„Ihr heiratet heimlich! Ihr fürchtet euch vor den Menschen. Der Mensch soll für das einstehen, was er tut!“
„Herrgott — wenn die anderen Leute nun mal so verbohrt sind!“
„Meine Linda, dies freie Kind, und ich“, der Volksphotograph erhob sich feierlich in seinen mageren, schlotterigen Länge, „wir stehen Hand in Hand offen vor aller Welt. Wir leugnen nicht, dass wir niemals vor dem Altar und vor dem Standesamt gestanden sind . . . “
„Traurig genug! Wo ihr es jeden Augenblick könntet . .“
„. . aber nicht wollen! Weil uns der Höhenflug der Kameradschaftsehe über die Vorurteile der Menge erhebt! Diesen Vorurteilen trotzen wir — als neue Menschen . . “
„. . . wenn ich nur wüsste, was daran neu ist, du alter Schwede!“
„. . . und zu diesem Trotz gehört Mut. Den Mut — den lob’ ich mir! Ihr aber verkriecht euch wie Adam und Eva nach dem Sündenfall! Das Standesamt ist für euch nur der Baum der Erkenntnis!“
„Sind alle deine Adelphen so verrückt wie du?“
„Weiter:“ Der Photograph Giebisch ging mit Siebenmeilenschritten durch das Atelier. Seine zerdrückten Rockschösse wehten. „Wollt ihr künftig zu zweit sein oder zu mehreren?“
„Wir müssen zu zweit bleiben — bis auf weiteres — ob wir wollen oder nicht — Herrgott: — ohne Wohnung — ohne Mödel — ohne . . . “
„Also ihr müsst, was ihr nicht wollt! Wiederum der Widerspruch! Wiederum die Furcht vor den Menschen! Da schau’ Linda und mich an! Wir sind fest entschlossen: Wir gehen ein für allemal Hand in Hand zu zweit durch dies Leben!“
„Und was wird aus der Menschheit?“
„Alles Unglück auf der Welt kommt daher, dass es zuviel Menschen gibt. Und zu wenig Land und Raum und Licht und Luft und Nahrung für die vielen Menschen!“ Friedrich Giebisch machte bedeutungsvoll halt. „Verringere die Zahl der Menschen, und du schaffst die Kriege und die Kohlrübenwinter, die Kellerwohnungen und die Epidemien aus der Welt! Je weniger Menschen, desto glücklicher sind sie! Wer für sein Teil die Menschheit nicht vermehrt, ist ein Wohltäter der Menschheit!“
„Friedrich: dir haben sie seinerzeit den Kopf verkehrt angeschraubt!“
„So wird die freiere Liebe zwischen Linda und mir zur höheren Liebe für die Menschheit!“
„Du hast ganz recht, dass du die Linda nicht da hinaus in ihre Anstalt begleitest!“ Der jüngere Bruder stand auf. „Die sind imstande und behalten dich gleich dort! Weisst du: Früher hat man die Kameradschaftsehe einfach ’n Verhältnis genannt und nicht so grosse Worte darum gemacht! Also ich für mein Teil bin so unsittlich und heirate! Du — da bimmelt’s! Da kommen Leute, die photographiert sein wollen! . . Auf übermorgen!“
„Bruno Giebisch, Dominium Niestedt, Post Wittenbeke, Holstein. Tante Fridas Beisetzung Sonnabend mittag ein Uhr. Wir rechnen bestimmt auf dein Kommen. Alfred.“
Alfred Giebisch überantwortete dem Schalterbeamten in dem kleinen Postamt in der Friedrichstadt die Depesche. Hinterher, draussen, ein langsam aufsteigendes, beklemmendes Gefühl in Sommerhelle und Sommerhitze unterm Himmelblau: Nettes Zukunftszeichen, eine heimliche Heirat mit einem erlogenen Todesfall zu bemänteln . . .
Aber man musste die Drahtung dringend machen. Sonst kriegte jetzt, während der Erntezeit auf dem Dominium in Holstein, der Bruder Bruno dort keinen Urlaub.
Ein Stapel Musterkoffer bis auf den Bürgersteig hinaus. Ein Hotel für Geschäftsleute, nahe dem Hausvogteiplatz und der City. Ein Blick des Portiers nach dem Schlüsselbrett.
„Herr Strömich und Herr Merz? Die Fabrikanten aus Plauen? Nummer 107. Sind zu Hause!“
In dem Zimmer, das der Vertreter von Strömich und Merz betrat, sassen seine beiden Chefs gedankenvoll nebeneinander auf dem Kanapee und rauchten. Vor ihnen auf dem Tisch lag ein Haufen Bank-Korrespondenzen. Herr Strömich hob die Glatze. Er war ein munterer, kleiner, dicker Sachse, Speckfalten im Genick, kurze, fette Finger, die er freundlich im Sitzen dem jungen Mann reichte.
„Nu — Sie nenn’ ich ä dicht’gen Gärl! Sie sind ja hell’sch uff’n Damm!“
„Heute früh sind wir erst angekommen!“ Herr Merz sprach ein leises, trocknes, vorsichtiges Hochdeutsch. Er war eine nüchterne, magere Erscheinung von beträchtlicher Länge, eher vom grünen Tisch als von der Klöppelmaschine. „Und bevor wir noch Zeit hatten, Sie zu benachrichtigen . .“
„Ich hörte heute Vormittag bei der Kundschaft von Ihrer Anwesenheit“, der junge Mann setzte sich, „und erlaubte mir, jetzt in der Mittagspause in einer Privatangelegenheit . . . Meine Tante ist nämlich gestorben. Ich bitte für Sonnabend Vormittag um Urlaub!“
„Nu nadierlich — wo wer’n wir nich!“
„Mein Beileid!“
„Danke, Herr Merz!“
Es war ein Schweigen. Alfred Giebisch sass unbehaglich da. Wieder, neben dem braunen Eichenholztisch des Standesamts, Schwarz dieser Schatten eines Sarges . . . Er hob entschlossen den dunklen Kopf. Sein Gesicht leuchtete.
„Ausserdem, Herr Strömich und Herr Merz, halte ich es für gut, wenn ich sobald als möglich hier bei Ihnen antrete und Ihnen über das Geschäft hier berichte! Ich kann ohne Ruhmredigkeit sagen: Ich habe Feuer dahinter gemacht! Das Geschäft marschiert flott!“
„Is bekannt! Nähmen Sie ä Zigarre?“
„Danke! . . . Und das Geschäft ist noch einen enormen Erweiterung fähig! Es muss nur amerikanisch aufgezogen warden — mit intensiver, individueller Bearbeitung der vorhandenen Kundschaft und grosszügigen Reklame für die kommenden . . . “
„Das gostet ä Häbbchen Geld!“
„Ich habe da grosse Pläne, die ich Ihnen entwickeln möchte . .“
„Das Geld — das is das Maleer!“
„Das Arbeiten mit den Banken“, ergriff jetzt langsam Herr Merz das Wort, „Wir sind eben dabei zu kalkulieren . . . “
„Das Bedriebsgabidal . . . “
„. . . das derart hoch verzinst werden muss . . . “
„. . dass nischt üwrig bleibt!“
„Ich wirtschafte es heraus, meine Herren! Lassen Sie mich nur gewähren!“
„Und dazu noch mehr Bankgeld?“ Herr Merz schichtete die Korrespondenz vor ihm zu einem streng methodischen Viereck. „Danke. Mir ist schon warm genug. Im Gegenteil . . Wir dürfen den Bogen nicht überspannen . . . “
„Nur geen zu grosses Risigo!“
„. . . und denken, was Ihnen ja nicht neu ist, Herr Giebisch, sehr ernsthaft daran, unseren Betrieb beträchtlich zu verkleinern!“
„Dann ist meine Arbeit umsonst! Dann lässt sich die Vertretung hier nicht aufrecht erhalten!“
„Das wäre dann auch nicht unsere Ansicht!“
„Ach so . .“
Es war ein Schweigen.
„Ich betrachte so Geschäftssachen immer in aller Kemiedlichkeit!“ began endlich Herr Strömich. „Da sieht man wieder, wie kud’s is, wenn mer hibsch dick is! Es is noch nich aller Tage Abend, Herr Giebisch!“
„Vielleicht können Sie und wir doch beisammenbleiben! Das hoffe ich auch!“ Herr Merz erhob sich und schüttelte dem Vertreter die Hand. Sein Antlitz war ledern.
„EIne so dichtige Kraft!“
„Es wird sich in nächster Zeit entscheiden, Herr Giebisch, haben Sie nur Geduld! Die Verhandlunggen mit den Banken . . . Wann wird Ihre liebe Tante begtaben? Übermorgen? Dann sehen wir Sie also hier morgen früh! Auf Wiedersehen!“
Alfred Giebisch ging in Gedanken, mit gesenktem Kopf, durch das Mittagsgewühl bis zur Wohnunh seiner Eltern. Der Vater lief atemlos auf der Treppe an ihm vorbei, klein, mager, geschäftig, eine dicke Mappe unter dem Arm, ohne Hut, in Eile wie immer. Er warf aufgeregt den gesträubten weissen Kakaduschopf zurück. Der weisse Spitzbart zitterte unter der Hakennase in dem feinen, rosig-gefältelten Gesicht.
„Es is wieder Essig mit dem Aufsichtsratsposten, Alfred! Es wird von allen Ecken gegen mich interigiert! Ich hab’ zu viel Feinde in Berlin!“
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