Ha! Unkraut vergeht nicht, das passt zu meinem Spitznamen.
Diese Erkenntnis kam ihm plötzlich wie ein gesalzener Schlag auf den Kopf: Für ihn waren die Mitglieder dieser Gemeinschaft nichts weiter als kleine Fische in einem großen Teich. Er brauchte doch nur ein paar Krumen ins Wasser zu bröckeln, um sie anzulocken, es dann aufzuwühlen, wenn er sie verängstigen wollte, oder wie im Fall dieses Polizisten einfach einen Haken mit dem richtigen Köder hineinzuwerfen. Der arme Mistkerl. Fast tat er ihm leid … aber eben nur fast.
Als Ron später zu Besuch kam, war Weed noch immer wach und angenehm high. Er setzte sich aufrecht hin, und stellte seine bestrumpften Füße auf den Boden, damit sich der Schwarze neben ihn auf das Bett setzen konnte.
»Ich wollte nur nachsehen, ob alles Okay bei dir ist. Du bist ja zusammengebrochen und …«
»Ach, mir geht's gut, und dir? Schon eine Spur von … Entschuldige.«
»Nein, noch nichts.« Rons Gesicht war von Gram gezeichnet. Er hatte feuchte Wangen und weinte nach wie vor.
»Wir haben … viele Körperteile gefunden. Einige gehören … mit Sicherheit Alvin oder Mary, vermutlich auch Sal.«
»Furchtbar … Ich weiß nicht, was ich …«, stammelte Weed. »Denkst du, hier im Parkhaus ist es noch sicher?« Gerade schaute er in den Teich und auf einen kleinen, schwarzen Fisch, dem er Brotkrümel zuwarf.
»Äh, ja, ich schätze schon. Darüber habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht.« Ron schwieg einen Moment lang. »Vielleicht sollten wir uns auf eine Seite im Gebäude zurückziehen oder … Ich wollte vorschlagen, dass es jemand untersucht, aber wer sollte das sein?«
»Was ist denn deiner Meinung nach passiert?«
»Ich weiß es nicht. Dort unten haben viele Chemikalien gelagert. Womöglich ist einfach etwas ausgelaufen.«
»Das könnte sein.« Weed stieß die Wörter mit einem Seufzer aus. Dabei schaute er auf seine Füße und grunzte leise … ein leichtes Platschen, um die Aufmerksamkeit des schwarzen Fischchens zu gewinnen.
Ron stutzte. »Geht es dir wirklich gut?«
»Soweit schon, aber Mr. Undercover glaubt ja, ich sei's gewesen. Er kam mir fest entschlossen vor, mich anzugreifen. Ich mache mir echt Sorgen, Ron.«
»Oh, da ist was dran, er mag dich tatsächlich nicht. Wir wollten ihm eigentlich Zeit geben, sich mit dir anzufreunden, aber nach dieser …«
»Tja, ich weiß gar nicht, ob ich traurig oder böse auf ihn sein soll. Ich meine, so etwas vorgeworfen zu kriegen ist nicht schön. Findest du nicht auch … ach nein …«
»Was? Du meinst, Dale hätte das getan, um es dir anzuhängen?«
Sieh an, staunte Weed. Der kleine Neger hat aber schnell kombiniert. Dachte schon, ich müsste es ihm erst häppchenweise beibringen. Noch ein paar Krümel, Francis. Er beißt bereits an.
»Also, kurz daran gedacht habe ich schon, aber nein, er war's nicht, das würde ich ausschließen. Es kommt mir so abwegig vor. Vorstellbar wäre eher, dass … Nun, er steckt jedenfalls nicht dahinter.« Er tat so, als wolle er jetzt das Thema wechseln. »Dieser Schli…« Fast wäre ihm ein »Schlitzäugige« herausgerutscht. »Dieser Schlingel, der arme Kerl ist bei der Explosion umgekommen.«
»Schlingel?«
»Ja, ist nur so ein Ausdruck. Einer meiner Stiefväter nannte uns Kinder immer so. Kommt her, ihr kleinen Schlingel, rief er oft. Ihr sollt Geschirr abwaschen. Du weißt ja, Eltern und ihre Kosenamen.« Gut gerettet, Francis.
»Stimmt, mein Vater nannte mich eine Zeit lang immer Süßer, weil er wusste, dass ich mich darüber ärgerte, vor allem wenn Mädchen dabei waren. Jahrelang ließ er es bleiben, bis er schließlich Donna kennenlernte. Das Erste, was er sie fragte, war: Wie behandelt dich mein Süßer denn? Donna konterte sofort mit: Wer soll denn das sein? Mann, daraufhin war das Gelächter groß.« Ron schaute versonnen drein.
Weed bekam einen Kloß im Hals. Elender Mist, dachte er. Ich werd wegen einer toten Schwarzen rührselig. Also wirklich, es gab schon Schlimmeres. Wichtig ist jetzt die Frage: Hat der Schokomann angebissen oder nicht?
»Du meintest gerade, etwas sei eher vorstellbar, aber was?«
Ron hatte angebissen.
»Ich will ja niemandem etwas unterstellen, aber der junge Kerl, unser Superhirn, hantiert ständig mit Sachen herum, die ich gefährlich finde … Gastanks, Fahrzeugbatterien, und die anderen wussten nicht, dass er eine Bombe oder weiß der Teufel, was sonst noch, bauen kann. Vielleicht hat er ja einfach versehentlich irgendwelche Drähte miteinander verbunden oder so. Oh, ich sage das wirklich sehr ungern.«
»Nein, du hast nicht unrecht. Womöglich sollten wir ihn bei seiner Arbeit wirklich demnächst ein wenig beaufsichtigen. Wir kennen uns ja schließlich nicht mit dem aus, was er da treibt. Er überrascht uns ja auch gern mal.«
»Ja, eigentlich ist er ein großartiges Kerlchen. Darum komme ich mir auch so schlecht vor, wenn ich vermute, es sei ein Fehler seinerseits oder sogar seine Absicht gewesen.«
»Das verstehe ich. Von jetzt an achten wir wohl einfach besser darauf, was er tut, und fragen immer mal wieder nach, ob dabei auch nichts passieren kann. Streng genommen sollten wir über alle seine Erfindungen Bescheid wissen, falls … falls wir die eine oder andere einmal warten müssen.«
Ron machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: »Ich bin auf jeden Fall froh, dass wir miteinander geredet haben, Francis.«
»Ich auch. Ich werde jetzt noch ein bisschen von meiner Medizin einnehmen.« Er zwinkerte. »Dann mache ich ein kleines Nickerchen. Zu lange schlafe ich nicht, also habt ihr mich bald wieder, und du darfst mir ruhig sagen, wie ich mich nützlich machen kann, sobald du die Lage im Griff hast.«
»Verlass dich darauf.« Ron lächelte und ging weg.
Mein lieber Schwan, Francis, du hast echt Nerven, dich so aufzuspielen wie dieser Verein. Na ja, den Cop mal ausgenommen, klar.
Weed blieb auf seiner Matratze hocken und nahm nun einen kräftigen Schluck seiner »Medizin«. Er hatte das Wasser gerade aufgewühlt, und zwar gehörig. Jetzt musste er nur noch hoffen, dass sich Ron, wenn die dreckige Kröte Dale mit dem Verleumden anfing, an die berechtigten Zweifel erinnerte, die bestanden.
***
Der Polizist war rasend vor Zorn. Er wurde einfach das Gefühl nicht los, dass der alte Sack die Hände bei der Explosion im Spiel gehabt hatte. Ron war nur zu feige, es zu erkennen … Nein, es hing weniger mit Feigheit zusammen als mit der Tatsache, dass diese Gruppe nicht im Ansatz begriff, mit wem sie es zu tun hatte, und darum einfach nicht auf ihn hören wollte. Um Himmels willen, er hatte solche Typen jahrelang gründlich untersucht und unter falschem Namen Umgang mit ihnen gepflegt. Ron und den anderen fehlte jegliche Vorstellung davon, wie gemein der Mensch sein konnte. Für sie war es schlichtweg unbegreiflich, dass jemand eine Bombe bauen und nicht lange fackeln würde, Unschuldige damit umzubringen.
Er hatte gerade eine gute Stunde im Bestreben damit verbracht, Ron davon zu überzeugen, dass der alte Mann verschwinden musste. So weit wäre es niemals gekommen, hätte er sich Francis bloß sofort vorgeknöpft, statt seine Zeit beim Diskutieren mit dem Schwarzen zu verplempern. Jetzt würde er den Ex-Biker wohl doch alleine angehen müssen, wohl wissend, dass ihn die Gemeinschaft deshalb verstoßen könnte. Nun denn, die Schnittwunde an seinem Bein war mittlerweile nahezu ganz verheilt. Vielleicht hatte er ja den Punkt erreicht, an dem er einen Neuanfang machen, und in die Berghütte ziehen sollte, wohin er ursprünglich unterwegs gewesen war.
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