Insgesamt war die Kooperation mit Bürckel nicht nur für Erhard profitabel, sondern auch für das Institut. Für die Wirtschaftsberatung in der Ostmark vermeldet Erhard 1940 Vershofen stolz eine Einnahme von 18 000 Reichsmark. Im Zeitraum von 1940 bis zu Erhards Ausscheiden aus der Geschäftsführung im Frühjahr 1942 lag allerdings wohl tatsächlich in Lothringen das wichtigste Einsatz- und damit auch Einnahmefeld, wie eine erhalten gebliebene Übersicht über alle Berichte und Gutachten des Instituts zwischen 1935 und 1943 zeigt. Erwähnt werden dort nach dem großen zweigeteilten Hauptbericht »Marktanalyse« (Teil I Markt, Teil II Volk & Wirtschaft) vom Sommer 1940 weitere Berichte und Gutachten über die dortigen Glasereien, die Glasindustrie mit Glasschleifereien, die Teerdestillation und Ziegeleien (jeweils im Oktober 1940), Kalkindustrie und Metallwaren »mit kriegswirtschaftlichen Auswirkungen« sowie Werkstoffverfeinerungen und Metallwaren (jeweils Januar 1941), Stahl- und Eisenbau (Mai 1941) oder Uhrengläser – einer der wenigen Aufträge für die Privatindustrie – aus dem März 1942.
Bürckel und sein Stab erwiesen sich aber auch als hilfsbereit und hilfreich, wenn es darum ging, Mitarbeiter des Instituts vor dem Fronteinsatz zu bewahren oder von dort zurückzuholen – ein in der Korrespondenz zwischen Erhard und Vershofen vielfach behandeltes Dauerproblem. Der im Vorkapitel erwähnte Dr. Binder war keineswegs ein Einzelfall. So kann Erhard am 31. Mai 1940 dem einmal mehr in seinem Domizil in Tiefenbach bei Oberstorf im Allgäu weilenden Vershofen mitteilen, »Herrn Dr. Böhmer, der wieder zum Heeresdienst zurückberufen wurde, hofft Herr Bürckel durch ein persönliches Schreiben an den Kommandeur des XVII. Wehrkreises, General Carl-Heinrich von Stülpnagel ,freibekommen zu können und außerdem möchte er aus unserem Haus noch einen weiteren Mitarbeiter.« 5
Bürckel legte sich hier also wirklich ins Zeug und nutzte seine Verbindungen auf höchster Ebene, um dem Institut zu helfen, in diesem Fall zu General Carl-Heinrich von Stülpnagel, der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet werden sollte. In einem anderen Brief von Erhard an Vershofen vom 26. Oktober 1940 heißt es: »In der Zwischenzeit bemühe ich mich weiter, Mitarbeiter des Institutes vom Heeresdienst freizubekommen, denn wir werden sehr gedrängt, in Lothringen eine weitere wichtige Untersuchung durchzuführen, die darauf abzielt, die wirtschaftlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Einschaltung von Lothringer Betrieben zur Rüstungserzeugung zu schaffen. Im Augenblick können wir beim besten Willen keine Leute freistellen, obwohl mir ausdrücklich gesagt worden ist, daß die Frage der Finanzierung keine Rolle spiele.« Bürckel war offenbar bereit, diese Argumentation zu unterstützen und die Arbeiten obendrein noch finanziell großzügig zu honorieren, wie Erhards Zeilen andeuteten.
Ein Bild aus fröhlichen Institutstagen – Ludwig Erhard und Wilhelm Vershofen kräftig paffend um 1938 .
Dennoch begann die enge Zusammenarbeit Erhards mit Bürckel zunehmend das Verhältnis zu Vershofen zu belasten. Der Institutschef, der sich in Nürnberg als Hochschullehrer bereits zum Wintersemester 1936/37 in den Ruhestand hatte versetzen lassen und 1939 emeritiert wurde, war gesundheitlich angeschlagen und über längere Phasen nicht im Institut anwesend, sondern zur Kur oder in seinem Haus in Tiefenbach im Allgäu. Umso mehr war er auf die Präsenz seines umtriebigen Stellvertreters vor Ort angewiesen und registrierte mit wachsender Sorge dessen vielfältige Abwesenheiten, besonders natürlich seine Aufenthalte im Saarland und in Lothringen.
Bereits in einem langen Brief an Erhard vom 12. Juni 1940 klingen die Bedenken an, wobei Vershofen einleitend betont, »daß mich die Hochschätzung, die Herr Reichskommissar Bürckel unserer Arbeit entgegenbringt, sehr gefreut hat und ich auch Ihnen persönlich zu diesem Erfolg, an dem Sie wesentlich beteiligt sind, Glück wünsche«. Anschließend rühmt er die einzigartige »Zwischenstellung« des Instituts und seine Mittlerfunktion zwischen »der wirtschaftlichen Praxis, den privatwirtschaftlichen Unternehmen und den Behörden verschiedenster Art«, äußert aber auch die Sorge vor einer Verstaatlichung durch das NS-Regime und kommt dann auf die große Bedeutung von Erhard für die Institutsarbeit zu sprechen:
»Ich habe deshalb nur zögernd und nicht ohne Bedenken zustimmen können, daß Sie zwei Tage in der Woche in Neustadt tätig sind. Eine Erweiterung dieses Zeitraumes kann auf keinen Fall in Frage kommen, sofern nicht Ihre Funktionen im Institut eingeschränkt werden müßten. Und das wäre weder von meinem, noch von Ihrem, noch vom Standpunkt des Instituts erwünscht. Ich möchte ausdrücklich … festhalten, daß wenn sich eine irgend geartete Störung der Institutsarbeit ergeben sollte, Sie Herrn Bürckel um Entpflichtung würden bitten müssen. Ich hoffe sehr, daß es zu dieser unangenehmen Notwendigkeit nicht kommen wird und verspreche mir, genau wie Sie, aus der neuen und vorübergehenden – zunächst auf ein halbes Jahr festgelegten – Tätigkeit eine Förderung des Ansehens und eine Erweiterung des Wirkungskreises unseres Institutes.«
Dem Brief hatte Vershofen noch ein bemerkenswertes Postscriptum zum Thema Freistellungen hinzugefügt: »Wäre es nicht möglich, daß wir angesichts der neuen Sachlage nicht den einen oder anderen, vielleicht sogar mehrere unserer eingezogenen Mitarbeiter reklamieren könnten? Damit würde meinen Bedenken wenigstens zu einem gewissen Grad Abbruch getan werden.«
In seiner Antwort vom 4. Juli 1940 versucht Erhard auf vier eng beschriebenen Seiten, Vershofens Sorgen zu zerstreuen, verweist auf zwei gerade abgeschlossene, von ihm selbst vor der Absendung durchgesehene und sorgfältig redigierte große Untersuchungen zur Porzellan- und Metallwarenindustrie und fährt dann fort:
»Tatsächlich führt meine Abwesenheit von Nürnberg nicht, wie es Ihnen vielleicht erscheinen mag, zu einer Lockerung der Arbeit dergestalt, daß ich die Überwachung nicht mehr im bisherigen Maße besorgen könnte. Ich weiß vielmehr immer sehr genau Bescheid, mit welchen Aufgaben einzelne Mitarbeiter betraut sind und welche Zeit ihnen dafür zur Verfügung gestellt werden muss … Das ganze dynamische Geschehen unserer Zeit führt ja auch zwangsläufig dahin, daß der Außendienst des Instituts immer umfangreicher und zunächst auch wichtiger wird … Wir wissen ja, wie wichtig es war, daß das Institut Anschluß an die kriegswirtschaftlichen Aufgaben fand und daß es damit sicherlich auch sehr günstige Voraussetzungen für die kommende Friedensgestaltung geschaffen hat. Was meine Tätigkeit in der Pfalz und in Lothringen anlangt, so beginnt sich dies ja auch bereits für das Institut nutzbringend auszuwirken. Im übrigen bin ich schon jetzt dabei, meine Tätigkeit dort so zu beschränken, daß auf je drei Wochen nur zwei Reisen von mir notwendig werden … Daß Sie diesmal offenbar etwas unbefriedigt Nürnberg verlassen haben, bedaure ich sehr, weil ich mir selbst wirklich keine Sorgen und keine Arbeit erspare, um das Institut so gut durch den Krieg zu führen, als es eben möglich ist. Ich bin aber auch beruhigt und zuversichtlich, weil ich weiß, daß wir durchaus einer Meinung sind und daß wir das Institut nach dem Krieg deshalb auch wieder so bauen und gestalten wollen, wie es Ihnen vorschwebt … Ich bitte Sie also nochmals, über das Schicksal des Instituts in der nächsten Zeit wirklich beruhigt zu sein, wobei meinerseits hinter dem Wunsche auch die Zuversicht steht, daß Sie wirklich Grund haben, es zu sein.«
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