»Wovon zum Geier sprechen Sie?«
»Von Ihnen. Ich will Sie malen.«
»Mich malen? Grundgütiger, warum das denn?«
»Ich bin Künstlerin, Mr. Hawke. Im Frühjahr stelle ich mein Projekt in der Royal Academy in London aus. Es soll eine Reihe männlicher Figuren beinhalten – lebensgroß.«
»Warum gehen Sie mir damit auf die Nerven?«
»Es gibt keinen Grund für eine solche Wortwahl. Ich halte Sie für ein gutes Motiv, das ist alles, und mit Bezug auf Ihre ziemlich dürftige … Behausung, darf man annehmen, dass Sie ein Mann sind, der das Geld gebrauchen kann. Sie haben doch bestimmt schon einmal Modell gestanden, Mr. Hawke, oder? 100 die Stunde verdient man sonst nirgendwo auf dieser Insel.«
Modell gestanden? Er widerstand dem Drang, laut loszulachen, und sagte: »Miss Korsakowa, ich fühle mich von Ihrem Angebot zutiefst geschmeichelt, fürchte aber, dass ich es ausschlagen muss.«
»Warum?«
»Warum? Nun, dafür gibt es so einige Erklärungen. Erstens bin ich ein vielbeschäftigter Mensch. Ich gehe davon aus, wenn man sich malen lässt, muss man lange still sitzen, aber das ist ganz und gar nicht mein Ding.«
»Heute Nachmittag schienen Sie nicht unter Zeitdruck zu leiden. Sie haben am Strand geschlafen.«
»Das war bloß ein Nickerchen.«
»Also, ich könnte Sie auch im Liegen malen, wenn Sie möchten. Schlafen Sie meinethalben sogar auf einem Diwan. Das würde mich nicht stören.«
»Darf ich fragen, woher Sie meine Nummer haben?«
»Von Freunden.«
»Freunden von mir?«
»Wohl kaum. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass wir in denselben gesellschaftlichen Kreisen verkehren, Mr. Hawke. Nein, Freunde von mir fanden die Nummer für mich heraus, die zu Ihrem Haus gehört.«
»Sie haben demnach Freunde, die meine Telefonnummer kennen?«
»Meine Freunde wissen alles.«
»Nun gut, passen Sie auf. Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, Miss Korsakowa, aber ich muss leider los, sonst komme ich zu spät zu einer Verabredung zum Dinner.«
»Werden Sie noch einmal über mein Angebot nachdenken, Mr. Hawke? Ich würde wirklich ungeheuer gern mit Ihnen arbeiten.«
Er zog das Telefon kurz von seinem Ohr weg, um sich einen vor Kälte beschlagenen Silberbecher mit Minzblatt von Pelham reichen zu lassen. Es war tatsächlich noch ein bisschen früh … aber egal. Er trank einen Schluck. Köstlich. Vor seinem geistigen Auge erschien plötzlich das Bild einer nackten Göttin, die aus dem Meer steigt, wobei das Wasser an ihrem Körper hinunterläuft – und verschwand genauso schnell wieder.
Mit mir arbeiten?
»Entschuldigen Sie«, nuschelte er und nippte noch einmal. »Ich bekam gerade Rum an die Haustür geliefert.«
»Also was jetzt?«, drängte Korsakowa hörbar ungeduldig.
»Ich werde eine Nacht darüber schlafen.«
»Tun Sie das. Ich rufe Sie gleich morgen Früh wieder an.«
Die Verbindung brach ab.
»Teufel auch«, murmelte Hawke an Pelham gerichtet. »Es soll ein Gemälde von mir werden.«
»Das dachte ich mir, Sir.«
»Lächerlich. Völliger Quatsch.«
»Werden Sie sich darauf einlassen?«
»Sind Sie komplett übergeschnappt?«
Pelham zog seine buschig weißen Augenbrauen erschrocken hoch. »Im Ernst, M'lord, ein Hunderter pro Stunde ist kein Kleingeld. Ein mehr als ordentlicher Tarif, wenn Sie mich fragen, Sir.«
Jetzt lachte Hawke laut, legte seinen Kopf in den Nacken und trank noch einen kräftigen Schluck von der leckeren Mixtur, bevor er immer noch barfuß in sein Schlafzimmer ging, um seine Marineausgehuniform und eine schwarze Krawatte anzuziehen. Es war Samstagabend. Congreve hatte ihn darauf hingewiesen, dass man sich zum Dinner im Shadowlands besser in Schale warf. Kurios, diese Sitte, aber Hawke war sie recht.
Durch den Flur tönte gedämpft die Melodie des Calypso-Songs, und seine Lordschaft sang so laut mit, wie er konnte: »Smarter than de man in every way!«
»Trouble in paradise«, seufzte Pelham, wischte die lackierte Theke ab und lächelte.
»Trouble in paradise«, wiederholte der Hauspapagei Sniper, kurz nachdem er von seiner Stange hochgeflogen war und sich auf die Schulter des alten Mannes gesetzt hatte. Hawke kümmerte sich bereits seit seinen Kinderjahren um den Vogel, einen Hyazinth-Ara. Es war ein Weibchen, seinem Namen entsprechend glänzend ultramarinblau und fast 80 Jahre alt. Mit seinem sehr vorlauten Schnabel machte das Tier ganz bestimmt die 100 voll.
»Ach, halt die Klappe«, grummelte Pelham und hielt Sniper einen Keks aus einer Schale auf der Theke hin.
»Danke für nichts, Meister«, krächzte der Vogel.
»Bist du jetzt wohl still?«, verlangte Pelham.
Medora, Norddakota
Paddy Strelnikow stürzte um 23 Uhr ins Büro des Aufsehers der Haftanstalt Little Miss. Eisregen prasselte gegen die Fensterscheiben. Stumpys mitternächtliches Date mit dem Schnitter sollte in etwas über einer Stunde weiter unten auf demselben Korridor stattfinden. Als Paddy die Treppe zum Büro hochgekommen war, hatte er sogar etwas von den Vorbereitungen gesehen.
Die Tür am Ende des Gangs stand offen, also konnte man in die Todeszelle schauen, deren Wände hellgrün gekachelt waren. Dazu grelles Licht wie in einem Operationssaal und Arztbesteck … Man war emsig beschäftigt gewesen, und Paddy hatte einen Blick auf die Liegebank erhascht. Er fand das Ganze zwar sehr spannend, musste jedoch seine Pflicht leisten.
Er hatte zehn Minuten gebraucht, um mit dem Mustang durch den Pulk aus Pressevertretern und Demonstranten vor dem Tor zu gelangen, dann weitere zwanzig Minuten zum Passieren des Checkpoints am Flügelblock D, dem Hochsicherheitsgebäude im hinteren Bereich des Gefängniskomplexes.
Es war lang, dreistöckig und gänzlich aus Betonplatten gebaut mit je einem Wachturm an beiden Enden. In Block D befand sich nicht nur die Direktion, sondern auch der Todestrakt. 61 Häftlinge warteten auf ihre Hinrichtung, darunter einige der berüchtigtsten Pädophilen, Sexualstraftäter und Serienmörder westlich des Mississippi.
Der Knast übernahm die Funktion der spezialisierten staatlichen Verwahrstätte für Verbrecher, die auf Bundesebene zum Tod verurteilt wurden, von der Besserungsanstalt Terre Haute in Indiana. Mehrere stümperhafte Hinrichtungsversuche mit der Giftspritze – durchstochene Adern, Injektion des Natriumchlorids in Muskeln – hatten zu öffentlichen Protesten und der Schließung jener Einrichtung geführt. Einflussreiche Lobbyisten in Washington waren dafür eingetreten, dass ein Gefängnis in Norddakota zum Nachfolger erkoren wurde.
Niemand kam je dahinter, wer all diese kostenaufwendigen Interessenvertreter anheuerte, aber es war den meisten auch ziemlich egal. In Washington ließ immer irgendwer Beziehungen spielen. Oft blieben die wahren Entscheider unsichtbar beziehungsweise unbemerkt – wie drüben in Russland.
Scheinwerfer – auch von Fernsehsendern – strahlten in den Himmel wie bei einer Hollywood-Premiere, während Schnee fiel. Wenn einem weltberühmten Mann wie Charles Edward Stump der Garaus gemacht werden und er seinen Gang zum sprichwörtlichen Schafott antreten sollte, musste die Aufregung groß sein.
Der Gefängnisaufseher hieß Warren Garmadge und war eine kleine, beleibte Kröte von Mensch mit einer breiten Krawatte mit Paisley-Muster. Er stand sogleich auf, als die Hilfspolizisten Paddy Strelnikow in sein mit Flaggen geschmücktes Büro brachten. Er streckte seine wurstige Rechte aus und grinste. Wie es aussah, war er bei bester Laune, weil er sich in letzter Zeit oft im Fernsehen zeigen durfte. Interviews hatte er für CNN, Fox und auch jeden anderen großen Sender gegeben. Außerdem sah er den hübschen Koffer aus Krokodilleder in der Hand seines Gastes und vermutete, er sei für ihn bestimmt.
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