„Waschgelegenheit?“ fragte Pölze nach dem ersten Blick.
„Hinten gemeinsam. Einer für Jungen, einer für Mädchen. Kommen Sie!“
Dort gab es Waschbecken und Duschen, primitiv, aber ausreichend. Pölze betrachtete alles genau und sehr nachdenklich, Kornelia strebte weiter, zu den Vierbeinern. So verließen sie das Haus und folgten einem kleinen Weg, der durch Gebüsch und Gesträuch führte. Ein Glück, daß hier welches stand, denn was man nun, da der Blick frei wurde, zu sehen bekam, war weniger schön.
Es mochte eine stillgelegte Fabrik sein, deren Mauern hier noch standen, teilweise wenigstens. Überall jedenfalls lagen Trümmer, Eisenträger, verrostete Gartenzäune, Tür- und Fensterrahmen, Blech, Schutt, und ein paar Autoleichen glotzten einem mit toten Scheinwerfern entgegen. Nach ein paar Windungen des Weges kamen sie zu einer halb eingestürzten Halle. Zwei Wände standen noch, im Winkel zueinander, so daß sie eine Ecke bildeten, an deren inneren Seiten eiserne Raufen befestigt waren. Hier standen die dreißig Ponys, von denen die Freunde gesprochen hatten, knietief im Stroh, das sicher nicht allzuoft gewechselt wurde. Mitten auf dem Platz befand sich eine ausrangierte Zinkbadewanne, in die ein Schlauch hineinhing. Darum herum war Morast. Pölze sah es mit ziemlichem Schauder.
„Ja, das sind unsere Pferde, wetterhart und anspruchslos“, sagte der Jägersmann stolz. „Von zu Hause – ich bin Westfale – kenne ich nur Großpferde, und da muß man ja umlernen. Ponys wollen winters und sommers im Freien sein, sie brauchen keine Pflege, sind genügsam und hart im Nehmen ...“
Pölze hatte das Gefühl, als läse er aus einem Prospekt vor. Sie kannte Isländer nun auch schon ein paar Jahre lang, aber ...
Übrigens stand auch in Kornelias Gesicht ein ganz deutliches Aber oder sogar mehrere.
„Wir putzen unsere Isländer aber doch“, sagte sie, als er einmal eine Pause machte, „jedenfalls vor dem Reiten, und pflegen die Hufe –“ Sie hatte sich unauffällig gebückt und danach gesehen.
„Und ein Stall ... natürlich ein kalter mit offenen Fenstern, aber trocken von unten und ganz zugfrei, und mit Jaucheabfluß, ist bestimmt keine Verweichlichung.“
Der Jägersmann sah sie verständnislos an.
„Vielleicht. Wenn man ihn hat. Sonst aber ... es steht doch überall so nachzulesen. Und wir machen auch immer wieder die Erfahrung, daß es geht.“
„Wie lange reiten Sie denn Ihre Isländer mit den Kunden?“ fragte Pölze jetzt vorsichtig.
„Zwei Jahre im Verleihstall. Dann verkaufen wir sie gewöhnlich an Private und beziehen neue. Gut eingerittene Isländer wird man immer los.“
Zwei Jahre. Wenn man ein Pferd gerade in allen – oder beinahe allen – Eigenheiten kennt. Wenn man es liebgewonnen hat und sich mit ihm eins fühlt. Aber wahrscheinlich sind manche dann kurz vor dem Lahmen, dachte Pölze betrübt. Sie streichelte das ihr zunächststehende Pony und sprach mit ihm. Kornelia ging zwischen den Isländern umher, suchte und spähte.
„Der da ist gut“, sagte sie einmal, auf einen klobigen Rotschimmel zeigend, „ein ausgesprochener Gewichtträger, ordentlich in den Beinen. Und die Stute dort!“
„Ist auch unsere beste Zuchtstute. Eyglo“, erklärte ihr der Jäger, „sie bringt schöne Fohlen und läßt sich ohne Schwierigkeiten bis zum letzten Tag reiten.“
„Bis zum letzten?“
„Na, von Kindern eben. Mehr Schritt als anderes. Hat noch nie verfohlt.“
Pölze war still geworden, sehr nachdenklich. Sie hörte zu, Kornelia dagegen fragte und fragte. Schließlich brachen sie auf. Der Froschkönig erbot sich großzügig und freundlich, ihnen noch ein Stück des Weges das Geleit zu geben.
„Morgen kommen neue Reitkinder, da wollen wir heute noch mal unsere Freiheit genießen. Er“ – er wies auf seinen Freund – „reitet dann ja mit den Kindern aus. Ich muß putzen und kochen –.“ Er zog ein Gesicht.
„Nehmen Sie den Rotschimmel“, flüsterte Kornelia ihm zu, „ich möchte ihn nachher mal probieren.“ Er zwinkerte ihr zu und holte das Kopfstück. Kornelia streifte es mit einem kurzen Blick. Na, geputzt war es wochenlang nicht, und das Gebiß.
Doch, das Gebiß war blank. Gottlob, wenigstens das!
Er halfterte auf und nahm keinen Sattel. Das gefiel ihr. Ganz ahnungslos oder gleichgültig war er wenigstens nicht.
„Darf ich?“ fragte sie und glitt auf den Rücken des Wallachs, nachdem dessen Besitzer ihr zugenickt hatte. Sie ritt ihn im Schritt bis zum Haus, dann ein Stück Trab. Zurück ließ sie ihn dann einmal in Galopp gehen.
Oh, er ritt sich gut, großartig. Sie hob das Bein über seinen Hals und rutschte hinunter, lobte und liebelte ihn. Sie hatte gleich Gefallen an ihm gefunden.
„Ein feiner Kerl bist du, ja, ja ...“
„Wenn nur nicht immer die Schwergewichtigen drauf säßen!“ murrte der Froschkönig. „Überhaupt, er ...“ Wieder wies er mit dem Daumen nach dem Freund. „... läßt die Isländer schon ab drei Jahren unterm Reiter gehen. Das ist doch tatsächlich etwas zu früh, was meinen Sie dazu?“ wandte er sich an Pölze.
„Ist es auch“, sagte sie schnell, froh, daß dieses Thema von ihm aus zur Sprache kam, Sie hatte sich über einige Senkrücken schon Gedanken gemacht.
„Höchstens Kinder!“ verteidigte sich der Jägersmann. „Und Isländer, die hier aufgewachsen sind, kann man auch schon zeitiger reiten als importierte, das steht in jeder Fachzeitschrift.“
Sie verabschiedeten sich von ihm, und Pölze stieg in den Wagen. Kornelia und der Froschkönig ritten voran. Pölze war sehr nachdenklich geworden und vermißte keine Unterhaltung.
Später wechselten Kornelia und ihr Begleiter die Ponys für eine Weile. Pölze merkte genau, wie bewundernd seine Augen an Kornelia hingen, und war stolz auf ihre kleine Freundin. Die sah auch bezaubernd aus, die dunklen Haare verwirrt, die Augen blitzend vor Lust am Reiten. Einmal, als sie auf die Karte sahen, fragte Pölze, wie weit er noch mitkäme. Sie wollte nicht, daß er zuviel von seiner wertvollen Zeit opferte.
„Wenn ich darf, noch ein kleines Stück“, antwortete er, aber es klang, als sagte er: „Bis ans Ende der Welt!“ Pölze lachte. Gerade kam ihnen ein Auto entgegen – sie fuhren eine kleine Strecke die Bundesstraße –, fuhr auf die von ihnen aus gesehen rechte Seite der Straße herüber und hielt genau vor den Ponys, die Pölze natürlich rechtzeitig zum Stehen gebracht hatte. „Der ist wohl nicht recht gescheit!“ rief Kornelia empört, Pölze aber lachte. Sie hatte von Anfang an geahnt, was hier gespielt wurde, und sprang aus dem Wagen.
„Onkel Hipp, Onkel Hipp!“
Ja, er war es, der Onkel und geliebte Pflegevater, bei dem sie groß geworden waren, Svea und sie, und nach ihm kämpfte sich Tante Ulle aus dem Wagen, noch immer gleich rotwangig, rund und geschäftig wie eh.
„Guten Tag, Tante Ulle. Habt ihr auch Svea mit?“ wollte Pölze wissen, nachdem sie umarmt und geküßt worden war und wiedergeküßt hatte. Tante Ulle verneinte.
„Die bereitet doch das Fest vor. Nein, herrlich, dieser neue Wagen. Also, ich kann unmöglich im Auto weiterfahren, ich werde so leicht limousinenkrank. Ich darf doch?“ Sie kletterte sofort in den Wagen, strahlend vergnügt. „Und das ist Kornelia? Und das Martin?“ Offensichtlich hielt sie den Froschkönig für Kornelias älteren Bruder. „Schön, daß ich euch alle mal kennenlerne! Na, und du bist natürlich die Hauptperson, kleiner Berti, das letztemal sah ich dich bei deiner Taufe ...“
Pölze lachte und versuchte, sie zu unterbrechen, um wenigstens zu erklären, daß der Froschkönig nicht Martin war, aber bei Tante Ulle war das nicht leicht. Erst nach einer ganzen Weile drang Pölze mit ihrer Stimme durch.
„Nicht Martin? Nun, auch recht. Dann ist er, nehme ich an, Kornelias Verlobter und –“
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