Er beobachtete, wie Willow von drei Zombies gleichzeitig bedrängt wurde. Dies zerrte an seinem Gefühlskleid wie nur selten etwas. Denn er hatte plötzlich Angst, seine Gefährtin zu verlieren. Obwohl er gerade drauf und dran gewesen war, sie eigenhändig zu töten, erschütterte die unmittelbare Gefahr, sie könne wirklich sterben, ihn bis ins Mark. Er hätte sich Hals über Kopf auf die schnappenden Untoten gestürzt, um Willow zu retten, wäre ihr Blut nicht gerade bereits in die Luft gespritzt, was ihr ohrenbetäubendes Kreischen jäh beendete.
Ben sprang daraufhin auf und lief zum Bus, Schmerzen hin oder her. Als er aus allen Richtungen des Waldes Schreie hörte, wusste er, dass weitere Zombies im Anmarsch waren. Nun, wo er dem Tod direkt ins Auge schaute, drohten ihn seine heftigen Unterleibsschmerzen, zu Fall zu bringen. Keuchend zwang er sich dazu, einen Fuß vor den anderen zu setzen und bloß nicht wieder zu kotzen. Er verdrängte den Wunsch, sich fallen zu lassen und einfach mit angezogenen Knien aufzugeben, schaffte es mit letzter Kraft bis zum Bus und brach dort, eine Sekunde, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, gequält und stöhnend auf der Ladefläche zusammen.
Er blieb vollkommen regungslos liegen, aber nicht aus Angst vor den Zombies, sondern wegen seiner fürchterlichen Schmerzen. Selbst in dieser Lage waren sie unerträglich. Hätte er sich doch nur unbeschwert bewegen können, dann wäre er einfach mit dem Bus von der Lichtung gefahren. Während er so dalag und hörte, wie der letzte Schrei in der Ferne abrupt abbrach, weinte er, weil er sich einsam fühlte und aufgrund der Schmerzen – nicht denen von Willow, sondern seiner eigenen.
Ben lauschte weiter, während die Untoten unaufhörlich gegen die Karosserie stießen. So lange, bis sie irgendwann endlich wieder verschwanden. Ihm tat immer noch alles weh, obwohl er sich überhaupt nicht rührte, und dagegen musste er dringend etwas unternehmen. Irgendwann nahm er sich wieder so weit zusammen, dass er die Embryonalstellung halbwegs aufgeben konnte und sich traute, wenigstens einen Arm und den Kopf zu bewegen. Er fand nach einigem Suchen Willows Pillenbeutel, einen wiederverschließbaren aus Plastik, der eine Gallone fasste und derart prall gefüllt war, dass er sich nur schwer hatte zuziehen lassen. Er schleifte das Ding mit einer Hand auf sich zu, wobei er aber umkippte und aufplatzte, sodass sich der Inhalt komplett auf dem Teppichboden verteilte. Ben pickte sich einfach mehrere Tabletten heraus, die ihn so richtig lahmlegen würden, und schluckte sie notgedrungen ohne Flüssigkeit. Es war schon kalt und wurde noch kälter werden, also zog er einen Schlafsack, einige Decken und Kissen über sich, so als ob ihm ein langer Winterschlaf bevorstehen würde. Vorerst bestand sein Plan einfach nur darin, möglichst lange in einer schmerzfreien Leere dahinzudämmern. Falls er nicht mehr erwachte, sollte es eben so sein.
***
Irgendwann kam Ben allerdings doch wieder zu sich, aber nur kurz. Er wusste nicht so recht, ob er träumte oder nicht.
Hatte er sich das alles nur eingebildet? War Willow wirklich tot? Hatte es sie überhaupt jemals gegeben? Der Bus fuhr doch nicht etwa? Und strahlte die Sonne gerade tatsächlich durch die Windschutzscheiben, während sein Körper durchgeschüttelt wurde?
Ihm wurde bewusst, dass er nach wie vor stark benebelt war, bevor er sich schnell wieder dem Tiefschlaf hingab.
Während er rasch in Morpheus' Arme entschwebte, hätte er allerdings schwören können, dass der Bus tatsächlich fuhr.
Die Alarmanlagen einiger Wagen funktionierten noch und lösten einem Heidenlärm aus. Dieser klang aber für die meisten Bewohner des Parkhauses so weit weg, als dröhne er unter Wasser. Manche von ihnen nahmen ihn sogar überhaupt nicht wahr.
Von einer Seite des Gebäudes stob gerade eine große Dunstwolke hoch, die der kräftige Wind sofort fortwehte. Die Trümmer nach der Explosion lagen im weiten Bogen verstreut auf einer Fläche von mehreren Yards herum, dazu noch Gliedmaßen und kleinere Körperteile. Ein breiter, aber niedriger Krater im Betonboden der zweiten Ebene kennzeichnete den Explosionsherd. Rings um das Loch herum, wo zuvor ordentlich verstaute Vorräte gelagert hatten, war nun viel Platz. Abgesehen von den Autoalarmanlagen blieb es eine Zeit lang ganz still.
Weed ging langsam die Auffahrt hinunter, als Jeff ihn auch schon einholte. Er war auf dem Dach gewesen, um die Batterien anzuklemmen.
»Was ist passiert?« Der Junge lief mit erstauntem Blick an ihm vorbei.
Weed trottete einfach weiter ruhig die Rampe entlang. Er war definitiv zu alt zum Rennen, aber vielleicht interessierte es ihn auch einfach nicht genug. Als es ihn umgehauen hatte, waren seine beiden Ellbogen aufgeschürft worden. Er ließ das Blut einfach an seinen Armen hinunterfließen. Jetzt zog er sorgfältig die Mütze über seine zerzausten Haare. Als er die zweite Ebene erreichte, war der Jungspund in Tränen ausgebrochen und ging hektisch auf und ab.
»Was soll ich denn nur machen, was soll ich bloß machen?«, wiederholte er währenddessen. Schließlich blieb er stehen, verbarg sein Gesicht hinter seinen Händen und schluchzte zitternd weiter vor sich hin.
Dale, Ron, Lisa und Ana waren bereits vor Ort, wollten aber gerade aufbrechen, um nachzusehen, ob noch alle lebten.
»Was ist passiert?« Die Frage brannte den meisten von ihnen auf den Lippen.
»Es war eine Explosion. Und wir müssen jetzt herausfinden, wie es dazu kam.« Dale hielt die Hände auf seinem Kopf verschränkt, während er in den Krater hinabschaute.
Jeff stellte sich neben ihn und fuhr sich mit einem Ärmel über die Wangen. »Es könnte alle möglichen Ursachen haben. Vieles hier unten eignet sich dazu, Bomben zu bauen.«
Dale schaute ihn skeptisch von der Seite an und dachte dabei: Nein, ausgeschlossen. Jeff war es nicht.
Als er sich umschaute, bemerkte er, dass Francis ihn ebenfalls beobachtete. Ihre Blicke begegneten sich und der alte Mann hielt seinem mühelos stand.
Vielleicht bist du es ja gewesen. Ja, sehr wahrscheinlich sogar.
Francis ging hinüber und kratzte sich am Kopf. Er ahnte, dass der Cop versuchen würde, es ihm ganz dreist in die Schuhe zu schieben.
»Muss ein Unfall gewesen sein.« Kaum, dass Weed das gesagt hatte, erkannte er, wie schuldbewusst es wirkte. Ach egal, dachte er innerlich seufzend. Ich kann doch sowieso behaupten, was ich will, der Bulle hat mich doch eh auf dem Kieker.
Dale betrachtete ihn ebenfalls intensiv. »Es kann unmöglich ein Unfall gewesen sein.«
»Finde ich auch«, stimmte ihm Jeff zu und zog die Nase hoch.
»Wer war es also?« Dale ließ nicht von Francis ab. »Irgendeine Ahnung, Großpapa?«
Weed tastete unbewusst nach seinem Messer. Er biss sich auf die Zähne und starrte Dale böse an.
Dessen Blick fiel kurz auf die Waffe und schweifte dann wieder in die Augen seines Nebenmannes.
»Einmal Mörder, immer Mörder.«
»Reiz mich nicht noch weiter, mein Sohn«, drohte ihm Weed, nahm die Hand aber von seinem Messer.
Jeff war erschrocken. »Mensch! Was zum Kuckuck tut ihr zwei denn da?« Er fing wieder an zu schluchzen und ging weg.
Nachdem er sich einen kurzen Überblick verschafft hatte, kam Ron wieder zurück. Die letzten Worte der Auseinandersetzung zwischen Dale und Francis bekam er allerdings noch mit.
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