Durch das Beihilferecht sollen zunächst Wettbewerbsverzerrungen in jeder Form vermieden werden, sodass das Kriterium „Verfälschung des Wettbewerbs“ sehr extensiv zu verstehen und auszulegen ist. Es reicht bereits die Möglichkeit einer Wettbewerbsverfälschung aus 41. Es ist daher anzunehmen, dass der Wettbewerb zwischen privaten sowie öffentlichen Thermen und Bädern durch den Verlustausgleich des Bades beeinträchtigt wird.
Die Begünstigung müsste zudem auch dazu geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dabei spielt der Charakter der betroffenen Aktivität, ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihre Reichweite eine entscheidende Rolle. Dies gilt besonders für staatliche Zuwendungen in den Bereichen, in denen der Markt wegen starker Regulierung von vornherein beschränkt ist, der finanzielle Vorteil für Unternehmen nur geringfügig ist oder die Tätigkeit nur lokal beschränkte Auswirkungen hat. 42
Die Kommission zieht bei der Frage, ob eine Tätigkeit nur lokale Bedeutung hat, auch die Zielrichtung des Angebots heran. Dabei ist z. B. zu berücksichtigen, ob der Internetauftritt der Einrichtung in Fremdsprachen verfügbar ist 43. Die Zielgruppe des Bades sind die Einwohner der Stadt und des Umlands. Das Bad wirbt nicht über die deutschen Grenzen hinaus. Das Internetangebot des Bades ist naturgemäß zwar weltweit abrufbar, wird aber – wie die anderen Werbemaßnahmen des Bades auch – nur in deutscher Sprache gehalten, sodass argumentiert werden kann, dass sich das Angebot nur an einen regionalen Nutzerkreis richtet.
Neben der Zielrichtung der Marketingmaßnahmen nutzt die Kommission auch Statistiken, um die fehlende grenzüberschreitende Bedeutung einer Begünstigung zu belegen oder zu widerlegen. In einer Entscheidung zu einem nah der tschechischen Grenze gelegenen Sportcamp in Nordbayern wertete die Kommission die vorgelegten Nutzungsstatistiken aus und kam zu dem Ergebnis, dass das Camp nur von lokaler Bedeutung sei 44.
Eine grenzüberschreitende Bedeutung des Bades könnte also ausgeschlossen werden, wenn ein statistischer Nachweis geführt wird, dass das Bad auf den lokalen Markt ausgerichtet ist. Es ist daher anzuraten, dass das Bad regelmäßig über einen bestimmten Zeitraum seine Besucher durch die Abfrage von Postleitzahlen erfasst und dabei zwischen Gästen aus dem Inland und dem Ausland unterscheidet. Ist der Prozentsatz der Nutzer aus anderen Mitgliedstaaten unterhalb von 5 %, kann argumentiert werden, dass das Bad nur eine lokale Bedeutung hat.
1.3.1.6De-minimis-Beihilfen
Schließlich werden Begünstigungen eines Unternehmens bis zu einem bestimmten Höchstbetrag nicht als Maßnahmen erachtet, die geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Begünstigungen werden als „De-minimis-Beihilfen“ bezeichnet, auch wenn es sich bei ihnen – mangels Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten – strenggenommen gar nicht um Beihilfen i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt.
Die Voraussetzungen für die De-minimis-Beihilfen werden in Verordnungen der Europäischen Union geregelt. Nach der De-minimis-Verordnung 45kann jedes Unternehmen einen Betrag von bis zu 200000 € in einem Zeitraum von drei Jahren zugewendet bekommen. Nach der DAWI-De-minimis-Verordnung 46erhöht sich der Betrag bei der Erbringung von DAWI auf 500000 € in einem Zeitraum von drei Jahren. Dieses Instrument bietet sich insbesondere bei kleinen Unternehmen an, denen eine Investitionshilfe gegeben werden soll. Auch die die Reduzierung des Kaufpreises bei Verkauf eines Grundstücks an ein Unternehmen kann durch Beachtung dieser Höchstgrenze beihilfenkonform ausgestaltet werden.
Da die Grenzen der Verordnungen in unserem Ausgangsfall bei einem Verlustausgleich in Höhe von etwa 500000 € jährlich überschritten werden würden, handelt es sich bei den Ausgleichszahlungen für das Bad nicht um „De-minimis-Beihilfen“.
Da in unserem Ausgangsfall nicht mit letzter Rechtssicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Verlustausgleich den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, ist eine Rechtfertigung der Beihilfen zu prüfen.
1.4Rechtfertigung der Beihilfen nach der AGVO
Aus der AGVO, die zuletzt am 17.5.2017 durch eine Verordnung der Kommission 47geändert worden ist, ergeben sich eine Vielzahl von Freistellungsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Bereiche. Darin werden für bestimmte Bereiche Anforderungen festgelegt, bei deren Vorliegen die Beihilfen mit dem Binnenmarkt vereinbar sind und nicht der Notifizierung durch die Kommission bedürfen.
Gemäß den Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 3 AGVO sind Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar, wenn diese Beihilfen alle Voraussetzungen des Kapitels I der AGVO sowie die für die betreffende Gruppe von Beihilfen geltenden Voraussetzungen des Kapitels III der AGVO erfüllen.
1.4.1Allgemeine Freistellungsvoraussetzungen
Das Kapitel I der AGVO enthält eine Reihe von allgemeinen Voraussetzungen für die Freistellung von Beihilfen nach der AGVO:
•Gemäß Art. 4 Abs. 1 AGVO gilt die AGVO nicht für Beihilfen, die die dort genannten Anmeldeschwellen überschreiten. Die Anmeldeschwellen für Investitionsbeihilfen in Sport- und multifunktionale Freizeitinfrastrukturen liegen bei 30 Mio. € oder bei Gesamtkosten von über 100 Mio. € pro Vorhaben. Die Anmeldeschwelle für Betriebsbeihilfen liegt bei 2 Mio. € pro Infrastruktur und Jahr. Da der Verlustausgleich für den Betrieb des Bades in den nächsten Jahren immer weit unterhalb von 2 Mio. € liegen wird, werden die Anmeldeschwellen also nicht überschritten.
•In Art. 8 AGVO wird klargestellt, dass bei der Prüfung der Anmeldeschwellen die gesamten für die geförderte Tätigkeit, das geförderte Vorhaben oder das geförderte Unternehmen gewährten Beihilfen berücksichtigt werden müssen. Da das Bad Verlustausgleich keine weiteren Beihilfen erhält, werden die Anmeldeschwellen aber auch kumulativ nicht überschritten.
•Gemäß Art. 5 Abs. 1 AGVO gilt die AGVO nur für solche Beihilfen, deren Bruttosubventionsäquivalent sich im Voraus genau berechnen lässt, ohne dass eine Risikobewertung erforderlich ist („transparente Beihilfen“). Die Höhe der Beihilfe muss daher zum Zeitpunkt ihrer Gewährung genau feststehen. Als transparent gelten etwa per se Beihilfen in Form von Zuschüssen (Art. 5 Abs. 2 lit. a AGVO). Auch der Verlustausgleich für das Bad lässt sich zum Zeitpunkt seiner Gewährung quantitativ bestimmen, sodass es sich bei ihm um eine transparente Beihilfe handelt.
•Gemäß Art. 6 Abs. 1 AGVO gilt die nur für Beihilfen, die einen Anreizeffekt haben. Beihilfen sollen nur ein Anreiz für das geplante Vorhaben sein und nicht für Vorhaben gewährt werden, die das Unternehmen auch ohne Beihilfe durchgeführt hätte („Mitnahmeeffekt“). Ohne Verlustausgleich würde das Bad mittelfristig nicht mehr betrieben werden können und müsste geschlossen werden. Die Beihilfe in Form des Verlustausgleichs hat demnach auch einen Anreizeffekt.
•Die Mitgliedstaaten müssen zuletzt bestimmte Beihilfeinformationen über das TAM (Transparency Award Module) veröffentlichen: Zum einen die „SANI-2-Daten“ (Art. 9 Abs. 1 lit. a und b i. V. m. Art. 11 lit. a i. V. m. Anhang II AGVO) und bei Einzelbeihilfen von über 500000 € zum anderen auch eine Reihe weiterer Informationen (Art. 9 Abs. 1 lit. c i. V. m. Anhang III AGVO). Da die Ausgleichszahlungen für das Bad bei weniger als 500000 € jährlich liegen werden, kann auf eine Veröffentlichung der weiteren Daten verzichtet werden.
Über diese allgemeinen Anforderungen hinaus bestehen weitere Voraussetzungen, die aber keine Freistellungsvoraussetzungen darstellen (vgl. Art. 3 AGVO):
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