Maria Floris ist wirklich eine begnadete Verkäuferin, denn im Hintergrund ist da natürlich immer auch der Gedanke an die noch unverheirateten Söhne. Eine neue potenzielle Schwiegermutter also? Ja. Warum auch nicht? Es wäre doch ideal: diese Schweizerin aus demselben Berufsstand, hübsch, tüchtig, wohlerzogen, im richtigen Alter und nicht unbemittelt ... Und dann die Schweiz als eventueller Fluchtpunkt, falls noch einmal «etwas passieren» sollte. Als sich die junge Frau artig für den Abend und das «Mitnehmsel» bedankt, geht Maria Floris zur Offensive über: George, ihr Ältester, soll Rosmarie, ihre neue Freundin, zum Abendessen einladen. Ins Ritz natürlich. Alles andere wird sich dann schon ergeben.
Damit sich etwas ergibt, müssten die Voraussetzungen allerdings ganz und gar anders sein. George ist gross, dunkelhaarig und -äugig, aber «etwas linkisch», wie seine Rendezvous-Partnerin sofort erkennt. Er ist vom Business seiner Mutter so weit entfernt wie die Erde vom Mars: Er träumt nämlich davon, Schriftsteller zu werden und in Entwicklungsländern Gutes zu tun. Schwärmerisch erzählt er der weltgewandten jungen Frau von Projekten in Indien oder Marokko; dazu trinkt er Milch, sie Wein.
Letzteres hätte alleine schon einer Verbindung im Wege gestanden, aber Maria Floris wäre nicht Maria Floris, wenn sie sich von solchen Lappalien abschrecken liesse. So schnell gibt sie nicht auf. Nachdem Rosmarie Michel wieder in Zürich ist, wird George dorthin spediert. Er ist ein absoluter Fan der Schweizerin geworden, weil sie viel von der Energie seiner Mutter hat. Aber auch das richtige Timing gehört offenbar nicht zu seinen Talenten: Im kahlen Korridor ihres Elternhauses macht er ihr einen Heiratsantrag, den ich natürlich abgelehnt habe.
Was mag der arme Junge ausgestanden haben, als er unverrichteter Dinge wieder in London ankommt?! Die Verheiratung des Ältesten wird nun zur Chef(innen) sache erklärt – Maria Floris kümmert sich selbst um die Zukunft ihres Sohnes, und sie tut das mit einem Auftritt, wie ihn ein Hollywood-Regisseur nicht besser hätte inszenieren können.
Eines schönen Tages hält vor unserem Haus ein Bentley, eine Frau mit viel Schmuck und einem wunderschönen grossen Hut steigt aus: Maria Floris. Sie wollte selbst mal sehen, wo und wie ich wohne. Die ganze Familie wird zum Diner ins Hotel Baur au Lac eingeladen, und danach fährt man noch nach Hause, um den Digestif zu nehmen. Auf dem Weg nach draussen, auch wieder im Korridor, stoppt Maria, öffnet ihre Riesentasche, greift zweimal mit ihren langen, eleganten Fingern hinein und breitet auf einem Tischchen einen Juwelenhaufen vor mir aus: «You may have the whole lot, if you take George!», 4 sagt sie beschwörend.
Sie hatte mich zwar überrascht, aber nicht überrumpelt. Ich habe den ganzen lot voller Wut wieder in ihre Tasche geschmissen und gesagt: «Not even for that!» Damit war das Kapitel «George» zwischen uns erledigt. Allerdings war ich im Nachhinein beeindruckt, wie sie den Mut gehabt hatte, mit einer Handtasche voller uneingepackter Juwelen durch den Zoll zu gehen ...
Was ich ihr hoch angerechnet habe, ist, dass sie mir trotz dieses dramatischen Zwischenfalls die Freundschaft nicht gekündigt hat. Sie brauchte eine Gesprächspartnerin, hat immer wieder telegrafiert, sie käme innerhalb der nächsten 48 Stunden – das hiess, dass ich dann eine Suite und andere Dinge bestellen und mich zwei Tage freihalten musste, damit ich die ganzen Geschäftsgeschichten und -probleme abhören und mit ihr aufarbeiten konnte.
Ich liebe London und bin dorthin gereist, wann immer ich konnte. Es war selbstverständlich, dass Maria jeweils davon wusste und ich sie am nächsten Tag anrief und dann besuchte. Eines Tages rief sie kurz nach meiner Ankunft am Abend im Hotel an und bat mich, noch am selben Abend zu ihr zu kommen, statt erst am nächsten Tag. Ich fuhr also hin, und es war wie immer: Wir hatten unser gutes Gespräch.
Am nächsten Morgen war sie tot. Typisch Maria: Kein Wort über Krankheiten oder Todesahnungen, obwohl sie ja offensichtlich gespürt hatte, dass ihr Leben zu Ende ging. Präsent und elegant wie immer, hatte sie in aller Stille Abschied genommen. Es war für mich ein bedeutender Verlust.
Ein Jahr hätte der Aufenthalt im Dorchester dauern sollen, nach sechs Monaten ist er vorbei: Fritz Michel hat eine Lungenembolie erlitten, ist danach nicht mehr voll einsatzfähig im Geschäft, und Rosmarie Michel möchte ihre Mutter mit dieser Belastung nicht alleine lassen. Die junge Frau, die nach nur einem halben Jahr nach Hause zurückkehrt, ist nicht mehr dieselbe, die Zürich verlassen hat, sondern eine gereifte junge Erwachsene, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Und dazu wird sie viel Gelegenheit haben – nicht nur im elterlichen Geschäft.
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