„Ein netter Kerl, dieser Thorwald“, sagte sie, um Kornelia eine Freude zu machen, „nett und gescheit.“
„Ja“, antwortete Kornelia. Das war nicht eben viel.
„Und sein Pferd?“ fragte Frau Kayser also. Jetzt wurde Kornelia gesprächig.
„Wallach, Rotschimmel, ziemlich massig. Bin ihn schon geritten. Achtjährig. Ich weiß nicht, ob er ihm gehört oder ihm und dem Freund zusammen. Als wir die beiden kennenlernten, machten sie noch gemeinsame Sache. Jetzt scheinen sie sich ja zerstritten zu haben. Die Unterkunft der lsländer dort gefiel mir übrigens gar nicht sehr ...“ Sie erzählte weiter. Viel von den Pferden, vom Reitersmann nichts.
„Nun, so hält man es wohl mit siebzehn Jahren“, dachte Frau Kaiser und versuchte, sich damit zu bescheiden. Aber daß die andern so über sie gelacht hatten, als sie Kornelias Verliebtheit sahen, fand sie auch jetzt noch empörend. Welche Sorge hatte eine Mutter heutzutage. „Na wartet, wenn es euch erst mit euren Kindern so geht!“
Aber zwei ihrer Brüder hatten ja noch keine, und Bertram und Pölze nur Söhne. Mit Söhnen ist es ganz anders, viel leichter – das heißt, wenn sie an Martin dachte ...
Mit diesen Überlegungen ging Frau Kayser zu Bett, überzeugt davon, nicht eine Minute schlafen zu können. Jedoch nach zwei Minuten bereits hatte das Sandmännchen – oder war es Morpheus persönlich – sie überwältigt. Sie war eine Landfrau, und deren Tag ist lang und anstrengend.
Am andern Morgen erschien Ulrich Thorwald gegen zehn Uhr wieder in Niederwerth, sah nach seinem Isländer, fütterte ihn mit Mohrrüben und striegelte ihn anschließend. Bertram hatte den jungen Mann gesehen und gesellte sich zu ihm. Sie schlenderten miteinander weiter.
Jetzt gab es nicht allzuviel Arbeit in der Landwirtschaft, man hatte Zeit. Bertram trug die Büchse am Riemen über der Schulter und das Glas um den Hals. Das war nichts Außergewöhnliches, zum Gut gehörte eine Jagd.
„Sie arbeiten mit Strafgefangenen?“ fragte Thorwald schließlich, als sie eine Weile geschwiegen hatten. „Kornelia erzählte mir davon.“
„Ja. Man bekommt keine Feldarbeiter mehr. Das, was man früher Tagelöhner nannte. Einiges von der Arbeit, die sie leisteten, kann man mit Maschinen machen, aber nicht alles. Deshalb.“ Bertram schwieg abwartend.
„Ist das nicht – ich meine, es kann recht gefährlich sein, oder? Im September, als ich Ihre Frau und Kornelia kennenlernte, war gerade einer bei Ihnen entflohen, erzählte sie mir.“
„Haben Sie es gelesen?“ fragte Bertram nun geradezu. Thorwald sah ihn an.
„Ja.“
„Es ist derselbe“, sagte Bertram mit einem Entschluß. Er hatte noch mit keinem Menschen davon gesprochen. „Der, der damals hier dem Fachmann durchbrannte, ist jetzt aus der Strafanstalt ausgebrochen. Wie, das ahne ich nicht. Vorgestern stand es in der Zeitung. Ich hoffe, meine Familie hat es, durch die Reise der beiden und Ihre Ankunft und das Durcheinander, das gestern herrschte, nicht gelesen. Ich möchte Sie auch bitten, Herr Thorwald, nicht darüber zu sprechen.“
„Wäre es nicht besser, sie wüßten es?“ fragte der andere vorsichtig.
Bertram zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Es kann so und so richtig oder verkehrt sein. Meine Überlegung ist die: Die Frauen kommen jetzt nicht viel ins Freie, sind also nicht unbedingt gefährdet. Mit dem Hofmeister habe ich gesprochen. Vielleicht wird er bald erwischt, und ich kann es hinterher erzählen. Ich möchte meine Frau jetzt nicht unnötig belasten ...“
Sie gingen nebeneinanderher, langsam, beide in Gedanken.
„Haben Sie deshalb ..., sind Sie deshalb bewaffnet?“ fragte der Jüngere ein wenig scheu nach langem Schweigen. Bertram lächelte verhalten.
„Man kann es so nennen. Natürlich nicht nach außen hin, nach außen lauere ich auf Rebhühner oder Enten. Es fällt deshalb nicht auf. Aber auch sonst ... Ich habe damals, als wir ihn festnahmen, keine Waffe gehabt. Er hatte eine. Diesmal hat er, soviel ich aus der Zeitung entnahm, keine. Nun, warten wir ab.“
„Meinen Sie, er ... ich meine, ob er hier in der Nähe ist?“ fragte Thorwald. Bertram hob wieder die Schultern.
„Wer kann das wissen? Vielleicht ist er schon in Hamburg, vielleicht sitzt er im Keller eines Hauses dicht neben der Strafanstalt. Er hat mich damals, als ich ihn stellte, beschworen, ihn laufenzulassen. Beschworen und dann bedroht. Nun, das Drohen gab den Ausschlag, damit hatte er bei mir verspielt. Durch Bitten hätte ich mich vielleicht erweichen lassen. So: Einmal straffällig geworden, nie wieder, an die eigenen Kinder denken, denen ähnliches passieren kann, und so weiter. Aber als er drohte, merkte ich, wes Geistes Kind er war. Und da gab es keine Gnade bei mir.“
„Sie sollten vorsichtig sein, Herr Werth“, sagte Thorwald leise. „Wenn er Sie bedroht hat ...“
„Wie – vorsichtig?“
„Nicht allein hier umhergehen, nicht ...“ Er brach ab, Bertram lachte.
„Ich bin ja bewaffnet, wie Sie es nennen.“
„Ja, aber ...“ Der Jüngere schwieg etwas verzagt.
„Was würden Sie denn tun, Herr Thorwald, wenn Ihnen etwas Ähnliches passierte? Sich hinter dem Ofen verkriechen? Na, sehen Sie.“
Thorwald lachte ein wenig geniert. Sie gingen weiter.
Am Nachmittag ritt Kornelia mit Ulrich Thorwald zu Habermanns hinüber. Sie wollte ihm dort die Isländer zeigen. Bertram hatte sie aussuchen lassen, wen sie reiten wollte, und sie hatte Jörp gewählt, Jörp war noch immer einer der schnellsten Isländer der Herde. Es war eine Lust, über die Stoppelfelder zu galoppieren, mit einem Partner, dem es genausoviel Spaß machte wie einem selbst.
„Herrlich, herrlich. Das tut gut nach der Stubenhockerei in der Schule und den dauernden Schularbeiten“, freute sich Kornelia und strich sich die Haare aus dem glühenden Gesicht. Sie hatten durchpariert und ritten jetzt im Schritt. „Ich wünschte überhaupt, die ganze Schule ginge zum Teufel.“
„Und?“ fragte Thorwald.
„Ach, alles andere ist besser als ausgerechnet die Schule. Ich finde es schrecklich, als erwachsener Mensch derart eingezwängt zu werden“, murrte Kornelia. „Vielleicht wird es eines Tages anders, aber uns nützt das nichts mehr. Dabei ist das nur hier bei uns so. In anderen Ländern ist man viel freier und fortschrittlicher.
Natürlich ist es gut, das Abitur zu machen, dadurch hat man viel mehr Auswahl bei den Berufen. Andererseits verliert man drei ganze Jahre. In England ist das viel besser, auch in Amerika. Bei Habermanns arbeitet jetzt eine junge Engländerin, Maud, die ist in Wales zu Hause. Dort hat ihre Mutter einen Verleihstall, Pferde und Ponys, nur zum Ausreiten, kein Unterricht, Maud ist jetzt für ein halbes Jahr herübergekommen, damit sie Deutsch lernt. Das lob’ ich mir. Sie kann jeden Tag reiten, soviel sie will, versorgt die Ponytransporte und braucht in keiner Schule zu sitzen, und Deutsch spricht sie bestimmt nach ein paar Wochen schon fließend, ohne Mühe.“
„So was würde Ihnen auch gefallen?“ fragte ihr Begleiter. Kornelias Augen funkelten.
„Und ob! Dabei ein Land kennenzulernen und neue Menschen und Geld zu verdienen! Ich ginge sofort nach England, natürlich nur zu Pferden.“
„Ich habe ja nun eine Weile solch einen Verleihstall kennengelernt“, sagte ihr Partner nachdenklich, „also die reine Freude ist das nicht. Man darf es sich nicht zu ideal vorstellen, es hat auch Nachteile. Man muß mit den ‚Kunden‘ umgehen können, es sind sehr oft Snobs, reicher Leute Kinder, die meinen, sie könnten aufgrund des elterlichen Geldbeutels die Welt kommandieren. So was liegt mir nicht.“
„Das kann ich mir vorstellen. Man müßte es anders aufziehen. Einen ausgebildeten Reitlehrer haben, der Unterricht gibt – und eine Bahn. Am besten eine Halle, in der richtig gearbeitet wird. Ausritte gibt es nur als Belohnung. Als Abschluß meinetwegen die Möglichkeit, das Reitabzeichen zu machen, mindestens das Jugendabzeichen oder eine gutplacierte Reiterprüfung auf einem Turnier. Aber das Ganze so, daß die jungen Leute herangenommen werden, tüchtig und unnachsichtig. Das täte manchem gut. Sicher fänden es viele viel schöner als dieses Wildwestreiten.“
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