Jetzt bestand definitiv ein Ungleichgewicht zugunsten der Toten und ich brauchte wirklich dringend eine Waffe, am besten eine Pistole oder so was. Am liebsten hätte ich mir selbst eine verpasst, weil ich die Pistole des Wärters bis jetzt vollkommen vergessen hatte, doch sobald ich die fette Dame losließ, würde sie garantiert die Oberhand gewinnen.
Die Frau, fing nun wieder an, nach mir zu schnappen. Sie machte derart heftige Kaubewegungen, dass einer ihrer Zähne aus ihrem Mund und gegen meine Wange flog. Die andere Tote war nur noch gut fünf Meter entfernt, also egal, was ich jetzt tat, ich musste es schnell tun, sonst würde ich nicht innerhalb der nächsten Stunden qualvoll verenden, sondern innerhalb der nächsten Minuten.
Ich zog diese Option kurz ernsthaft in Erwägung. Sollte ich das Ganze einfach von diesen New Hampshire Rindern zu Ende bringen lassen? Es wäre auf jeden Fall schmerzhaft, eine Höllenqual, deren Ausmaß ich mir nicht einmal vorstellen wollte. Ich musste unweigerlich daran denken, dass ich vor nicht einmal einer Stunde einem Polizisten gesagt hatte, dass ich jede Sekunde, die mir noch blieb, nutzen wollte. Aber das hatte ich schließlich gesagt, bevor ich die Tatsache, infiziert zu sein, vollkommen akzeptiert hatte. Das Erbrechen, die Ohnmacht und die Tatsache, wie die Bisswunde an meinem Bein mittlerweile aussah, waren leider alles unleugbare Indizien für eine Infektion, keine Frage. Wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich es schon vorher gewusst, ich hatte es einfach nur nicht wahrhaben wollen. Also ja, ich war infiziert … und es erholte sich nun mal niemand je davon.
Aber mich deshalb von zwei Schwabbelmonstern in Stücke reißen lassen? Ernsthaft? Immerhin könnte ich mich erschießen, falls die Schmerzen später ganz unerträglich werden würden. Sollte ich anfangen, statt meines Frühstücks irgendwelche wichtigen Organe auszukotzen oder falls mir beim Anblick eines Lebenden plötzlich das Wasser im Mund zusammenlaufen sollte, könnte ich doch immer noch einen Abgang machen. Zusätzlich zu diesen Überlegungen drängte sich plötzlich der Scorpions-Song Wind of change in meine Gedanken. Den ich nebenbei bemerkt, noch nicht mal mochte.
All diese Überlegungen, die in weniger als einer Sekunde durch mein Gehirn rasten, führten zu dem Ergebnis, dass ich alles auf meine eigene Art und Weise zu Ende bringen wollte. Es gelang mir daraufhin irgendwie, übermenschliche Kräfte zu entwickeln, durch die ich mein Anhängsel auf die Straße schubsen konnte. Ihr Kopf knallte auf den Asphalt, was sie irgendwie zu überraschen schien, denn sie blinzelte hektisch. Sie lockerte ihren Griff zwar nicht, aber immerhin hatte sie aufgehört, nach mir zu schnappen und an mir zu zerren. Ich schubste sie noch einmal mit aller Kraft und sah mich nach dem Revolver um, welcher praktischerweise direkt neben ihrem rechten Schwabbelarm lag. Ich ergriff die Waffe und hielt sie ihr seitlich an den Kopf. Das Blinzeln stoppte daraufhin und sie blickte mir mit einem fast schon flehenden Ausdruck in die Augen.
Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie viele Leute es in den ersten Wochen auf genau so eine Art und Weise erwischt hatte … weil sie entweder nicht gewusst hatten, dass ein geliebter Mensch einer von denen geworden war oder weil sie es nicht hatten glauben wollen. Und dann waren sie auf einmal vom eigenen Kind oder der Großmutter angenagt worden. Die tote Frau hier, die immerhin schon ein Stück von mir verspeist hatte, wenn auch nur ein kleines, hob die Augenbrauen, runzelte die Stirn und schob ihre Unterlippe leicht nach vorn. Sie sah irgendwie traurig aus, als ich ihr den Schädel wegpustete. Ich hatte nämlich ganz bestimmt nicht vor, einer dieser dummen Menschen zu sein, von denen ich gerade gesprochen habe. Mich würde keine traurig aussehende, tote, fette Tussi drankriegen.
Allerdings hatte sie mich genau genommen schon drangekriegt, denn immerhin hatte die Schlampe mich gebissen.
Die Untoten können nur ausgeschaltet werden, wenn man ihr Gehirn zerstört. Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn, denn immerhin ist bei ihnen alles abgesehen vom zentralen Nervensystem abgeschaltet. Sie atmen nicht mehr, es gibt weder einen Herzschlag, noch haben sie Stuhlgang, und sie fühlen auch keinerlei Schmerz. Sie können noch hören und sehen, aber dass sie riechen können, glaube ich nicht, immerhin atmen sie ja nicht, obwohl sie durchaus hörbare Geräusche von sich geben, indem sie Luft einsaugen, die sie an ihren verfaulenden Stimmbändern vorbeidrücken. Falls das der Fall ist, können sie also vielleicht doch riechen. Okay, das mit dem Riechen glaube ich mal. Zumindest fürs Erste.
Also, zum heutigen Zeitpunkt, nicht damals.
Sie hatte mich daraufhin losgelassen, ich rollte über sie hinweg und zielte sofort auf Nummer zwei, die während meines gehetzten Gerangels mit Nummer eins bedrohlich nähergekommen war. Allerdings konnte ich partout nicht scharf sehen, weshalb ich zweimal daneben feuerte. Sagen wir es mal so, ich traf sie durchaus, nur leider eben nicht in den Kopf. Sie stürzte mit dem Gesicht voran auf mich zu, aber dann schaffte ich es, sie mitten in der Bewegung zu treffen. Sie prallte mit vollem Schwung gegen mich, aber mir gelang es, sie von mir zu schieben, bevor sie mich komplett unter sich begraben konnte.
Ich rollte nach links, oder vielleicht auch nach rechts, ist schließlich schon eine Weile her. Sie lag jetzt auf ihrem Gesicht und die Rückseite ihres Schädels hatte sich auf Dickerchen Nummer eins verteilt. Wirklich widerlich, wie sie da lagen mit den Löchern, die ich in sie hineingepustet hatte. Ich hätte sie umdrehen sollen, aber ich stand damals vollkommen neben mir.
Ich hatte nämlich bis dahin noch nie jemanden erschossen, denn diese Sorte Verbrecher war ich nicht.
Ich erinnere mich daran, wie ich mich aufsetzte und sie betrachtete. Sie sahen wirklich mitleiderregend aus. Vermutlich hatten sie vor ein paar Tagen noch (eine doppelte Portion) Kuchen bei einer Kirchenveranstaltung gegessen und jetzt hatte ich sie einfach so abgeknallt. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade einen Wettbewerb im Seehunde erschlagen gewonnen.
In diesem Moment entschied sich dieser kleine Kerl, der im Körper alles am Laufen hält, offenbar dazu, all das freigesetzte Adrenalin von einer Sekunde zur nächsten einfach zu unterbinden. Die Wunden an meinem Bein und an meiner Schulter fanden offenbar, dass dies doch genau der richtige Zeitpunkt wäre, um sich wieder kräftig bemerkbar zu machen. Als Nächstes startete derselbe kleine Typ, der sich wahrscheinlich köstlich amüsierte, auch noch einen vernichtenden Raketenangriff auf meine Schmerzrezeptoren.
Trotz allem stand ich noch. Das Geräusch des letzten Schusses klingelte immer noch in meinen Ohren, als ich mich auf den Weg in Richtung Norden machte. Mein Plan war es, einen hübschen Ort zu finden, an dem ich mir eine Kugel verpassen konnte, da ich weder gefressen noch einer von ihnen werden wollte. Doch auf die ein oder andere Weise würde ich mich schon bald in die Reihen der eher Leblosen eingliedern.
Noch mal zurück zu den Rennern. Wir alle wissen, dass sie schnell sind. Wir wissen auch, dass sie uns hassen und uns in Stücke reißen wollen. Sie fressen uns. Aber trinken sie auch etwas? Mal angenommen, man würde einem von ihnen ein paar Shots Hochprozentiges reinkippen, würden sie dann anfangen, wie ihre anderen toten Kumpel zu taumeln? Und noch etwas anderes beschäftigt mich … wenn sie gar nicht tot sind, warum beißen die anderen Untoten sie dann nicht? Würde man neun Renner und einen nicht infizierten Menschen mit so einem Toten in einen Raum sperren, würde sich der Tote direkt auf den einen Menschen stürzen. Das habe ich schon gesehen. Nicht als Experiment natürlich, aber ich konnte ein ähnliches Szenario schon mal beobachten. Das wäre ja auch ein ziemlich beschissenes Experiment für den Menschen, den man dafür mit all den Infizierten in einen Raum sperren müsste. Das wäre ja einfach nur grausam.
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