»Wie läuft’s?« Lanas Tonfall war unbekümmert, aber Nat konnte das Mitgefühl in ihren Augen sehen. Für einen kurzen Moment machte sich Unmut in ihr breit.
»Prima.« Es erforderte übermenschliche Anstrengung, nicht zu schnaufen. »Und selbst?«
»Oh, großartig. Ich verdanke es euch beiden, dass ich wieder in der Wildnis sein kann. Das tut mir richtig gut. Ich hab mich nach den Spielen ziemlich gehen lassen. Depression, weißt du?«
Nat konnte sich die kesse Frau nicht depressiv vorstellen. Sie fragte sich erneut, ob dieses fröhliche Gemüt eine Rolle war, in die sie wie in ihren Schneeanzug hineinschlüpfte. »Gern geschehen.«
»Du musst verstehen, das ist für mich so selbstverständlich wie atmen. Ich habe einen Großteil meines Lebens auf Skiern verbracht. Für einen Freizeit-Skiläufer ist das was ganz anderes, selbst für einen, der fit ist. Sicher, dass ihr beide in Ordnung seid?«
Die Art, wie Lana ihre Frage an sie und jemanden hinter ihr richtete, verriet ihr, dass Andrew immer noch da war. Gut. Während der letzten Meile war sie zu erschöpft gewesen, um nachzusehen.
»Eine … Pause … wäre … nett«, keuchte Andrew, der noch ausgelaugter klang, als nach einer nächtlichen Aufnahme-Session. Was, wenn er oder jemand anderes hier draußen einen Herzinfarkt bekam? Besaß einer von ihnen mehr als rudimentäre Erste-Hilfe-Kenntnisse? Das war etwas, woran sie nicht gedacht hatte.
»Ich glaube, es ist bald Zeit für die Mittagspause. Ich bin mir sicher, den anderen geht es ähnlich. Ich spreche mal mit Wasili.« Und mit diesen Worten glitt sie davon, mühelos an Anubha, Joe und Igor vorbei.
»Bei ihr … sieht es … so einfach … aus.«
»Spar dir den Atem. Du wirst ihn … noch brauchen.« Es kostete sie alle Kraft, wieder Geschwindigkeit aufzunehmen, nachdem sie langsam genug gefahren war, um mit Lana zu reden. Sie konnte ihr Keuchen nicht länger unterdrücken. Schweiß lief an ihrer Nase herunter und benetzte ihre Lippen mit Salz.
»Alle Mann aufgepasst.«
Erschöpft zwang sich Nat dazu, bis zur Spitze des Trupps zu sehen, wo Steven mit den Armen wedelte. Seine Stimme klang klar und selbstbewusst, gut verständlich. »Auf der Kuppe machen wir eine Mittagspause. Sollte nicht länger als zwanzig Minuten dauern.«
Andrew stöhnte.
»Halte durch, mein Freund. Immer einen Fuß vor den anderen.«
»Ich … kündige.«
Nat lachte, auch wenn sie sich den Energieaufwand nicht erlauben konnte. »Du kannst jetzt nicht kündigen. Wie willst du denn nach Hause kommen?«
»Mir … würde … was … einfallen.«
Sie riskierte einen Blick hinter sich und musste feststellen, wie erbärmlich ihr Produzent aussah. Seine Mütze und sein Schal waren mit Eis verkrustet und seine Augen tränten, was rote Streifen auf der entblößten Gesichtshaut hinterließ. »Wenn du keine zwanzig Minuten durchhältst, wie willst du dann zurück nach Wischai kommen?«
»Ich … hasse … dich.«
»Hör auf, mich zum Lachen zum bringen. Ich krieg’ so schon kaum Luft.«
»Und … wessen … Schuld … ist … das?«
»Deine.« Sie glitt davon, bevor er zu ihr aufschließen konnte, und wartete auf den Schneeball, der sie jeden Moment am Kopf treffen sollte. Lächelnd ging sie den Aufstieg mit neuem Elan an. Andrew hatte immer diese Wirkung auf sie. Sie scherzte oft, dass er die Liebe ihres Lebens war, aber es war eigentlich kein Witz. Dem heterosexuellen Mann, mit dem sie sich so gut verstand, war sie noch nicht begegnet.
Ihr kurzer Wortwechsel hatte ihren Abstand zum Rest der Gruppe noch vergrößert. Nat konnte Wasili oder Steven nicht mehr sehen und sogar Anubha und Joe waren verschwommen. Igor hatte auf sie gewartet, und als ihr Blick auf ihn fiel, scheuchte er sie weiter.
»Andy? Wir müssen uns beeilen. Wir halten alle auf.«
Im Nachhinein betrachtet war es dumm gewesen, die Langsamsten hinten laufen zu lassen. Falls die anderen nicht bemerkt hätten, dass sie zurückgefallen waren, hätte aus dem Spaß schnell Todernst werden können. Sie nahm sich vor, beim Mittagessen die Gruppenformation anzusprechen. Vielleicht konnte Igor die Nachhut übernehmen.
Anstatt angefressen zu sein, als sie ihn endlich eingeholt hatte, grinste der Russe und klopfte ihr so kräftig auf die Schulter, dass sie stolperte. Er hielt sie am Ellbogen fest, bevor sie fallen konnte. »Keine Sorge«, sagte er. »Schwerer Aufstieg, ja? Aber wir sind fast da. Du bald kannst dich ausruhen.«
»Das wäre gut.«
»Er ist okay?« Igors Brauen zogen sich zusammen, als er Andrew betrachtete. Nat war bestürzt darüber, wie weit er zurücklag.
»Das wird schon. Wir haben hierfür trainiert, aber, na ja, ein Fitnesscenter in Kalifornien ist eben kein Ersatz für das Ural-Gebirge.«
»Ja, dieser Berg, das schon was sein. Aber keine Sorge. Wir warten auf deinen Freund und dann wir was essen. Ja?«
Außer Atem schaffte Nat nur ein Nicken, darauf hoffend, dass Igor die Kälte für ihre roten Wangen verantwortlich machte. Scheiße, war das peinlich. Sie hätten sich ein ganzes Jahr Zeit nehmen sollen, mit erheblich mehr Training. Was hatten sie sich bloß dabei gedacht, mit Bergsteigern und Olympia-Sportlern mithalten zu wollen?
Eine Minute später kam Andrew an, sein Gesicht mit einem erschreckenden Lila-Ton. »Sorry«, keuchte er.
»Keine Sorge, mein Freund. Kannst du noch?«
Was, wenn Andrew es nicht weiterschaffte? Sie wusste nicht, was schlimmer war – auszuhecken, wie man ihren Produzenten auf sichere Art zurück zum Dorf bringen konnte, oder irgendwo im Nirgendwo mit dieser zänkischen Gruppe festzuhocken. Igor, Lana und das Inuit-Pärchen waren ziemlich nett, aber Steven und Wasili – nein, danke. Sie würde keine ganze Woche ohne ihren besten Freund überstehen.
Glücklicherweise kam Andrew nach einer kurzen Verschnaufpause wieder zu Atem und sie folgten Igors gezügeltem Tempo. Als sie den Hügelkamm erreichten, saß der Rest der Gruppe um ein bereits prasselndes Feuer. Lana, Joe und Anubha klatschten, als sie ankamen.
»Hurra, wir sind komplett. Dann können wir ja essen«, sagte Joe. »Die gute Nachricht ist, dass wir an diesem Punkt der Tour noch die volle Auswahl haben. Rindereintopf, Chili, Gulasch, Spaghetti mit Fleischbällchen …«
»Ooh, ich hatte noch nie Camping-Spaghetti, nehmen wir das.« Lanas Augen funkelten, als sie die Gruppe anstrahlte. Entweder wirkte die wilde Natur wirklich belebend auf sie oder sie liebte Spaghetti über alle Maßen.
»Wie kann das sein? Das ist ein Klassiker«, sagte Igor.
Joe holte die silbernen Verpackungen aus seinem Rucksack, während Anubha Schnee für Kochwasser einsammelte.
»Sicher, dass das nicht gefährlich ist?«, fragte Steven und Nat bemerkte, wie jeder bei seiner Frage innehielt. Sie wünschte, er hätte für ein Weilchen den Mund gehalten, um der Gruppe eine Chance zu geben, zu vergessen, was für ein pessimistisches Arschloch er war.
»Das was nicht gefährlich ist? Spaghetti?« Joes Stimme war gelassen, aber seine Körpersprache veränderte sich, als ob er sich zum Kampf rüstete, Rücken gespannt, Schultern straff. »Ja, ziemlich sicher.«
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