Vermutlich keiner, nicht einmal einer vom FBI, der Räume unter Zeitdruck nach Informationen zu durchsuchen hatte, wäre damals auf die Idee gekommen, Foggy Gellhorns langweilige Sammlung von Kreuzgehängen, Federringen und Schlauchschellen lange zu verdächtigen, Wichtiges zu verbergen. Ich traf 1991 also erstmals meinen kleinen und angeblichen Großcousin und hatte gleich Lust auf seinen perversen Beruf. Foggy mit seinen Flitzeäuglein sah mich übrigens nie auch nur für eine Sekunde richtig an. Ich ihn dafür umso mehr. Der Kerl rief von morgens bis abends nach Gespenstern, also kamen allmählich auch welche, besonders nach 9/11, vom vorigen Jahr ganz zu schweigen.
Meine Verschwundenen aber gehörten eher zu den neueren deutschen Märchen, die keinen Amerikaner groß interessierten.
Ich muss an dieser Stelle von meinem damaligen Klienten Klaus Potocki sprechen. Potty, wie sie ihn nannten, hatte polnische Wurzeln und war Major der Grenztruppen der DDR, musikalischer Bereich, gewesen. Er war Gitarrist und Sänger der ziemlich harten Rockgruppe »MTS« gewesen, die mit einem Auftrittsverbot belegt worden war, noch ehe sie sich »Herzverbrecher« nannte, nicht nur im Harz. Die »Herzverbrecher« wurden schließlich ganz verboten, obwohl oder eben weil Klaus Potocki in jener Zeit sogar zum Major befördert worden war. Es ist unvorstellbar, wie es Potty jedesmal hinkriegte, dass die Verbote wieder aufgehoben wurden, vielleicht, weil er es organisiert hatte, dass sie in Berlin einmal vor beiden Erichs gleichzeitig spielen konnten. Anscheinend waren Honecker und Mielke vergnügt gewesen, und die inoffiziellen »Herzverbrecher« spielten einfach weiter bis Sommer 1989, gut bezahlt von der Nationalen Volksarmee der DDR.
Ich habe Potty mal kennengelernt in meinem halben Jahr bei der Volksarmee in Bad Langensalza. Ich hatte Ausgang und war auf einer Disco gelandet. Die »Herzverbrecher« hatten diesmal schräge Songs von 1813 dabei. Der Major der Grenztruppen der DDR Klaus Potocki trug an der Theke dann sogar eine preußische Uniform, eine der Schlesischen Landwehr, nur ohne das Eiserne Kreuz am Tschako, dafür aber mit übergroßer preußischer Kokarde. So sind wir uns bei einer Reihe von »Absackern« begegnet. Er stammte aus Schierke und war schon als Kind im Oberharz als Freiberufler anerkannt, indem er die Höhlen der Feldhamster ausgeraubt und das Getreide und die Erbsen als Vogelfutter an privat, aber auch an die Zoohandlungen in Wernigerode und Nordhausen verhökert hatte.
Ende 1989 stand Potty höchstselbst in der Uniform eines Majors der DDR an einer Gulaschkanone in der Gegend von Alexisbad und verkaufte Erbsensuppe. Dann erwarb er im Depot seiner gerade friedlich untergegangenen Armee noch weitere Gulaschkanonen und vor allem einige Lkw. Suppen in Riesenkesseln schmecken einfach besser, wusste der Militär Potty und seine Erbsensuppe begann sich nicht nur im Harz herumzusprechen. Im ZDF sagte Potty 1991, dass er in nächster Zeit sechzigtausend Büchsen »Potty’s Original Erbsensuppe« an seinen Geschäftsfreund, den Spezialitätenhändler Stuhlmüller, nach Palm Springs in Kalifornien liefern werde. Doch Stuhlmüller, davon informiert, hatte noch nie was von Potty gehört. Stuhlmüller, heißt es, wurde ganz warm ums Herz bei solch einer Frechheit, zumal er die Ostdeutschen vom Fernsehen her für echte Freiheitskämpfer hielt. So nahm er Potty beim Wort, und der musste zusehen, wie er in kürzester Zeit eine Büchsenproduktion aufmachte. Währenddessen konnte das ZDF schon eine bestens platzierte Werbetafel auf dem Broadway in New York zeigen: »Give Pies a Chance: Potty’s. Germany.« Zack! Besser hätte es noch nicht mal Don Draper hingekriegt. Potty hat es bis heute nie selber in die USA geschafft wie seit Langem Hunderttausende seiner Erbsensuppen. Aber er war immerhin 1992 mit Stuhlmüller auf einer wochenlangen Jagd in Honduras gewesen.
Mit diesem DDR-Major, Gitarrenverbrecher, Privatunternehmer und Eulenspiegel habe ich damals gern die Adressen getauscht. Als ich Potty 1991 wiedertraf, bat er mich, bei meiner bevorstehenden Amerikareise nach seinem Freund und Panzerkollegen Gerd Grau zu suchen, vermutlich in den Black Hills. Also verdanke ich es Potty, mich als Erster auf meine schräge berufliche Laufbahn gebracht zu haben.
Die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Black Hills. Einer in Oslo kennt vermutlich kaum jemanden in Palermo, und du kannst nicht mal eben so von Kiew aus gleich in Lissabon sein. Menschensuche war damals für mich mehr als heute eine Frage der Zeit und des Geldes. Aber ich durfte ja nicht klammheimlich vor mir selber, nur um zu sparen, einen Gesuchten zuerst an den möglichst nahen oder mir angenehmen Orten vermuten.
Gerd Grau wurde 1987 von seiner Liebsten, einer Squaw der Dakota aus Gera, wegen seiner Staatstreue verlassen. Sie dachte, sie wäre die Freiheit selbst, und hasste ihren Liebsten auf dem Sowjetführungspanzer. Sie ging im Frühjahr 1989 nach dem Westen. Das habe ich Jahre später von Potty erfahren, als ich mal im Harz zum Wandern war und dort eine wirklich leckere Erbsensuppe zu essen bekam und dazu noch meinen ersten richtigen Suchauftrag.
Gerd Graus ehemalige Liebste ging im Frühjahr 1989 gleich bis nach Eden, 19 Einwohner, 32 Quadratmeilen, mitten in Wyoming, wo sie niemand abholte. Wie es mit ihr weitergegangen war, habe ich erst danach erfahren: In Eden gab es ein Geschäft, wo auch Waffen und ausreichend Munition verkauft wurden. Als die Squaw aus Gera da hineinging, um vielleicht jemanden zu treffen, der sie mit nach Rapid City nahm, war keiner da. Es kam auch niemand, um sie zu bedienen. Sie dachte schon daran, sich einfach zu versorgen, ohne zu bezahlen, da kam die Inhaberin, eine alte Dame. Sie bot ganz privat ein Mittagessen an, aber die Liebste a. D. eines DDR-Panzerhauptmanns fragte die Lady nur, ob sie keine Angst habe vor Überfällen.
Warum denn, sagte die alte Dame, hier gäbe es keine Bösewichter. Diese weit und breit einzige Straße ginge von Pinedale nach Rock Springs. Wie wolle denn ein Bösewicht an einem der beiden Sheriffs vorbeikommen?
So geriet sie unter ein paar lasche Geistertänzer mit Whiskyflaschen am Rand der Tanzflächen im Weichbild von Rock Springs, die sich für eigenes Geld tatsächlich etwas Land oder schäbige Wohnungen gekauft hatten. Die Squaw aus Gera war innen tiefrot, nur außen weiß. Sie übersah, dass ihre neuen Leute zwar außen rot, innen aber wohl viel weißer waren als sie.
Sie zwang sich dazu, sich in einen Schoschonen statt in einen Dakota zu verlieben. Der gab sich alle Mühe, sie als die Seine zu betrachten. Er besorgte schließlich sogar eine Wohnung in Rapid City, hatte recht zärtliche Hände, die aus dem Nichts auch mal zuschlagen konnten, und dazu noch zwei minderjährige Kinder. Wider Erwarten war die Sehnsuchtsindianerin auf einmal Doppelmutti. Die beiden Rangen blieben skeptisch. Sie war viel zu viel Indianer. Die Squaw aus Gera schaffte es in ihrer teilweisen Selbstständigkeit, so hübsche echt indianische Tabaksbeutel und Mokkassins herzustellen, wie es nur wenige in Ostthüringen hingekriegt hätten. So kam sie in ihrer neuen Heimat mit ihrem Verkaufsstand auch hinaus in die weite Welt, also bis nach Cheyenne, Thermopolis oder sogar bis nach Deadwood in Süd-Dakota. Sie hieß inzwischen anders und war eigentlich so gut wie unauffindbar, selbst für die meisten der Schoschonen – im Volk ihrer geliebten Dakotas ging der Name dieser Squaw gar nicht erst um.
Ein zufälliges deutsches Indianertürkisschmuckhändlerehepaar aus Bienenbüttel in der Lüneburger Heide, das alljährlich für drei Monate durch den Westen der USA tourte, gab mir dann den entscheidenden Tipp mit Cheyenne, Thermopolis oder Deadwood.
Ich wollte schon immer nach Deadwood in Süd-Dakota, wo in den nächsten Tagen einer dieser Handwerkermärkte stattfinden sollte. Mich hat schon immer das Ding zwischen Wild Bill Hickock und Calamity Jane in Deadwood fasziniert. Calamity Jane hat nicht nur ohne Federlesens Wild Bills Mörder mit einem Hackebeil gestellt, sie hat auch ihrer Tochter, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte, als einziges ein Rezept vererbt für einen Kuchen, der in der Not für zwanzig Jahre mit viel Hirschhornsalz haltbar gemacht werden kann. Ihre Briefe an sie ergreifen mich noch heute.
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