„Ja, warum?“ träumte Irma in sich hinein, und Herr von Blossin stiess dicke Wolken aus seiner schwarzen Dannemann.
„Weil der ewige Weltwille die grosse Versöhnung der Gegensätze in der Befriedigung aller Bedürfnisse schuf.“
„Das also wäre der archimedische Punkt.“
„Das allein.“
Diese Gedanken kehrten in allen Gesprächen der Freunde wieder. Und auch heute bei der Tafel in Grünheide war das Leitmotiv die Lösung der sozialen Frage, wie der schlichte Molkwitz es schlagwortartig ausdrückte. Der spanische Gast lächelte überlegen.
„Darf ich als Ausländer auch ein Wort dazu sagen?“
„Aber bitte“, stimmte der Kommerzienrat zu.
„Nun denn. Wenn Deutschland erst wieder ganz in den Schoss der katholischen Kirche zurückgekehrt ist, dann ist die soziale Frage gelöst.“
„Auf dem Wege der Inquisition“, warf Blossin boshaft ein.
„Inquisition war einmal. Heute nennt man es —“
„Handelsspionage“, knurrte Blossin von neuem.
„Ich wollte sagen: Gemeinschaftsgefühl“, fuhr der Spanier fort, ohne sich gekränkt zu zeigen. „Gemeinschaftsgefühl ist der Sieg der katholischen Kirche, glauben Sie mir. Was man in der Welt Sozialismus nennt, ist nichts anderes als das Gemeinschaftsgefühl.“
Ein merkwürdiges Lächeln sprang in Leopolds Gesicht. Irma sah es. Sie legte ungesehen von der Gesellschaft begütigend ihre Hand auf seinen Arm.
Ein heisser Blutstrom schoss ihm zum Herzen. Er fühlte die Warnung des geliebten Wesens und blickte zu seinem Freunde Walter hinüber, der ihm drohende Augen machte. Es schwirrten ungesprochene Worte um seine Ohren; jeder, der ihm befreundet war, sprach im Geiste mit ihm. Und er verstand alle. Sie wollten, er solle dem Spanier nicht widersprechen. Ihn nicht vergrämen, weil man ein grosses Geschäft mit ihm zu machen im Begriff war. Er solle die Brücke nicht sprengen. Darum dämmte er den Strom zurück, der aus seiner Seele hervorbrechen wollte, und liess nur ein kleines, bescheidenes Wortbächlein rinnen:
„Sie mögen recht haben, Herr Moreto, Sozialismus — Gemeinschaftsgefühl, Gemeinschaftsgefühl — Sozialismus ...“
„Natürlich im christlichen Geiste verstanden.“
Nun musste er doch einen Tropfen Fegefeuer in die grosse Retorte spritzen:
„Darf ich Ihnen ein Geheimnis sagen ... Sie sind ja unser, unseres Deutschlands Freund und werden es nicht an die Gegner verraten.“
Er hielt einen Augenblick inne und beobachtete die Wirkung seiner Worte. Der Spanier horchte auf. Sein olivenfarbiges Hidalgogesicht wurde dunkelrot. Die andern sahen Leopold erwartungsvoll an. Auf dem schönen Munde Irmas zögerte ein geisterndes Lächeln.
„Ein Geheimnis?“ angelte Moreto gierig.
„Ja, das Geheimnis der Welt: Es gibt gar keinen Sozialismus. Haben Sie in der Welt, die den Sozialismus als ihr Wappentier verehrt, die ihn in Generalerbpacht genommen hat, schon etwas anderes gefunden als Egoismus? Streik, Klassenkampf, Achtstundentag, Sozialisierung der Produktionsmittel, Gemeinsamkeit des Eigentums ... alles blöder Egoismus!“
„Aber Herr Doktor, das geschieht doch für die Allgemeinheit.“
„Hat denn die Allgemeinheit etwas davon, gerät die Masse des Volkes denn nicht immer tiefer ins Elend? Der wahre Sozialismus ist nur bei Idealmenschen durchzuführen. Wir alle sind Egoisten, und die Züchtung Ihres sogenannten Gemeinschaftsgefühls wird nur aus Egoismus betrieben.“
„So glauben Sie nicht an reine Selbstlosigkeit beim Menschen?“
„O ja.“ Und nun liebkosten seine Augen in schnellem Fluge Irma, die ihn glückatmend verstand. „Selbstlos ist nur die Liebe der Mutter zu ihrem Kind, beim Menschen und beim Tier. Die ewige Vorsicht hat für ihr heiligstes Wirken, für die Erhaltung der Welt ihr tiefstes Mysterium dahingegeben, den Sohn Gottes, die reine Selbstlosigkeit.“
Kommerzienrat Schönebeck wollte nicht, dass die Unterhaltung sich auf ein Gebiet verlor, das dem bevorstehenden Geschäft nicht günstig war. Darum gab er seiner Gattin einen Wink, die Tafel aufzuheben.
„Wir trinken den Kaffee in meinem Zimmer“, ordnete der Hausherr an. Und nun begaben sich die männlichen Mitglieder der Abendgesellschaft nach rechts in das Herrenzimmer, die weiblichen nach links in den schimmernden Gartensalon, der über eine duftige Terrasse nach dem See blickte.
Die Wasser blinkten dunkelblau. Und die weissen Dünen fassten sie kleinodig ein. In den etwas helleren Abendhimmel stiessen die märkischen Kiefern wie die Pinien Toskanas, dazu der blühende Juliabend ... ganz Italien.
Den Damen wurden Florentiner Makronen gereicht, dazu eisiges Orangewasser. Für stärkere Nerven gab es Marsalla di Catania oder Certosa. Wer es wünschte, erhielt auch Kaffee.
Die Herren tranken Mokka mit Kognak und rauchten dicke, biegsame Importen. Alles hatte Stil.
Und nun begann im Herrenzimmer die eigentliche Arbeit.
Molkwitz und Blossin sassen im Aufsichtsrat der Gesellschaft, Kommerzienrat Schönebeck war Generaldirektor, Walter versah die juristische Abteilung und die Verwaltung, und Leopold leitete die chemische. Der Spanier und sein deutscher Anwalt, Justizrat Bitter, vertraten die andere Vertragspartei. Vorbesprechungen hatten bereits stattgefunden, die Parteien waren sich im wesentlichen einig. Es sollte heute eigentlich nur das letzte Wort gesprochen und der Vertrag unterzeichnet werden.
Aber das war nicht ganz leicht, denn Justizrat Bitter war ein Fuchs. Er feilschte nicht um die Summe — Geld spielte scheinbar bei dem spanischen Konsortium keine Rolle — sondern er feilschte um Rechte. Er wollte die Fabrikationsberechtigung nicht nur für Spanien, sondern für das ganze romanische Europa. Dagegen erhob Walter Einspruch.
„Für Frankreich geben wir keine Licenz. Frankreich ist unser Feind, auch heute noch. Und es hat keinen andern Wunsch, als uns ganz zu Boden zu ringen.“
„Es wird auch wieder einmal anders werden. Jede Stunde kann die Mächtegruppierung ändern und dann —“
„Deutschland wird immer — solange die Entente in Europa herrscht — vergewaltigt werden.“
„Aber doch nicht von uns, nicht von Spanien!“ warf Moreto mit mehr Emphase ein, als natürlich war.
Leopold wurde hellhörig und telegraphierte mit den Augen zu Walter hinüber. Auch dem Kommerzienrat war der merkwürdige Unterton nicht entgangen. Er lauerte den Spanier von der Seite an. Der aber war ein gewiegter Unterhändler und hatte seine Gesichtszüge in der Gewalt.
„Wir werden keine Rechte an Frankreich verkaufen. Nur die Möglichkeit müssen wir uns offen halten, in Frankreich eine Fabrik anzulegen, um zollfrei unsere Düngesalze dort absetzen zu können. In den französischen Pyrenäen finden wir geeignete Punkte und Rohstoffe beinahe so reichlich wie in Spanien selbst.“
Walter schlug in dieselbe Kerbe:
„Darauf könnten wir vielleicht in der Form eingehen, dass wir die Licenzen für das ganze romanische Europa vergeben unter der Bedingung, dass alle Fabriken, wo auch immer sie sich befinden, von dem spanischen Konsortium gegründet und geleitet werden.“
„Aber das kann doch nicht ohne einheimisches Kapital geschehen“, warf Justizrat Bitter ein.
„Dagegen würden wir Einspruch erheben müssen. Wir wollen kein feindliches Kapital als Konkurrenten haben.“
„Auch kein amerikanisches?“
„Am liebsten auch das nicht.“
„Das ist aber doch gar nicht zu verhindern! Unsere Aktien werden an allen Börsen der Welt gehandelt werden, und eines Tages überrascht uns die Tatsache, dass in der französischen Fabrik französisches Kapital überwiegt.“
„Gut, Herr Justizrat, dass Sie uns auf diese Gefahr aufmerksam machen“, warf Walter leichtblütig hin.
Der Spanier wurde unruhig. Sein Rechtsbeistand hatte offenbar einen Fehler gemacht. Aber schon bei der nächsten Wendung merkte er, wohinaus der gerissene Verhandlungstechniker wollte.
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