»Ich rede nicht von dem prozessierten Müll. Ich meine das, was sie da macht.« Steven zeigte auf Anubha, die den Bergsteiger nur wütend anfunkelte.
»Mein Name ist Anubha und der Schnee ist total in Ordnung. Absolut rein.«
»Was ist mit dem, das du nicht sehen kannst?«
Andrew stöhnte, ließ sich neben Lana auf einen schneebedeckten Baumstamm fallen und streckte seine Hände dem Feuer entgegen. Nat hoffte, Steven würde die Reaktion ihres Produzenten nicht persönlich nehmen, aber als sie ihm einen Blick zuwarf, starrte er immer noch auf Anubha. Er hatte Andrew nicht einmal bemerkt.
»Wovon redest du eigentlich?«, fragte Joe.
»Bin ich der Einzige, der die Details kennt? Damals, als die Djatlov-Gruppe gefunden wurde, waren wahnsinnig hohe Strahlungswerte gemessen worden.«
Joe schüttelte den Kopf und sein schwarzes Haar rutschte ihm über ein Auge. »Das war in den Sechzigern. Ich weiß nicht, ob du’s mitbekommen hast, aber der Kalte Krieg ist vorbei.«
»Es war übrigens 1959, aber egal. Schon mal was von Tschernobyl gehört? Das bleibt noch zwanzigtausend Jahre lang gefährlich.«
»Das ist hier wohl kaum Tschernobyl.« Andrew konnte Spielverderber nicht leiden, solche Leute, die ein Talent dafür hatten, einfach alles mies zu machen. Er war bereits davon überzeugt, dass Steven ein Spielverderber erster Klasse war.
»Ich glaube, er ist nur mitgefahren, um allen die Woche zu vermiesen« , hatte er letzte Nacht nach dem Essen gemeckert. So viel zu den leuchtend blauen Augen und dem hübschen Gesicht. Gutes Aussehen war für Andy eben doch nicht alles.
»Das muss es auch nicht sein. Selbst, wenn die Strahlung hier nur hundert Jahre anhält, reicht das schon.«
Andrew seufzte. »Hast du den Strahlungsmesser zur Hand, Nat?«
»Ja, gleich hier.« Sie wühlte durch die Deckeltasche ihres Rucksacks und zog den Geigerzähler heraus. Nat wollte ihn ihrem Produzenten reichen, aber der schüttelte den Kopf.
»Gib’s ihm«, sagte er und wies auf Steven. »Er ist derjenige, der so besorgt ist.«
»Hey, ich will das nur gescheit angehen. Ich weiß, dass ich eine Riesennervensäge bin, aber Sicherheit geht vor. Ich gehe davon aus, dass sich niemand eine Strahlenvergiftung einfangen will.«
»Du bist keine Nervensäge, Steven«, sagte Lana, deren Stimme so süß war, dass sie klebte.
Anubha schnaubte. »Doch, ist er. Aber in diesem Fall hat er nicht unrecht.«
»Danke.« Steven machte ein paar Schritte in Anubhas Richtung und hielt das Gerät nahe an den Schnee, den sie sammelte. Während er die Messskala genau im Auge behielt, gab das Gerät ein leises Klickgeräusch von sich, aber kein Piepsen. Schließlich richtete er sich auf. »Sieht okay aus.«
»Dann bringen wir den Schnee mal zum Kochen, Babe. Wir liegen im Zeitplan zurück.« Joe warf einen besorgten Blick in den Himmel, aber Nat konnte nichts Beunruhigendes erkennen. Nur das immer gleiche Grau, Grau und noch mehr Grau.
»Ich dachte, ihr zwei wolltet uns frisches Fleisch besorgen. War das nicht so abgemacht?«
Nat konnte Stevens Unverfrorenheit kaum fassen. Die beiden Kanadier wollten freiwillig für alle kochen und der Bergsteiger war immer noch am Meckern. Unglaublich.
Anubha ignorierte ihn, aber ihr Ehemann schien die Bemerkung locker wegzustecken. »Nicht jetzt. Der Aufwand lohnt sich nicht, wenn wir nur für eine Stunde hier sind.«
»Es macht sicherlich keine große Mühe, ein Kaninchen oder Eichhörnchen zu fangen«, sagte Steven. »Seht euch den Jungen doch an.« Er zeigte auf Andrew, der in seinem Parka zusammenschrumpfte. »Er pfeift auf dem letzten Loch. Er braucht die Proteine.«
»Es ist reichlich Protein in diesen Mahlzeiten. Sie sind für Wanderer konzipiert.« Joe nahm den Topf voller Schnee, den Anubha ihm reichte, und stellte ihn auf das Feuer.
»Die sind fürs Camping gemacht, da gibt’s einen Unterschied. Und es ist keine richtige Nahrung.«
»Es geht mir gut, wirklich. Ich bin Vegetarier«, sagte Andrew, was nicht der Wahrheit entsprach, aber Nat hoffte, dass es Steven von seiner Tirade ablenkte. Was war nur los mit dem Kerl? Das Dümmste, was man tun konnte, war es, die Leute gegen sich aufzuhetzen, die für die eigene Verpflegung verantwortlich waren.
Das zog Joes Aufmerksamkeit auf sich. »Kannst du das denn essen?«
»Ja, damit komm ich klar. Ich mag es lieber, wenn man nicht sehen kann, dass es mal ein Tier war, wenn du weißt, was ich meine.«
»Verständlich.« Joe verlagerte den Topf, damit er mehr Hitze erhielt.
»Warum ist das verständlich? Das ist Bullshit. Was für ein Vegetarier macht eine Tour wie diese? Eine vegetarische Ernährung hat niemals genug Protein und Fett für diese Art von Anstrengung. Weißt du, wie viele Kalorien du allein durchs Zittern verbrauchst?« Steven starrte Andrew an. Nat war sich sicher, dass ihr Produzent seine Wahl an diesem Punkt bereits bereute. Gutes Aussehen war ganz bestimmt nicht alles.
»Das stimmt übrigens nicht«, sagte Lana. »Wenn man weiß, was man tut, liefert eine vegetarische Ernährung mehr als genug Proteine.«
Steven grunzte abfällig. »Sicher, wenn er vorhat, stundenlang hier rumzusitzen und Nüsse zu futtern, aber wir haben nicht die Zeit dafür. Ich versteh’ nicht, warum er mitgekommen ist, wenn er nichts weiter als das schwächste Glied ist.«
Andrew brachte plötzlich mehr Energie auf, als Nat für möglich gehalten hätte, und sprang auf. »Hey, ich hab wirklich die Nase voll von dir. Ich bin immer noch der Produzent und ich kann dich heute noch zurück in die Staaten schicken, zusammen mit einer saftigen Rechnung für alle deine Reisekosten.«
»Andy …« Nat hoffte, einschreiten zu können, bevor sie einen Punkt erreichten, von dem es kein Zurück mehr gab, aber vielleicht war es schon zu spät.
»Nein, Nat. Ich weiß, wie gutmütig du bist, aber seien wir doch ehrlich – es war mein Fehler, diesen Typen an Bord zu bringen, und von Anfang an hat er sich als Arschloch erwiesen. So jemanden brauchen wir nicht im Team.«
»Ich habe mehr Recht darauf, in diesem Team zu sein, als du. Was hast du bisher beigetragen, abgesehen von verlorener Zeit und Gejammere?«
Nats Mund klappte auf. Sie war ja schon einigen Vollpfosten begegnet, aber noch niemandem, der so entschlossen war, sich unbeliebt zu machen. »Ich lasse nicht zu, dass du so mit meinem Produzenten redest, Steven. Ohne ihn wären wir nicht einmal hier. Du kannst dich entweder entschuldigen und aufhören, Stunk zu machen, oder du gehst nach Hause. Deine Entscheidung.«
»Du kannst mich nicht zwingen, zu gehen.« Steven kniff die Augen zusammen.
»Vielleicht nicht ich persönlich, aber Igor vermutlich schon, sollte es dazu kommen.«
Igor hob beschwichtigend die Hände. »Alle ganz ruhig bleiben. Was sind wir, Kinder?«
»Ich sehe das wie Nat. Steven sollte sich bei Andrew entschuldigen.« Lana wandte sich dem Bergsteiger zu: »Was du gesagt hast, war gemein und unangebracht. Niemand ist das schwächste Glied. Wir alle haben etwas beizutragen.«
Nat rechnete fest damit, dass Steven auf stur schaltete und wirklich fies wurde, aber wieder einmal war er für eine Überraschung gut. »Du hast recht, es war nicht richtig, das zu sagen. Es tut mir leid, Andrew. Und ich entschuldige mich auch bei den anderen. Es liegt nicht in meiner Absicht, ein Arschloch zu sein. Ich stehe unter enormem Stress und habe es an euch ausgelassen. Bitte verzeiht mir.«
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