1 ...7 8 9 11 12 13 ...31 General Arkadij Gerimosow, der dem »Wässerchen« womöglich etwas stärker zugesprochen hatte als seine Genossen, merkte auf: »Wir könnten sie ablenken, indem wir New York, Chicago und Los Angeles beschießen, Exzellenz, habe ich recht? Eine höchst wirkungsvolle ruse de guerre, finden Sie nicht, mes amis?«
Die Männer brachen explosionsartig in Gelächter aus, obgleich nicht jeder es witzig fand, denn einige hielten es insgeheim ernsthaft für eine gute Idee. Korsakow blieb unbeeindruckt.
»Sehr unterhaltsam, dieser Einfall, General Gerimosow, aber wie schon Napoleon sagte: Es gibt nur zwei Mächte in der Welt: den Säbel und den Geist. Auf lange Sicht wird der Säbel jedoch stets vom Geist besiegt. Und mit diesem Satz möchte ich unsere Diskussion beenden. Außer der Präsentation des Präsidenten später steht von meiner Seite im Moment nichts mehr an.«
Dann richtete sich der Graf per Mikrofon gesondert an Rostow, der einen Knopf im Ohr trug. »Wolodja?«
»Exzellenz?«
»Ich will unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Würden Sie sich bitte entschuldigen und mir ein paar Minuten in meinem Büro schenken?«
»Selbstverständlich. Ich bin schon unterwegs.«
Rostow tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, lächelte seine Genossen an und trat hinter den Vorhang, um mit dem Zauberer zu reden.
»Hier bin ich, Exzellenz«, sagte er ins Dunkel hinein, wo er einen Schattenriss ausmachte. Er nahm auf demselben Stuhl wie immer Platz, schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarette an.
»Es gibt da einen Mann, auf den wir unser Augenmerk legen müssen, Wolodja.«
»Wer und wo ist er, Exzellenz?«, fragte der Präsident.
»Es handelt sich um einen Briten namens Hawke. Seine Familie ist mir keineswegs fremd. Er reiste kürzlich von London nach Bermuda. Irgendwie ist er mit meiner Tochter Anastasia in Kontakt gekommen. Es könnte eine Romanze sein, vielleicht aber auch nicht. Dem Anschein nach ist er eine Privatperson und außergewöhnlich reich, doch ich hege den berechtigten Verdacht, dass er für den MI6 arbeitet.«
»Sollen wir ihn beobachten oder beseitigen?«
»Sowohl als auch. Zuerst behalten Sie ihn lediglich im Blick. Setzen Sie sich mit meinem Privatsicherheitsdienst in Bermuda in Verbindung, Mr. Samuel Coale auf Nonsuch Island. Dort befindet sich eine alte Bodenstation der NASA. Er wird wissen, was zu tun ist. Wenn Hawke von der Bildfläche verschwinden soll, gebe ich Ihnen Bescheid. Dann fordere ich Sie auch auf, Mr. Strelnikow zu kontaktieren – Paddy Strelnikow, einen meiner amerikanischen Helfer. Er ist der Einzige, den ich gegen einen Briten ins Feld ziehen lassen würde.«
»Dann ist er wohl gut, dieser Brite, oder?«
»Möglicherweise der Beste. Er hat unseren Kameraden in Havanna und Beijing ungeheuren Ärger bereitet. Davon abgesehen mache ich mir Sorgen um meine liebe Anastasia. Meine Tochter ist seit dem frühzeitigen Tod ihres Ehemanns Vanja … unzufrieden. Dieser Hawke scheint es ihr durchaus angetan zu haben. Das beunruhigt mich. Ich will ihn nicht in unserem Nest haben.«
»Vielleicht sollten Sie Ihre Tochter anweisen, sich von diesem Mann fernzuhalten, Exzellenz. Sie ist schließlich ein Musterbeispiel für Gehorsam.«
»Mag sein, doch wenigstens vorübergehend könnte er sie glücklich machen, und außerdem: Wer weiß, was sie in der Zwischenzeit von diesem Briten erfahren wird, hm, Wolodja?«
Rostow nickte.
»Wo ist Paddy Strelnikow gerade, Exzellenz?«
»Im Einsatz in Amerika. Er kümmert sich um bestimmte Dinge.«
Irgendwo in Norddakota
Die Straße vor ihm sah aus wie eine Schlange aus Eis. Schwarz glänzend kroch sie im Kegel seiner Scheinwerfer dahin und verschwand fernab in den schneeweißen Hügeln. Paddy Strelnikow hatte das Fernlicht eingeschaltet, erkannte im wirbelnden Schnee aber trotzdem so gut wie nichts. Er fuhr praktisch blind.
Strelnikow tastete nach dem Hebel links neben dem Lenkrad und blendete ab. Na bitte. Das war besser. Weniger Schnee, mehr von der Straße.
Er hatte nicht damit gerechnet, bei seiner nächtlichen Fahrt mitten in die Pampa geradewegs in einen üblen Schneesturm zu geraten. Er war ein russischer Einwanderer und wohnte in Brooklyn, wo es anständige Highways gab, etwa den Brooklyn Queens und Long Island Expressway. Ja selbst den Santa Monica Freeway drüben in L.A. ließ er sich gefallen, aber diese Piste hier? Norddakota? Vergiss es, Mann. Er kam sich vor wie auf dem Mars.
Als er auf seine protzige Goldarmbanduhr schaute und sah, wie spät es war, beschleunigte er und geriet leicht ins Schlingern. Dabei wanderte die rote Nadel des Tachometers an der 80 vorbei. Hoffentlich war das eine Karre mit Antriebsschlupfreglung. Eigentlich hatte er gedacht, diese neuen Autos besäßen Schalter dafür, doch ein solcher ließ sich nicht finden. Er verstand zwar nicht so recht, was Antriebsschlupfreglung bedeutete, doch für ihn klang der Begriff schlüssig. Als es noch kräftiger zu schneien begann, blieb er stehen, um nach der Funktion zu suchen.
Kein leichtes Unterfangen. Am Armaturenbrett gab es eine ganze Menge Knöpfe und Schalter, doch keiner deutete auf diese Reglung hin. Dass Detroit den Bach runterging, war kein Wunder. Kein Schwein wusste mehr, wie man mit den blöden Karren umzugehen hatte. Aus unerfindlichem Grund hatte einige Jahre zuvor irgendein Intelligenzbolzen in Motown gemeint, ein jeder in Amerika wünsche sich Bedienfelder, die dem Cockpit einer Boeing 747 gerecht geworden wären. Jetzt sahen alle Autos innen so aus, und niemand hatte eine Ahnung davon, welche Taste wozu gut war.
Beim Kramen im Handschuhfach fand er natürlich keine Betriebsanleitung, nur seinen Mietvertrag, eine Faltkarte des Bundesstaates, die er nicht brauchte, und seinen .38er Revolver mit kurzem Lauf, den er am liebsten nicht gebrauchen würde. Da ihm wirklich die Zeit fehlte, um sich länger mit diesem Problem herumzuschlagen, zog er wieder nach links auf die Fahrbahn der Interstate 94 und setzte seinen Weg nach Westen fort. Wenn das mal gut geht …
Vielleicht, so redete er sich letztlich ein, gehörte die Antriebsschlupfreglung zur Standardausstattung dieses Wagens. Obwohl er ein wenig fester aufs Gas trat, wäre er ungefähr eine Stunde zuvor beinahe in einen Graben abgedriftet – zweimal. Die Straße auf jenem Abschnitt war so mies gewesen, dass die Fahrt mit dem Versuch gleichzusetzen gewesen war, einen Schulbus über einen zugefrorenen See zu bringen. Verflucht!
Das Auto, ein schwarzer Mustang Coupé, den er bei Hertz am Flughafen Bismarck gemietet hatte, verfügte über eine anständige Heizlüftung, zumindest wenn man den Knopf zum Einschalten ausfindig machte. Er war nur zufällig bei der Suche nach dem Antriebsschlupf-Dingsbums darauf gestoßen, genauso wie er endlich aus Versehen auf die Power-Taste des Radios gedrückt hatte. Ein schwacher Trost, dass dank eines früheren Mieters mehrere gute Sender gespeichert waren … Das musste ein findiger Elektrotechniker oder Kampfpilot gewesen sein, denn sonst bekam das wohl keiner hin. Knopf versenkt, Einsatzziel erreicht, Ende der Durchsage.
Paddy hörte sich eine Chicagoer Talkshow an, die die ganze Nacht andauerte. Der Empfang war ziemlich gut, die Sendung auch – The Midnight Hour –, und der Moderator hieß Greg Noack. Heute ging es um die Todesstrafe, worum auch sonst? Der alte Stumpy sollte an diesem Abend nämlich unter die Nadel kommen.
Alle im Land, nicht nur in Chicago, redeten über Charles Edward Stump, den man besser unter seinem Spitznamen kannte: Stumpy der Babymörder. Nun ja, alles drehte sich um seine bevorstehende Hinrichtung. Dieser Falle hatte die Aufmerksamkeit der Medien auf der ganzen Welt erregt, also nicht nur die der Regenbogenpresse.
Um genau zu sein, fuhr Fjodor Strelnikow, der schon seit seiner Kindheit Paddy gerufen wurde, in dieser absoluten Elendsnacht just wegen Mr. Stump durchs Ödland von Norddakota. Die Hinrichtung war für null Uhr anberaumt, also in exakt zwei Stunden und sechs Minuten, wie er bei einem neuerlichen Blick auf die Uhr erkannte. Stumpys Abschiedsparty ging im Little Miss über die Bühne, wie das Staatsgefängnis Little Missouri unmittelbar außerhalb der Stadt Medora in Norddakota im Knastjargon abgekürzt wurde.
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