„Hoffentlich steigt sie bald aus“, flüstert Moritz, der vom Busfahren genug hat.
„Der Bus biegt ab“, stellt Laura fest. „Da! Ich sehe die Tower Bridge!“
„Aber die Spinne bleibt immer noch sitzen. Wo will sie denn bloß hin?“, wundert sich Marie.
Einige Haltestellen später steht das Mädchen endlich auf.
„Sie hat wieder einen Zettel auf dem Sitz liegen lassen“, flüstert Marie, die als Erste an dem Platz des Mädchens vorbeikommt. Schnell steckt sie das Papier ein, denn der Bus hält schon. „Los, runter!“
In größerem Abstand folgen sie dem Mädchen. Marie ist gespannt, was auf dem Zettel steht. Sie faltet ihn auseinander und liest: „,I’m really fed up now!‘ Was heißt das? Ich bin jetzt wirklich satt?“
„Es könnte auch heißen: Jetzt habe ich es wirklich satt“, meint Laura. „Oder: Jetzt habe ich die Nase voll.“
„Oder jetzt reicht es mir wirklich!“, schlägt Marie vor. Alle drei sehen Alexander fragend an.
Der nickt. „Ich glaube, die letzte Übersetzung ist die beste: Jetzt reicht es mir wirklich. Das passt irgendwie zu den anderen Zetteln.“
„Los! Wir dürfen sie nicht verlieren“, mahnt Laura.
„Keine tolle Gegend hier“, stellt Moritz fest, nachdem sie mehrmals links und rechts abgebogen sind. „Jetzt geht sie in den Eingang da drüben.“
Der Eingang ist ein großer Durchgang aus rotem Backstein, der zu einem Hof mit weiteren Hauseingängen führt. Als sie vorsichtig in den Hof spähen, ist das Mädchen nirgends zu entdecken.
„Mist!“, schimpft Moritz. „Jetzt wissen wir nicht, wo sie hineingegangen ist. Und jedes Haus hat wahrscheinlich einen Hinterausgang. Da kann sie uns leicht entwischen.“
„Was würde Sherlock Holmes jetzt tun?“, fragt Alexander. „Außen herumschleichen“, antwortet Laura prompt. „Aber einer muss hier Schmiere stehen.“
„Ich bleibe hier“, bietet Marie an. „Wenn es brenzlig wird, rufe ich dich auf dem Handy an.“
Laura stellt an ihrem Handy den Ton aus, damit es bei einem Anruf nicht laut klingelt, sondern nur in ihrer Tasche vibriert.
Laura, Moritz und Alexander wundern sich, wie verfallen die Rückseite der Häusergruppe aussieht. „Wahrscheinlich sind nur die vorderen Häuser bewohnt“, vermutet Laura.
Eine rote Backsteinmauer umgibt verwilderte und fast zugewachsene Gärten. An mehreren Stellen ist die Mauer eingebrochen. Die Kinder klettern über die Steine in die Gärten und stehen bald bis zur Hüfte zwischen Brennnesseln.
„Boah! Die pieken ja durch die Hose!“, jammert Moritz und kratzt seine Beine.
Unbekümmert stapft Laura durch die hohen Pflanzen.
„Mann! Sind das Bruchbuden“, sagt sie, als sie an den Reihenhäusern hochschaut.
Alexander nickt. „Die Scheiben sind fast alle kaputt und die morschen Holztüren hängen ganz schief in den Angeln.“ Als Laura auf eine der Türen zugeht, hält sie ihrem Bruder die Hand entgegen. „Gib mir bitte mal die Taschenlampe!“ Moritz greift in seine Hosentasche, reicht Laura die Lampe aber nicht. Stattdessen bläst er wieder einmal empört seine Backen auf. „Wer ist denn hier der Älteste? Ich geh vor!“ Laura hat keine Lust, sich zu streiten. Zu neugierig ist sie darauf, wie es in dem alten Gemäuer aussieht.
Moritz drückt die Tür ein kleines Stück auf und leuchtet in das Innere des verfallenen Hauses. Er zuckt die Schultern, nickt den anderen zu und schiebt sich durch die Tür. Nach kurzem Zögern schleichen Alexander und Laura ihm nach, obwohl sie es ziemlich gruselig finden.
Moritz leuchtet mit seiner Minitaschenlampe den Weg ab. Kleine Wasserlachen stehen auf dem feuchten Steinboden. An einigen Stellen tröpfelt es. Die Luft ist so muffig, dass die Detektive kaum atmen mögen.
„Hier führt eine Treppe rauf“, flüstert Moritz.
Angeekelt betrachten sie die Schimmelflecken und Spinnweben an den Wänden. Die Stufen sind von abgebröckeltem Putz und dickem Staub bedeckt. Bei jedem Schritt knirscht es. Je höher sie steigen, desto dunkler und unheimlicher wird es. Laura schnuppert. „Iiiih! Stinkt das hier!“
Langsam geht Moritz auf eine Tür zu und stößt sie mit dem Fuß auf. Der Gestank, der ihnen entgegenschlägt, ist fast unerträglich.
Moritz leuchtet in den Raum und sieht, dass die Fenster mit Brettern vernagelt sind. Als er das Licht auf den Boden richtet, zuckt er erschrocken zusammen und weicht zurück.
Lauras Blick folgt dem Lichtstrahl, entsetzt schreit sie auf.
Marie sucht inzwischen den Innenhof und alle Fenster mit den Augen ab. Im Hof gibt es nichts, wo sie sich verstecken könnte. Deshalb nimmt sie einen Zettel in die Hand und betrachtet die Hauseingänge. Falls jemand sie beobachtet, soll er denken, sie suche ein bestimmtes Namensschild.
Eines der unteren Fenster ist halb geöffnet. Zu ihrem Erstaunen hört Marie zwei Frauen auf Deutsch miteinander reden. „… fliege zurück … nur noch die Prüfung …“
Die andere Stimme ist leiser. „… noch mal überlegen“, ist alles, was Marie verstehen kann.
Sie wagt sich dichter an das Fenster heran, um etwas mehr aufzuschnappen. Ich muss unbedingt sehen, ob eine davon die schwarze Spinne ist , denkt Marie. Sie schlendert an dem Fenster vorbei und schaut neugierig hinein. Sie ist selbst von ihrem Mut überrascht. Hoffentlich mache ich jetzt keinen Fehler .
Da ist es auch schon zu spät. Das Mädchen, das sie verfolgt haben, reißt das Fenster weit auf und schaut sie wütend an. „What do you want?“
„Excuse me, äh, ich meine … Entschuldigung“, stammelt Marie. „Ich habe gehört, dass ihr deutsch sprecht. Ich suche eine Anne Gordon. Weißt du, ob die hier irgendwo wohnt?“
„Was ist los, Saskia?“, fragt die andere Stimme aus der Wohnung.
„Ach, nichts“, antwortet das Mädchen, deren Namen Marie nun kennt: Saskia. „Keine Ahnung“, antwortet die. „Soll das ‘ne Deutsche sein?“
Marie weiß das auch nicht, sie hat Anne Gordon ja gerade erst erfunden.
„J-ja“, antwortet sie dann zögernd. „Eine Deutsche, die mit einem Engländer verheiratet ist“, fällt es ihr ein.
„Kenn ich nicht“, murmelt Saskia und knallt das Fenster zu, bevor Marie weiterfragen kann. Marie ist unzufrieden. „Es ist nicht gut, dass die Spinne mich gesehen hat“, denkt sie. „Aber wenigstens weiß ich jetzt, dass sie Saskia heißt und Deutsche ist.“
Während Marie auf ihre Freunde wartet, fällt ihr der Zettel ein. Sie müssen ihn unbedingt noch zu Scotland Yard bringen. Doch vorher will Marie ihn auf Fingerabdrücke untersuchen und fotografieren. Gut, dass Moritz ihr den Rucksack dagelassen und nur die Taschenlampe mitgenommen hat.
Marie sucht sich ein Versteck außerhalb des Hofes, von dem aus sie alles überblicken kann. Sie fotografiert den Zettel und pinselt ihn dann mit dem Pulver ein, wie sie es in einem Detektivbuch gelesen hat. An den Rändern werden einige Fingerabdrücke sichtbar.
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