1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 »Sie haben natürlich in vielen Dingen recht, Sir«, begann er vorsichtig – er unterstand direkt OMGUS, dem US-Oberkommando –, »aber ich denke doch, daß die Dinge nicht ganz so einfach liegen.« Trotz der allgemeinen Feindseligkeit, die der Major spürte, fuhr er fort: »Wenn wir mit den Russen brechen, arbeiten wir den deutschen Nazis direkt in die Hände.« Er wich den Augen des Generals nicht aus. »Schließlich versuchen die ja ständig, uns und die Sowjets auseinanderzudividieren.«
»Baloney«, schimpfte Freetown, einem Ausbruch Pattons zuvorkommend. »Bosh. Ist Winston Churchill ein deutscher Nazi?«
»Natürlich nicht, Marc.«
»Wissen Sie, was der britische Premier gestern öffentlich festgestellt hat?« fragte er: »Die Russen werden wie Heuschrecken über ganz Europa herfallen.«
Der geschmeidige Theater-Offizier hatte einen Nagel auf den Kopf getroffen und den meisten Anwesenden aus dem Herzen gesprochen. Er war ein mittelgroßer, gut aussehender Mann mit einem knappen Gesicht und einem offenen Blick, der gute Mensch von nebenan, der noch dazu Grips hatte. Grips und Witz.
»Ich nehme nicht an, Gentlemen«, beendete der General das Hickhack zwischen seinen Offizieren, »daß unter Ihnen einer ist, der mich für einen Nazi hält.« Er wartete, bis sich das Gelächter gelegt hatte. »Das möchte ich vorausschicken, um nicht mißverstanden zu werden. Ich sehe mich gezwungen, festzustellen, daß die Anstrengungen, die wir unter dem Stichwort ›Denazification‹ betreiben, einem Narrentreiben gleichen. Und dieser Nonsens wird uns, wenn wir ihn nicht rechtzeitig abstellen, wie ein Bumerang an den Kopf fliegen. Genau darauf warten unsere Ex-Waffenbrüder schließlich.«
Fast alle aus der Umgebung des Drei-Sterne-Generals standen mit ihren Ansichten hinter Patton, was nichts daran änderte, daß der eine oder andere ihn lieber auf dem Sockel eines Kriegerdenkmals gesehen hätte, denn als allgegenwärtigen Befehlshaber der 3. Armee.
»Wir können natürlich Regierungsräte zu Straßenkehrern machen, und wir tun es ja auch«, fuhr er fort, »wir können aber nicht Straßenkehrer zu Regierungsräten ernennen, aber das tun wir auch, und diesen Wahnsinn möchte ich unverzüglich abstellen. Ich werde künftig nicht mehr dulden, daß sie einen politisch integeren, aber fachlich unqualifizierten Mann auf einen Stuhl setzen, der für ihn einfach ein paar Nummern zu groß ist.«
Judy Tyler, die Reporterin, ging jetzt mit der Handkamera dicht an den General heran, sein Gesicht schien sie mehr zu interessieren als seine Worte.
»Sagen Sie mir, Judy, wenn Sie abdrücken, damit ich rechtzeitig meine Wampe einziehen kann«, sagte der General ungeniert und wandte sich wieder seinen Offizieren zu. »Ich denke, wir haben uns verstanden, Gentlemen?«
»Indeed, Sir«, antwortete Captain Wallner. »Aber wo sollen wir die qualifizierten Leute hernehmen, Sir, wenn wir sie nicht haben?«
»Sie müssen sich eben mehr anstrengen, Captain«, entgegnete der Hochkommissar.
Es war eine etwas billige Feststellung, denn die Officers des Military Government waren ununterbrochen auf der Suche nach Deutschen, die Entnazifizierungslücken schließen könnten. Die Löcher in der deutschen Verwaltung gingen auf Bestimmungen des fernen Washington zurück, auf die noch der ›Morgenthau‹ gefallen war, aus Anordnungen, die vorsahen, alle Parteigenossen aus ihren Stellungen zu entfernen.
Aber die Eisenbahnzüge mußten trotzdem rollen, die zerstörten Brücken wenigstens behelfsmäßig wieder aufgebaut werden. Die öffentlichen Gesundheitsdienste hatten den Ausbruch von Massenseuchen zu verhindern, und die Verwaltung mußte dafür sorgen, daß nicht die deutsche Bevölkerung, Schwarzhändler und Fräuleins ausgenommen, pauschal verhungerte. Die Not an geeigneten Männern war so groß, daß sich das Military Government vorübergehend sogar Beamte aus der Schweiz auslieh; die – noch dazu kostspieligen – Eidgenossen waren natürlich keine Dauerlösung.
Daß Wasser, Strom und Gas jetzt wieder halbwegs funktionierten, war nur einigen örtlichen Befehlshabern – innerhalb der Militär-Regierung ›Landkreis-Könige‹ genannt – zu verdanken, die, stillschweigend die Vorschriften umgehend, PGs weiter beschäftigt hatten, bis ein ›Informer‹ diesen Vorgang höheren Ortes denunzierte, worauf der Mann ersatzlos wieder gefeuert werden mußte. Unter diesen Umständen war es für jede Stadtverwaltung ziemlich aussichtslos, genügend Kräfte zu finden, Männer, die einen sauberen Fragebogen vorweisen konnten und doch etwas von ihrem Fach verstanden.
Es gab sie natürlich, aber diese Leute waren zu alt oder zu gewitzt, um sich in so unsicheren Zeiten auf vage Experimente einzulassen. In einigen Fällen hatten die Amerikaner den einen oder anderen dann doch mit der Androhung überredet, ansonsten einen DP zum Bürgermeister oder Landrat zu ernennen. Seltener gab es Patent-Lösungen wie in der fränkischen Stadt Ansbach, wo ein mit illegalen Ostzonen-Flüchtlingen überladener Lastwagen zusammengebrochen war. Die Militär-Polizei nahm sofort eine Personen-Kontrolle vor und stieß dabei auf einen hohen Ministerialbeamten aus Berlin, der nicht der Partei angehört hatte. Der Mann wurde auf der Stelle zum Bürgermeister befördert.
»Ich denke, Sie haben mich verstanden, Captain Wallner«, sagte der General zu dem Offizier, der offensichtlich mit Pattons neuer Weisung nicht einverstanden war.
»Sir«, entgegnete er, »Vernunft und Vorschriften sind zwei Paar Stiefel. Was Sie nunmehr anordnen – darauf muß ich leider aufmerksam machen – verstößt ganz entschieden gegen die Vorschriften.«
»Vorschriften!« schnaubte der General. »Putzen Sie sich mit Ihren Vorschriften den Arsch ab, und lassen Sie mich in Ruhe mit diesem beschissenen Papiermist.« Er sah zu der Journalistin hin: »Sorry, Judy«, entschuldigte er sich.
»It does’nt matter, General«, erwiderte sie. »Ich lebe lange genug unter Männern.«
Der General nickte lächelnd. »Alles klar, Captain Wallner? Es ist ein Befehl«, setzte er hinzu. »Ich werde jeden von Ihnen decken, der sich in dieser Sache in Widerspruch zu den Bestimmungen setzt.«
»Aber das ist doch nicht etwa ein Freibrief für die Nazis«, schaltete sich Major Silversmith wieder ein.
»Nicht für Nazis«, erwiderte Patton, »weiß Gott nicht. Hier können Sie sich austoben, Captain. Fangen Sie den Gestapo-Müller, den Reichsleiter Bormann, den Gauleiter Koch, die SS-Obergruppenführer Pohl und Heissmeyer oder den Judenmörder Eichmann. Soll ich Ihnen noch weitere Namen aufzählen?«
»Immerhin schnappen wir jeden Tag durchschnittlich siebenhundert Nazis«, erwiderte Silversmith.
»Vermutlich sechshundert zu viel«, konterte Patton. »Und das halbe Reichssicherheitshauptamt läuft noch frei herum. Ich habe mir diese Kerle vorgestern im Interniertenlager angesehen, die ihr zusammengetrieben habt: Es sind nicht die Nazi-Monster, gegen die wir gekämpft haben. Die meisten sind kleine Fische oder windige Scheißer.«
»Wir werden uns mit jedem einzelnen von ihnen befassen«, erwiderte Silversmith.
»Aber schnell, wenn ich bitten darf.«
»Wir tun, was wir können.«
»Wissen Sie eigentlich, daß die Russen längst begonnen haben, auf unserem Besatzungsgebiet deutsche Wissenschaftler zusammenzufangen und in die Sowjetunion zu befördern? Zum Beispiel Raketenforscher von Peenemünde, Ingenieure, die an der Entwicklung des deutschen Düsenjägers und des Turbinen-U-Bootes gearbeitet haben.«
»Sie haben Beweise, Sir?« fragte selbst G2-Colonel Peaboddy überrascht.
»Wir haben sie«, knurrte Rigby, anstelle des Generals, »und sie sind hieb- und stichfest. Niemand kann an ihnen rütteln.«
»Kommen wir zum Schluß«, sagte Patton. »Hier meine Befehle: Erstens: Kein unqualifizierter Deutscher rückt künftig in eine Stellung ein, der er nicht gewachsen ist. Zweitens: Sie verstärken Ihre Anstrengungen, geeignete unbelastete Persönlichkeiten zu finden. Und zum Dritten: Falls Sie keine geeigneten Unbelasteten auftreiben, greifen Sie mit meiner vollen Rückendeckung auf formal Belastete zurück – natürlich nicht auf big or worst Nazis.«
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