Der Mann beugte sich nach vorn und leuchtete in Paddys Augen. Dann richtete er die Lampe auf die Rückbank, wo ihm etwas Funkelndes ins Auge gesprungen war.
»Was ist das denn?«
»Ein Koffer, ist Krokodilleder.«
»Was steckt drin?«
»Was drinsteckt?«
»Sie haben mich schon verstanden.«
»Haarbürsten. Seife. Parfümflakons und Ähnliches. Toilettenartikel für die Dame. Ich bin Handelsvertreter. Solche Waren verkaufe ich.«
Der Blick des Polizisten ruhte vorübergehend auf ihm. Paddy war es gewohnt. Er wusste, dass er nicht wie ein Geschäftsreisender aussah, sondern eher wie ein professioneller Ringkämpfer in einem strahlend marineblauen Anzug, der ihm zwei Nummern zu klein war.
»Führerschein und Zulassung bitte, Sir.«
»Klar, in Ordnung. Eine Sekunde.« Er fasste sich in seine Brusttasche und nahm die Fahrerlaubnis heraus. Sie steckte nicht in seiner Brieftasche, nein. Er hatte sie vorsichtshalber für Situationen wie diese mit fünf frisch gedruckten 100-Dollar-Scheinen zusammengerollt und ein Gummiband herumgewickelt. Als er sie dem Cop hinhielt, strahlte dieser sie mit der Lampe an.
»Was ist das?«
»Mein Führerschein, Officer, eingerollt in 500 knitterfreie US-Dollar.«
»Sir, Sie …«
»Officer, ich bin sozusagen in Eile, verstehen Sie? Deshalb wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir das Ding einfach zurückgeben und den Rest als kleine Geste meiner ewigen Dankbarkeit annehmen würden.
»Passen Sie auf, mein Freund, ich …«
»Okay, okay. Ich kapier, woher der Hase läuft.«
Strelnikow steckte seine Hand wieder in die Tasche und zog ein ordentlich gefaltetes Bündel Scheine heraus.
»5.000 Dollar. Das ist mein letztes Angebot«, sagte er, indem er dem Beamten sein Totschläger-Lächeln schenkte, das er sich auf den Straßen von Brighton Beach und Coney angeeignet hatte – setz es auf, kurz bevor du einem Dreckbeutel die Lichter ausbläst. »Weihnachten steht ja vor der Tür, nicht wahr, Officer? Fünf Riesen kommen Ihnen da möglicherweise wie gerufen.«
Er erkannte am Gesichtsausdruck des Bullen, worauf diese Begegnung hinauslaufen würde. Ein Debakel.
»Na gut, Sir. Ich muss Sie auffordern, Ihr Fahrzeug zu verlassen. Sofort. Halten Sie Ihre Hände dabei so, dass ich sie sehen kann.«
»Vorsicht, Officer, Sie begehen hier einen fatalen Fehler.«
»Aussteigen, Sir«, beharrte der Polizist, während er rückwärtsging, die rechte Hand am Holster seiner Waffe. »Bisschen plötzlich!« Er sah den kurzen Pistolenlauf am unteren Rand des Fensterrahmens nicht. Vielleicht hatte er auch das »fatal« überhört. Zu dumm, dass es das Schlüsselwort war.
Wupp, wupp machte der .38er. Zwei gezielte Schüsse mitten in den Kopf des Beamten.
»Und tschüss«, sagte Paddy mit Blick durch die Tür auf den Schnee, der sich unter dem Toten rot färbte. Während er beim Davonfahren beschleunigte, scherte das Heck des Mustangs auf dem vereisten Seitenstreifen aus.
Hey, so spielt halt das Leben.
Man kann nichts weiter tun, als sein Bestes zu versuchen, nicht wahr?
Bermuda
Teakettle Cottage stand am höchsten Punkt einer schmalen Korallenformation ungefähr 50 Fuß über dem türkisfarbenen Meer. Das Haus war ein Paradebeispiel für Schlichtheit und perfekt auf Hawkes Bedürfnisse zugeschnitten. Abgesehen davon, dass es seinem Wunsch nach friedlicher Ruhe Genüge tat, gab es ihm aufgrund seiner prekären Lage ein Verständnis von Leben als »hartem Brot«. Wegen seiner romantischen Ader – er hätte nie eingeräumt, eine zu haben – setzte er Widrigkeit mit Wirklichkeit gleich.
Eines regnerischen Abends hatte er seine recht nebulösen Empfindungen diesbezüglich mit dem gescheitesten Mann besprochen, den er kannte, dem berühmten Kriminologen Chief Inspector Ambrose Congreve von Scotland Yard.
Dieser war zu dem Schluss gelangt, Hawkes sehr menschlicher Instinkt deute an, dass er im Unbehagen und in der gelegentlichen Grausamkeit des Lebens so nah am Meer einen Garant für Authentizität zu sehen glaubte. Stets auf Messers Schneide zu balancieren, wie er es tat, und demzufolge auf Sicherheiten verzichten zu müssen – daraus schöpfte Hawke, wie Congreve unterstellt hatte, ein gewisses Maß an Wahrhaftigkeit.
Dies, so hatte er seinen Freund wissen lassen, sei ein wenig zu dick aufgetragen, doch während sich Hawke viel lieber in Oberflächlichkeiten erging, schürfte der Inspektor tendenziell tiefer. Ebendies festigte ihre lang anhaltende Freundschaft zusätzlich und begründet ihre Harmonie. In der Welt der Geheimnisse und Abenteuer, in welcher die beiden wandelten, brauchten sie einander.
Alte Pockholz- und Kapokbäume sowie wohlduftende Zedern versperrten die Sicht auf Hawkes bescheidenes Kalksteinhaus. Kokospalmen flankierten eine Sandstraße, die nach langem Mäandern durch einen Wald aus ausgewachsenen Bananenpalmen vor dem Gebäude endete. Die Architektur wiederum ließ sich als Inbegriff von Minimalismus verstehen: Eine breite Muschelkalk-Terrasse mit Blick auf den Atlantik erstreckte sich von einem runden Hauptbereich mit Kuppeldach aus, der an eine Scheune denken ließ.
Ein schiefer Wachturm aus weißen Backsteinen auf der dem Ozean zugewandten Seite stellte quasi den Ausguss des Teekessels dar, von dem der Name des Hauses herrührte.
Das große, weiß verputzte Wohnzimmer mit seinem abgetretenen Boden aus Fliesen mit südländischen Mustern war mit alten Gartenstühlen und ausgedienten Möbeln eingerichtet, die verschiedene Bewohner im Laufe der Jahre entweder weitervererbt oder schlicht zurückgelassen hatten.
Die massive Bartheke aus Regenbaumholz in einer Ecke war von Douglas Fairbanks Jr. gespendet worden, der lange Zeit, wenn auch mit Unterbrechungen, hier gelebt hatte. An einem Ende des Tresens stand ein uraltes, aber noch funktionierendes Kurzwellenradio. Angeblich hatte schon Admiral Sir Morgan Wheelock Gebrauch von dem Gerät gemacht, der Oberbefehlshaber des Luftwaffenstützpunkts Bermuda während des Zweiten Weltkriegs. Von der Terrasse des Cottage aus soll er die Ankunft beziehungsweise Abfahrt von U-Booten und deutschen Handelsschiffen in Küstennähe überwacht haben.
Ein weiteres Gerücht besagte, Teakettle sei ein geheimer Unterschlupf gewesen, wo die Briten ihre Spione vor Einsätzen an verschiedenen Orten in der Karibik unterwiesen hätten. Seit Hawke dies erfahren hatte, war ihm in seinem winzigen Heim – einem ehemaligen Versteck von Spitzeln – umso wohler zumute.
Den abgestoßenen Canasta-Tisch aus Mahagoni, wo er stets aß, soll Errol Flynn stehenlassen haben. Der Schauspieler hatte sich 1937 für ein paar Monate in die Hütte zurückgezogen, um eine Krise in seiner Ehe mit Lili Damita auszusitzen. Beim Blättern im Gästebuch während eines nächtlichen Wolkenbruchs hatte Hawke einen Eintrag in Flynns Handschrift entdeckt, der besagte, der Star habe Teakettle als in jedweder Hinsicht abstoßend empfunden. Kein warmes Wasser, und die Wand im Schlafzimmer voller Bilder von Schlangen.
Mittlerweile brauchte man warmes Wasser nicht mehr zu missen, und die Schlangenbilder waren längst abgehängt worden. Jetzt hingen nur zwei Fotos dort, wo Hawke schlief: Ein altes schwarz-weißes seiner verstorbenen Eltern, wie sie während ihrer Hochzeitsreise am Heck einer venezianischen Gondel saßen, und eines seiner ebenfalls verblichenen Frau Victoria als Kind. Im Moment der Aufnahme saß sie auf dem hohen Ast einer alten Eiche auf einem Uferdamm des Mississippi River.
Auf einem Tisch in einer Ecke des Schlafzimmers stand ein alter Victrola-Plattenspieler mit einer LP von Cole Porter auf dem Teller neben einer Royal-Schreibmaschine. Hawke hatte in krakeliger Schrift Hemingways Namen im Gästebuch gelesen. Der Autor war anscheinend ebenfalls mehrmals in diesem Haus gewesen. Er hatte die Insel anlässlich eines Angelwettkampfs besucht, sich bei Flynn einquartiert und wie verrückt an der Fertigstellung seines Romans Inseln im Strom gearbeitet. Hawke konnte sich ihn lebhaft vorstellen, schweißgebadet in der Ecke mit freiem Oberkörper, Bermudashorts und einer Buddel Cinzano am Hals, wenn er nicht gerade auf die Tasten hämmerte.
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