählungen und von einem oft sterilen Gegensatz zwischen lokaler und allgemeiner Geschichte lösen wollte. Auf der anderen Seite gab es verschiedene Beispiele von Forschungsarbeiten, die die lokale Dimension als Instrument zur Behandlung allgemeinerer Fragen nutzten und sich nicht auf diese lokale Dimension beschränkten. In diese Forschung – dem zweiten der oben erwähnten Wege – wurde das Projekt Geschichte und Region eingefügt, ein Projekt, das seit fast dreißig Jahren sehr unterschiedliche Themen miteinander verknüpft. Auch das vorliegende Heft geht in diese Richtung, obwohl sich das historiographische Panorama seit den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht verändert hat. In der Tat haben sich in den letzten Jahrzehnten viele Forschungsvorhaben der lokalen Dimension genähert, um spezifische Rahmenbedingungen für soziale, politische und wirtschaftliche Fragen zu vertiefen. Die innovativsten Arbeiten haben dies mit einem vergleichenden Ansatz getan, der nicht die Kategorien „normal“ und „außergewöhnlich“ verwendet, den regionalen Fall nicht als Bestätigung oder Ausnahme einer angenommenen nationalen oder universellen „Regel“ betrachtet, sondern einzelne lokale Gesellschaften untersucht, um sie miteinander zu vergleichen, um Ähnlichkeiten, Unterschiede, Divergenzen, unterschiedliche Zeitlichkeiten historischer Vorgänge feststellen zu können. Ein Vorbild ist in dieser Hinsicht die Forschung von Chris Wickham, die aus methodologischer Sicht nicht nur für das Mittelalter wichtig ist. In seiner Monographie zu den Gesellschaften des frühen Mittelalters verknüpfte er meisterhaft Weltgeschichte und Regionalgeschichte und verglich einzelne Fallstudien, die den lokalen Gesellschaften im euro-mediterranen Rahmen gewidmet waren. 6 In diesen historiographischen Kontext betten sich auch die Aufsätze im monographischen Teil dieser Ausgabe von Geschichte und Region / Storia e Regione ein.
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