»Jemand muss dem Mädchen doch helfen«, versuchte Yuriko es, doch Frakis schüttelte den Kopf. »Du hilfst dir in erster Linie selbst. So sehr kann eine Reise dich nicht verändert haben.«
Yuriko zögerte. »Ich will ihr wirklich helfen«, sagte er schließlich. »Aber wenn meine Reputation an dieser Arkania sich verbessern würde, indem ich die Siegelkunde voranbringe – etwas entdecke, ein Rätsel löse – und wenn man mir daraufhin wieder eine Anstellung gäbe … ein regelmäßiges Einkommen … dann … du weißt, dass Florine ihren dusseligen Ehemann los ist?«
»Dass sie ihn lieber behalten hätte, weiß ich. Gute Güte, du machst dir doch nicht etwa immer noch Hoffnungen? Hat deine lange Reise dich nicht kuriert?«
»Getröstet, mannigfaltig. Aber nicht kuriert. Florine jedenfalls hat durchblicken lassen, dass sie möglicherweise doch mehr als nur freundschaftliche Gefühle für mich hegt.«
»Nachdem sie dir einen Korb nach dem anderen verabreicht hat, seit wir Kinder waren?«
»Späte Erkenntnis.«
Frakis sah erheitert aus, im Rahmen seiner Möglichkeiten.
»Sie muss ja sehr verzweifelt sein.«
»Warum sie mich nimmt, ist mir egal, solange sie mich nur nimmt. Aber ich brauche ein regelmäßiges Einkommen, damit ich ihr den Hof machen kann.«
»Kraka wird seinen Stuhl nie wieder räumen«, sagte Frakis. »Der bleibt, bis sie ihn tot aus seiner Schreibstube tragen. Da kannst du erfinden, was du willst.«
»Meinen Stuhl. Aber du bringst mich auf eine Idee – es steht nicht zufällig in einem deiner Bücher etwas darüber, wie man sein Ableben vorzeitig herbeiführen kann?«
Frakis sah Yuriko über den Rand seiner Augengläser hinweg an.
»Du beliebst zu scherzen.«
»Ja, natürlich.«
»Gut. Du planst keine Dummheit, oder?«
»Ich? Nein! Niemals!«
»Gib mir dein Wort.«
»Frakis, was denkst du? Ich müsste der größte Dummkopf sein, wenn ich versuchen wollte, gegen Kraka vorzugehen.«
Mit leichter Hand klopfte Frakis auf Yurikos Brust.
»Dein Kopf ist es nicht, der mir Sorgen macht, mein Freund. Aber dein Herz hat noch nie gewusst, was gut für dich ist.«
Frakis ging davon, und Yuriko sah sich mit seiner erwartungsvollen Schülerin konfrontiert.
»Verschwinde«, sagte er ungnädig. »Such dir eine Beschäftigung. Ich muss nachdenken.«
Galina seufzte schwer und schlurfte davon. Yuriko wartete, bis sie außer Sichtweite war, dann ließ er sich ins Gras fallen, setzte sich Padda auf den Bauch und starrte in den Himmel.
Eine Lösung für Galinas Zaubereiproblem. Ein Siegel, das Arkadis´ Stummheit kurierte. Eine Festanstellung, egal, wo. Sein Haus, das er dringend instand setzen musste. Und alles, woran er denken konnte, war Florine.
***
Von hier oben sah das Dach erschreckend aus: zerbrochene Dachziegel überall, Moos und Moder, und erstaunlich, was so alles in einer Dachrinne wachsen konnte. An einer Stelle lag der Dachbalken bloß. Yuriko kratzte mit einem Fingernagel daran und löste lange, schwammige Holzspäne. Das konnte nicht gut sein. Ob sich das reparieren ließ, oder musste das Dach komplett neu gedeckt werden? Für das eine wie das andere fehlte ihm das Geld, aber klar war: Den nächsten Regen konnte er auf dem Grund seines Teichs abwarten und würde auch nicht nasser werden. Kein Wunder, dass Arkadis sich unter die Treppe verkrochen hatte. Das war im Zweifelsfall der einzige trockene Platz im Haus.
Er blinzelte in den Himmel. Durchsichtiges Blau, kaum ein Schleierwölkchen. Es wurde Abend. Heute Nacht würden sie mutmaßlich trocken bleiben, und das Wetter war stabil um diese Jahreszeit. Und bis der regnerische Herbst kam, geschah vielleicht noch ein Wunder.
Vorsichtig ließ Yuriko sich auf dem Dachfirst nieder und begann, sich eine Pfeife zu stopfen. Der Rest im Beutel reichte gerade so. Morgen würde er Frakis um Geld bitten müssen. Oder tatsächlich einen Auftrag vom Anschlagsbrett durchführen. Ob die Hochzeit noch zu haben war? Da gab es Essen, Musik und schöne Frauen.
Padda krabbelte auf seiner Schulter herum, presste sich gegen seinen Hals und machte sich steif. Yuriko schnipste sich eine Flamme an den Daumen und zündete seine Pfeife an.
»Tut mir leid, Padda. Ich hätte dich unten lassen sollen. Aber dir passiert nichts. Versprochen.«
Der Kröter stemmte sich, so hoch er konnte, und prallte gegen Yurikos Wange. Er nahm in von der Schulter und behielt ihn in der Hand, doch Padda wollte sich nicht beruhigen. Yuriko klemmte sich die Pfeife zwischen die Zähne und legte beide Hände um den Kröter, damit der ihm nicht auskam. Padda zappelte und werkelte herum und reckte den Hals, was ulkig aussah, da er ja praktisch keinen hatte.
»Schau«, sagte Yuriko leise. »Man kann das Meer sehen. Weißt du, dass ich es vermissen werde? Das Reisen. Wenn ich mich einmal zu Florine bekannt habe, komme ich dazu nicht mehr. Aber vielleicht hat sie irgendwann die Nase voll von Letis. Dann nehme ich sie mit und zeige ihr die Welt. Nur sie und ich. Und du natürlich, aber das mit uns beiden ist ja etwas völlig Anderes. Wusstest du übrigens, dass Kröten im Land hinter den Mandelbäumen als Symbol für Reichtum gelten? Was das betrifft, könntest du noch über dich hinauswachsen.«
Erst als unten der Lärm begann, begriff Yuriko, dass Paddas Unruhe womöglich nicht allein von der Höhe kam. Es klang, als würde jemand mit einem Panzerhandschuh gegen seine Tür klopfen, und derjenige wollte gar nicht mehr damit aufhören. Die Nachbarin lehnte sich über den Zaun und starrte hinüber zu seinem Haus.
Auf der anderen Straßenseite gingen auch schon die Fenster auf. Yuriko seufzte schwer, klopfte seine Pfeife aus und krabbelte hinunter bis zur Dachrinne, sich mit einer Hand abstützend, mit der anderen hielt er Padda umfasst. Er bemaß die Entfernung nach unten mit einem Blick, lenkte Arkanum in seine Beine und sprang. Er kam hart auf, federte tief in die Knie, ignorierte heldenhaft das Knirschen seiner Gelenke und kam in die Höhe wie ein Junger.
»Schönen guten Abend«, sagte er heiter. »Besuch. Das ist aber nett.«
Arkadis stand in der offenen Tür, weiß wie ein Leintuch. In der Hand hielt sie einen Stein, mit dem sie soeben noch gegen seine arme Tür gehämmert hatte. Ihr gegenüber standen zwei fremde Personen. Die drehten sich nun zu Yuriko, und Arkadis verschwand mit einem Satz im Haus.
Und wie fremd die waren. Die linke war eigentlich ganz hübsch – groß, schlank, weizenblond – doch dass sie ein Schwert trug, dessen Spitze sie jetzt auf Yuriko richtete, zerstörte den positiven Eindruck. Das Schwert nahm seine Aufmerksamkeit so gefangen, dass er der zweiten Besucherin kaum Aufmerksamkeit schenken konnte. Sie war nicht sichtbar bewaffnet und verbarg die Vorzüge, die sie womöglich zu bieten hatte, unter einer formlosen Kutte.
Yuriko machte einen Schritt zurück. Die Schwertkämpferin rückte nach.
»Wir nehmen sie«, sagte sie. »Niemand muss sterben.«
Sie griff auf einen Sprachverständnis-Zauber zurück, der vermutlich in dem schmalen Silberring verankert war, den sie am Finger trug.
»Ich hatte nicht vor zu sterben«, sagte Yuriko. »Heute nicht. Und eine so junge, hübsche Dame wie du sollte sich schon gar nicht mit dem Tod beschäftigen. Also steck das Schwert weg und lass uns reden.«
»Wir nehmen die gefiederte Schlange«, sagte die Blonde. »Du bleibst uns aus dem Weg.«
»Wie bitte? Hier gibt es keine Schlangen, Mädchen, und schon gar keine gefiederten.«
Der Griff ihres Schwerts war mit Leder umwickelt. Das war blöd, Leder isolierte zu gut. Yuriko konzentrierte sich auf den Sprachenring – das einzige Stück Metall, das sie auf der Haut trug. Er schlug eine arkane Brücke, überwand den Sprachenzauber – ein sehr merkwürdiges, fremdes Spruchgewebe – und schickte Arkanum über die Brücke. Die Schwertkämpferin schrie und schüttelte ihre Hand. Mit einem Krötensprung brachte Yuriko sich außer Reichweite der Waffe.
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