„Nicht das geringste“, antwortete Dr. Leutholdt.
„Führen Sie also den Herrn“, wandte sich der Detektiv an den Oberkellner, „hierher!“ Der Kellner machte eine Verbeugung und wollte sich zurückziehen. „Halt — noch eins. In dem Augenblick, in dem er eintritt, melden Sie ihn mit den Worten: ‚Hier ist der Herr, Mr. Jenkins.‘ Haben Sie verstanden?“
Der Kellner verbeugte sich diensteifrig und verschwand geräuschlos.
Ein elastischer Schritt kam näher, und im nächsten Moment trat der Kellner wieder ein. Hinter ihm schlürften schwere Schritte heran. „Hier ist der Herr, Mr. Jenkins“, sagte der Kellner, auftragsgemäss meldend. Ein grunzender Laut kam vom Korridor. Dann fragte eine heisere Stimme: „Was ... Mr. Jenkins? Sie sind Mr. Jenkins, der Detektiv? ... So haben Sie mir einen falschen Namen gesagt? Ich denke, Sie sind ein Ingenieur aus New York? Was soll das heissen?“
Beim Klange dieser heiseren Stimme fuhren Leutholdt und seine Tochter wie elektrisiert empor und starrten auf die Tür. Die Portiere schlug rasselnd zurück, und vor den Erstaunten stand Pieter Molenbroek.
Auch der Angekommene schien im höchsten Grade bestürzt, denn er blickte ratlos bald auf die beiden, bald auf Joe Jenkins. Indem er sich brüsk nach dem Detektiv herumwandte, fragte er mit einer Stimme, die vor Erregung seltsam verändert klang: „Was soll das heissen, Mr. Jenkins? ... Warum stellen Sie sich mir als Geschäftsmann vor, während Sie in Wirklichkeit Detektiv sind? ... Nun, ich denke, ich habe hier nichts zu suchen.“
„Oh doch,“ kam ihm Jenkins zuvor und stellte sich in den Rahmen der Tür, als wolle er den Ausgang versperren. „Ich habe mit Ihnen zu reden, Herr Molenbroek. Ich möchte mit Ihnen über Herrn Berthold Wiese sprechen.“
„Was habe ich damit zu tun!“ schrie der Alte in höchstem Zorn. „Halten Sie mich vielleicht für den Mörder des Herrn Berthold Wiese?“
„Nein ...“ antwortete Joe Jenkins lächelnd. „Der Mörder des Herrn Berthold Wiese können Sie nicht sein, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde nicht.“
„Und der wäre?“ fragte der Alte mit einem plötzlichen Beben in der Stimme. „Weil Sie selbst Herr Berthold Wiese sind.“
Ein Schrei zitterte durch den Raum. Helene stand taumelnd am Tisch. Und auch Pieter Molenbroek stand wie versteinert. Langsam hoben sich seine weissen Hände krampfhaft zitternd gegen den Detektiv.
„Ist das wahr?“ fragte Helene endlich mit einer Stimme, die wie aus weiter Ferne kam. „Berthold Wiese ... bist du es wirklich?“
Die scheuen Augen Pieter Molenbroeks suchten das Gesicht des Notars, der finster zu Boden starrte. „Bist du es, Berthold?“ fragte Helene zum zweitenmal mit leiser Stimme.
Pieter Molenbroek liess sich schwer wie ein Totkranker in einen Stuhl niedersinken. „Ja,“ hauchte er endlich, kaum hörbar, „ich bin es. Aber —“ und er heftete seine angsterfüllten Augen mit einem fast abergläubischen Ausdruck auf den Detektiv — „der Mann, der das herausgebracht hat, muss der Teufel in Person sein!“
„Sie schmeicheln,“ antwortete Joe Jenkins lächelnd. „Das war gar nicht so schwierig — denn da Sie mir selbst eine Quittung gegeben haben, die genau die gleichen Schriftzüge trägt wie Ihr Abschiedsbrief an Fräulein Helene“ — und er zog die beiden Schriftstücke aus der Tasche ...
Mit einem Ruck sprang Pieter Molenbroek auf. „Dann haben Sie also an meiner Schreibmaschine ...“
„ ... das Farbband durchschnitten,“ vollendete der Detektiv. „Ganz richtig!“ Helene gab einen Laut. „Aber ... um Gottes willen ... warum das alles?“ stöhnte sie.
„Danach fragen Sie am besten Ihren Herrn Papa.“ Und er richtete seine grauen Augen fest und durchdringend auf den Notar, der totenbleich am Fenster lehnte. Helene fuhr herum. „Du, Papa?“
„Ja, gnädiges Fräulein,“ antwortete statt seiner Joe Jenkins. „Ihr Vater ist, was Sie vielleicht nicht wissen, ein Spieler ... Das sagt alles. Nachdem er sein eigenes Vermögen verspielt hatte, kam auch das seiner Tochter an die Reihe ... und da heckte er einen feinen Plan aus ... zusammen mit Herrn Berthold Wiese, einem seiner Spielkollegen, auch so einer Jeuratte ... Der musste ihm eine Quittung ausstellen über eine Geschäftseinlage von fünfzigtausend Mark. Kurz darauf verschwand Herr Wiese ... anscheinend durch einen Mord. Da er sein gutgehendes Geschäft nicht aufgeben wollte, so tauchte er in anderer Gestalt wieder auf ... in der des angeblichen Teilhabers Pieter Molenbroek ...
Am Tage Ihrer Mündigkeit, am 1. Mai, hatte Ihr Vater sich auszuweisen über Ihr Vermögen. Da hatte er also eine feine und korrekt ausgestellte Quittung über fünfzigtausend Mark in seiner Brieftasche; diese Quittung des Herrn Berthold Wiese hätte er alsdann vorgelegt unter der wehleidigen Erklärung, dass Herr Wiese — der Halunke! — leider mit diesem Geld durchgebrannt sei. Herr Molenbroek hätte wohl bis zu diesem Tage sein Warenlager liquidiert und wäre, vermutlich nachdem er den Erlös mit Ihrem Vater geteilt hätte, ebenfalls verduftet ... und Herr Leutholdt hätte als der alte unantastbare Ehrenmann dagestanden.“
Helene erwachte wie aus einem wirren Traum. Tiefatmend richtete sie sich auf und ging auf ihren Verlobten zu. „Das alles ist also wahr, Berthold? ... Warum hast du das getan?“
„Auch das ist ziemlich einfach,“ fuhr Joe Jenkins fort. „Denn erstens hat Herr Wiese ganz gut bei dem Geschäft verdient — und zweitens war er froh, auf diese Weise von Ihnen loszukommen, denn er ist seit fünf Jahren glücklicher Familienvater ... Sie sehen ... es sind Ehrenmänner ... alle beide ... und jetzt, meine Herren, stelle ich Ihnen eine Frist von sechs Wochen. In dieser Zeit werden Sie alles, was Sie besitzen, zu Geld gemacht haben können ... um aus dem Erlös Fräulein Helene nach Möglichkeit zu entschädigen ... für den Verlust ihres Erbteils. Zur Sicherheit habe ich“ — er sah auf die Uhr — „auf alle Fälle einen Gerichtsvollzieher beauftragt, um diese Stunde, in der wir alle vier so behaglich hier plaudern, die Besitztümer dieser beiden Herren unter Siegel zu setzen.“
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