„Und eine kugelsichere Weste“, fügte Myers grinsend hinzu.
Das Gesicht des Captains blieb düster.
„Hymnie ist ein harter Brocken. Hoffentlich verschlucken wir uns nicht an ihm.“
Sie machten Platz. Die Bahre mit dem toten Chauffeur wurde an ihnen vorbeigetragen. Die Männer sahen ihr nach. Man hatte eine Decke über die Leiche gelegt, aber eine Hand hing seitwärts heraus. Eine Hand mit verkrampften Fingern, so, wie sie sich zuletzt in Barrys Schulter gekrallt hatte. Sie wirkte wie eine Anklage.
Der nächste Schritt wurde den Kriminalisten automatisch vorgezeichnet. Sie mußten sich Hymnie vornehmen. Ganz offiziell.
Keiner versprach sich etwas davon.
Hymnie A. Heywood, der Mann mit dem Unfehlbarkeitsruf, saß mit geistesabwesendem Gesichtsansdruck in einem Chippendalesessel. Sein Appartement im Marberry war das feudalste in diesem Luxushotel; eine Dreizimmersuite mit Dachgarten und Blick auf den East River.
Der Ausdruck geistesabwesender Isolation täuschte. Hymnie dachte scharf nach.
Er zog das niedrige Tischchen mit dem silbernen Sektkühler zu sich heran. Ohne hinzusehen, nahm er eine Flasche Veuve Cliquot aus dem Eis und drückte den Stöpsel mit dem Daumen heraus. Der Champagner fiel in schweres Bleikristall.
Langsam führte er das Glas an die Lippen. Mitten in der Bewegung unterbrach ihn das Schnarren der Sprechanlage.
„Mr. Heywood?“ quäkte es aus dem Lautsprecher.
„Was dachten Sie? Der Schah von Persien?“
Die Stimme im Lautsprecher blieb ungerührt. Der Portier des Marberry hatte in seinem Leben schon exzentrischere Kunden bedient.
„Miß Cynthia Capra ist da. Sie sagt, sie würde erwartet.“
„Geht in Ordnung.“
Hymnie blieb träge sitzen. Nur die Krawatte, die er gelockert hatte, zog er fest.
Zwei Minuten später öffnete sich die Vordertür.
Das Mädchen hätte gut ein Titelbild für „Vogue“ abgegeben. Sie war sehr schlank und nur da mit netten Rundungen versehen, wo sie hingehörten. Zu ihrem schlichten blauen Kostüm, das selbst auf der Fifth Avenue Aufsehen erregen mochte, trug sie blondes Haar. Es wurde durch ein Samtband zusammengehalten. Bei neunundneunzig von hundert Frauen hätte das nach nichts ausgesehen. Bei einer nicht. Hier war sie.
„Nun?“ fragte Hymnie.
„Ich habe die Adresse.“
Sie setzte sich ihm gegenüber und streifte die hellen Wildlederhandschuhe ab.
„Wo?“ erkundigte sich Hymnie.
Sie nahm einen Zettel aus der Krokodiltasche und warf einen Blick darauf.
„Ambrose Hotel, 74 East, 256 Bendix Street. Ich glaube nicht, daß es ein gutes Hotel ist.“
Ihre Stimme klang voll wie ein Toscanini-Orehester.
Hymnie nickte teilnahmslos.
„Gut gemacht, Cindy. War’s schwer?“
„Es war leicht. Ich verstehe nicht, warum du es nicht selbst gemacht hast.“
Er lachte ironisch.
„Ich habe in meinem Leben immer nur die schweren Dinge erledigt. Für die einfachen hatte ich meine Leute.“
Sie verzog den Mund; er beeilte sich hinzuzufügen: „Heute ist das anders. Heute sind mir die Hände gebunden. Der große Hymnie ist nur noch eine Legende, Ich habe zwar ’ne Menge Geld, aber ich kann mir nicht mal unkontrolliert die Zähne putzen. Jeder Tellerwäscher ist besser dran als ich.“
Er stand auf und trat ans Fenster.
„Komm her, Darling, ich will dir was zeigen. – Siehst du den grauen Chevrolet da unten?“
Sie trat zu ihm.
„Der Wagen ist mir vorhin gefolgt.“
„Glaubst du, daß sie wissen, worauf es dir ankam?“
„Nein. Ich habe mich genau an deine Anweisungen gehalten.“
Er stülpte nachdenklich die Unterlippe vor.
„Die sind auch wirklich nicht gefährlich. Das ist das FBI. Seit zehn Jahren belauern sie mich. Sie hoffen, mir mal etwas nachzuweisen. Du glaubst gar nicht, wieviel Dienststunden allein mit meiner Bewachung vertrödelt worden sind.“
Wenn Hymnie sprach, konnte man den Aufstieg des Mannes begreifen, der als abgerissener Bursche mit einem Nickel in der Tasche begonnen hatte, der so lange getreten wurde, bis er zurücktrat. Und der es dann nicht mehr lassen konnte.
„Woher Weißt du, daß es FBI-Leute sind?“ fragte Cindy.
„Erfahrung“, sagte er. „Kriminalbeamte tragen alle eine Uniform. Ich meine nicht die Trenchcoats und die Schlapphüte, auch nicht die unauffälligen grauen Limousinen. Ich meine den Gesichtsausdruck. – Hast du schon mal einen Bluthund gesehen, der eine Spur verfolgt? Ich schon. Als junger Bursche war ich mal unten in Georgia. Dort züchten sie solche Hunde. Da habe ich den Ausdruck gesehen. Genauso sehen sie aus.“
„Deine Erfahrungen habe ich leider nicht“, bemerkte sie ironisch.
Er wandte sich ab und nahm die Flasche aus dem Kühler. Sie war leer. Nach einigem Suchen fand er eine halbvolle Whiskyflasche.
„Das würde ich nicht tun“, sagte Cynthia kühl. „Sekt und Whisky vertragen sich nicht. Das eine ist Rebe, das andere ist Korn.“
Er stellte die Flasche weg und nickte ihr anerkennend zu.
„Das ist die Grenze, Cindy“, philosophierte er. „Darüber bin ich nie weggekommen. Ich habe mir vorgenommen, Geld zu scheffeln, und ich schaffte es. Dann lernte ich, damit umzugehen. Auch das gelang mir. Mein Geld imponierte den Leuten. Aber Anerkennung – die bekam ich nicht. Respekt, meinetwegen, und Haß, Angst und Wut – das bekam ich haufenwelse. Mehr nicht.
Vielleicht lag es daran, daß ich als armer Teufel geboren wurde. Manche Dinge muß man sicher von zu Hause mitbekommen. Ich bin nie hinter die Feinheiten gekommen. Daß Bourbon gut ist und Kornsprit aus der 38. Straße nicht gut ist, habe ich schnell begriffen. Aber sonst?“ Er zuckte die Achseln.
„Deshalb hast du dich auch in Texas angesiedelt, wie?“ fragte sie.
„Stimmt. Die Texaner gefallen mir. Sie fliegen viermotorige Privatjets und bauen dreißig Meter lange Swimmingpools in die Wüste, aber sie reden Speck und Dreck. ,Seht her, Leute, wir haben zwar Geld, aber wir leben noch genauso einfach wie Opa Anno 1860!‘ Dieser Ton gefällt mir schon besser.“
Er musterte Cynthia.
„Du solltest das von deinem Alten wissen.“
Sie schwieg und zündete sich eine Zigarette an. Hymnie trat wieder ans Fenster.
„Jetzt haben sie Wachablösung“, berichtete er. „Zwei Mann. Sie lösen sich alle acht Stunden ab. Arme Teufel. Arbeiten völlig umsonst.“
„Immerhin beschneiden sie dich in deiner Handlungsfreiheit“, sagte Cynthia sachlich.
„Die da unten? Nein! An die habe ich mich gewöhnt. Wenn ich will, drehe ich sie so durch den Wolf, daß sie das FBI für ein Wohlfahrtsinstitut halten. Ich fürchte den anderen.“
„Den anderen?“
Er nickte.
„Den Mann mit dem ausdruckslosen Gesicht. Ich habe ihn noch nicht gesehen. Aber ich weiß, daß er da ist. Er will mich töten.“
Cynthia erschauerte. Einen Moment herrschte lastende Stille im Raum. Dann ertönte das Plopp, mit dem eine gut gekühlte Sektflasche geöffnet wird. Hymnie hatte noch eine Flasche Veuve Cliquot gefunden. Er lachte spöttisch.
„Keine Sorge, Darling! Ich gebe nicht kampflos auf. Meine Chancen sind sogar gut. Jetzt, wo du die Adresse gefunden hast …“
„Was hast du vor?“ fragte sie. Ihre Stimme klang nicht neugierig.
Er griff in die Tasche und beförderte einen Zettel zutage. Es war die Hälfte eines zerrissenen Schecks.
„Nimm das und fahr zum Ambrose-Hotel. Wenn Chet Gwynn dort wohnt, bedeutet das, daß er abgebrannt ist. Ich schulde ihm von früher her noch fünftausend Dollar. Hier ist ein Scheck über diesen Betrag, aber nur ein halber. Sag ihm, daß er einen ganzen Scheck bekommt, wenn er sofort ins Marberry kommt.“
„Er scheint nicht gerade zu deinen Freunden zu zählen“
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