»Wie geht das denn, jemandem mit einem Schlag den Kopf abzuhacken? Wie man sieht, war Ronnie ein kräftiger Kerl. Ein Auftragsmörder? Ein Henker? Ein Schweineschlächter?«
»Was hältst du von einem Waldarbeiter?«
»Waldarbeiter arbeiten mit Motorsägen.«
»Wenn man jemanden nachts still und klammheimlich enthaupten will, ist eine Motorsäge so ziemlich die ungünstigste Waffe«, entgegnete Seyat.
»Die können auch gut mit Äxten umgehen.«
Auf dem Flur hörte man das Klappern des Kaffeewagens. Van Arkel wartete, bis der Mann im Arbeitskittel schweigend wie immer den Kaffee hingestellt hatte.
»Was fällt dir zu dem Motiv ein?«
Seyat holte einen Zettel aus der Tasche und legte ihn ohne ein Wort zu sagen auf den Tisch. Van Arkel betrachtete das Stück Papier, das auf beiden Seiten mit Seyats kleiner, regelmäßiger Schrift beschrieben war. »Konntest du nicht schlafen?«, fragte er lächelnd.
»Nein.«
Van Arkel las die Aufzeichnungen und gab ihm das Blatt zurück. »Was steht hier drin, was wir heute Nacht nicht besprochen haben?«
»Leidenschaft.«
»Ein Lustmord?«
»Leidenschaft«, wiederholte Seyat. »Im wahrsten Sinne des Wortes. Jemand war verrückt nach ihm, Ronnie hat diese Person betrogen und sie hackt ihm den Kopf ab.«
»Das ist ein klassisches Mordmotiv«, gab van Arkel zu. »Aber ich frage mich die ganze Zeit, warum der Täter den Kopf im Wald versteckt hat. Hat er gehofft, die Füchse würden ihn fressen? Oder hoffte er, dass er gefunden würde?«
»Von uns?«
»Das frage ich mich eben.«
»Guten Morgen«, grüßte Mirjam. »Gibt’s Kaffee?«
»Die zweite Runde«, sagte van Arkel. »Jansen war gerade hier.«
»Schade«, sagte sie. »Darf ich deine Theorie auch mal hören, Ben?«
»Ich grüble über den Kopf im Wald nach. Stellen wir uns mal vor, Ronnie musste dort einen Auftrag ausführen. Etwas abholen oder wegbringen. Und stellen wir uns dann mal vor, dass derjenige, für den die Nachricht bestimmt war, nicht zufrieden mit ihm war.«
»Es ist lange her, dass Überbringer schlechter Nachrichten ihr Leben lassen mussten.«
»Manche Menschen leben in der Vergangenheit.«
»Hältst du das wirklich für eine sinnvolle Ausgangstheorie?«
Van Arkel lachte. »Na gut, dann eben nicht.«
Das Telefon klingelte. Van Arkel nahm ab.
»Die Hundestaffel ist eingetroffen, Inspecteur«, meldete der Telefonist.
»Wir kommen«, sagte van Arkel. »Bitte Jansen, den Jungs eine Tasse Kaffee zu geben.« Er stand auf. »Die Hunde sind da.«
»Gehen wir alle drei in den Wald?«, fragte Seyat.
»Alle vier«, erwiderte van Arkel. »Schilder kommt auch mit. Während die Hunde den Wald durchsuchen, nutzen wir die Zeit, einen Plan auszuarbeiten.«
Auf dem Waldweg standen fünf dunkelhäutige Männer mit Wollmützen, die Hände tief in die Jackentaschen vergraben. Zwei nervöse, mit Karabinern bewaffnete Polizisten bewachten die Stelle, an der Ronnies Kopf gefunden worden war. Van Arkel grüßte die Antillianer, die schweigend nickten, und ging zu den Beamten hinüber.
»Morgen Bakker, morgen Spruit. War noch irgendwas Besonderes?«
»Morgen, Inspecteur«, sagte Spruit, ein magerer Mann mit fliehendem Kinn. »Keine besonderen Vorkommnisse, nur die Leute auf dem Weg gefallen mir nicht.«
»Was machen die denn?«
»Nichts. Das ist es ja gerade. Sie stehen nur so herum.«
»Wann sind sie gekommen?«
»Um halb sieben. Wir hatten Schilder und Brigadier van Roon gerade abgelöst. He, die sind auch hier?«, sagte Spruit überrascht.
»Schilder will zur Kripo«, erklärte Bakker.
»Na, von mir aus«, sagte Spruit. »Sollen wir hier bleiben, Inspecteur?«
Van Arkel nickte und ging zum Waldweg hinüber.
»Du mich auch«, sagte Spruit leise.
Bakker feixte. »Nur noch eine Stunde, Henk. Wenn die Hunde fertig sind, hauen die Affen da auch ab.«
Van Arkel drehte sich um. »Noch so eine Bemerkung, und ich stelle denjenigen hier vierundzwanzig Stunden lang hin.«
Spruit schwieg. Bakker richtete den Blick zu Boden. Van Arkel drehte sich um. Spruit machte hinter seinem Rücken eine obszöne Geste.
»Welches Gebiet sollen wir absuchen?«, fragte Groot, der Commandant der Hundestaffel. Van Arkel fand, dass er seinem Hund ähnelte: dieselbe spitze Schnauze und dieselben glühenden Augen. Jäger. Sie freuten sich sichtlich auf ihre Aufgabe. Er breitete eine Karte auf dem Weg aus. »Diesen Teil des Waldes auf jeden Fall. Zwischen dem Entwässerungsgraben und dem breiten Waldweg.«
»Haben wir jemanden, der sich hier im Wald auskennt?«
»Der Förster kommt um halb neun«, sagte Schilder.
»Auf den warten wir nicht«, sagte van Arkel. »Wir fangen an dieser Stelle auf dem Weg an. Weißt du, ob hier in letzter Zeit gejagt wurde?«
. »Zufällig ja«, antwortete Schilder. »Einer meiner Onkel geht immer mit.«
»Treibjagd oder Pirsch?«
»Treibjagd. Die Jäger sind alt und reich. Die laufen nicht mehr groß herum. Sie stehen auf dem Weg und schießen auf alles, was die Treiber aus dem Wald scheuchen.«
»Hab gar nicht gewusst, dass du einen reichen, alten Onkel hast«, bemerkte Mirjam.
»Mein Onkel gehört zu den Treibern.«
»Gibt es hier überhaupt noch Wild?«
»Letzten Monat wurden Fasane ausgesetzt. Wild lebende Tiere gibt es nicht mehr viel. Kaninchen, manchmal ein Hase. Die Waldschnepfen vermehren sich.«
»Braucht ihr keine Geruchsprobe von dem Opfer?«, fragte Mirjam.
»Geruchsproben braucht man nur für die Suche nach Lebenden«, erklärte Groot. »Jagdhunde suchen nach der Witterung von lebendem Wild, genau wie früher die Bluthunde bei der Sklavenhatz. Leichen dagegen riechen alle gleich.«
Mirjam erschauerte. »Wie morbide.«
Groot zuckte mit den Schultern. Er erteilte seinen Leuten einen Befehl und die Staffel fächerte sich in vier verschiedene Richtungen auf. Van Arkel ignorierte Spruit und Bakker, die starr vor sich schauten, und ging zu den Antillianern hinüber.
»Sind unter Ihnen Verwandte des Opfers?«
Ein älterer Mann trat vor. Er trug eine Mütze mit orangefarbener Bommel. »Jacob van Splunter«, stellte er sich vor. »Ich bin Ronnies Onkel.«
Van Arkel schüttelte ihm die Hand. »Ben van Arkel. Herzliches Beileid.«
»Vielen Dank.«
»Sie waren heute schon am frühen Morgen hier, habe ich gehört.«
Van Splunter blickte mit verschlossener Miene zu den beiden Polizisten bei der Absperrung hinüber. »Sie wollten uns nicht hinlassen.«
»Jeder unnötige Fußabdruck behindert die Ermittlungen.«
»Verstehe ich«, sagte van Splunter. »Aber Sie werden hoffentlich auch verstehen, dass wir Ronnies Grab sehen wollen.«
Van Arkel nickte. »Natürlich.«
»Wonach suchen die Hunde?«
»Nach seinem Körper.« Van Arkel fragte sich, was in van Splunter vorging. Vier Hunde, die nach der Leiche seines Neffen suchten.
»Wie geht es Ihrer Schwägerin?«, fragte er.
»Schlecht.«
»Sie hat heute Nacht sehr gefasst reagiert. Ich ...«
»Sie hatten das nicht erwartet.«
Van Arkel zögerte. »Um ehrlich zu sein ... nein.«
»Haben wir einen so schlechten Ruf in der Stadt?«
»Sie wissen, dass es Probleme gegeben hat.«
»Früher ja. Jetzt nicht mehr.« Van Splunter zeigte auf Schilder, der mit dem Hundeführer in den Wald hineinging. »Seine Mutter hat heute Morgen gleich meine Schwägerin besucht. Das hätte sie nicht getan, wenn sie kein gutes Verhältnis zueinander hätten.«
Van Arkel fasste ihn am Arm und ging mit ihm ein Stück den Waldweg entlang. »Haben Sie irgendeine Idee, was passiert sein könnte?«
»Nein.«
»Erzählen Sie mir ein bisschen über Ronnie.«
Van Splunter hockte sich an einen Baum am Wegesrand und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Van Arkel setzte sich neben ihn und breitete einen Zipfel seines Regenmantels aus. »Möchten Sie sich draufsetzen?«
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