»Er wurde graviert«, bemerkte Paddy. »Hier steht's: Für Direktor Warren Garmadge zum Zeichen ewiger Dankbarkeit.«
»Etwas so Fantastisches habe ich noch nie gesehen«, sagte der Aufseher, während er die glänzende Oberfläche der Hirnskulptur streichelte.
»Sag ich doch. Also, die schlauen Köpfe, für die ich arbeite, können sehr spendabel sein, wenn jemand dafür sorgt, dass etwas in ihrem Sinne geschieht. Sie tun das, indem Sie diese wilden Tiere unter Verschluss halten – und sich persönlich darum kümmern, dass Mr. Stump auf gebührende Weise verabschiedet wird. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Mr. Garmadge. Ich mache mich jetzt wieder auf den Weg. Bedaure, den Höhepunkt des Festakts heute Nacht nicht miterleben zu können.«
»Richten Sie Ihrem Auftraggeber bitte auch meinen tiefsten Dank aus, wenn Sie ihn sehen, ja?«
»Wenn ich ihn sehe?« Paddy lachte. »Niemand sieht den großen Mann. Niemand kennt auch nur seinen Namen.«
»Warum das?«
»Er ist der Unbekannte hinterm Vorhang, Direktor. Erinnern Sie sich an die Verfilmung von Der Zauberer von Oz? Der Leiter unserer Operation? Er ist ebendieser Zauberer höchstpersönlich.«
Paddy fuhr langsam durch die Menschenmenge vor dem Gefängnistor. Während der kurzen Zeit, die er drinnen verbracht hatte, schien sie größer geworden zu sein. Es schneite nicht mehr so kräftig, und Hunderte hielten Kerzen hoch, wobei sie irgend so einen Hippie-Dreck über brüderliche Liebe sangen, doch er verstand den Text nicht, weil er das Radio eingeschaltet hatte.
WKKO Chicago war noch auf Sendung und unter den Anrufern klatschte sich die Fraktion der Gutmenschen im Akkord mit Stumpy-Anhängern ab. Einige von ihnen heulten verzweifelt, je näher der Zeitpunkt der Hinrichtung rückte. Während Paddy in den Rückspiegel schaute, zog er sich behutsam den Walross-Schnauzbart von der Oberlippe und die dicken Bausche von seinen Augenbrauen. Die Perücke behielt er auf seiner Glatze, weil er fand, sie sah nicht ganz so schlimm aus.
Der Moderator Greg Noack, eine hyperaktive Nachteule, schaltete immer wieder zu einem Reporter des Senders, der in der Menge vor dem Tor stand. So bekam Paddy den Song doch zu Gehör. Es war das Protestlied »We Shall Overcome«, eine merkwürdige Wahl in seinen Augen, denn Stumpy war der allerletzte weiße Abschaum und kein armer Schwarzer, der mit Bezug auf den Titel irgendetwas überwinden musste. Außerdem, wer von diesen Idioten konnte noch richtig und falsch auseinanderhalten? In einem Land, wo »Fröhliche Weihnachten« nunmehr genauso verpönt waren wie das böse F-Wort, wusste man nicht mehr, wo einem der Kopf stand.
Im Übrigen war Paddy nicht einmal Baptist, verflucht und zugenäht, sondern russisch-orthodox!
Schließlich fuhr Noack ganz aufgeregt dazwischen, weil eine Eilmeldung aus Bismarck eingegangen war, weshalb sich der Sender jetzt live mit seinem Korrespondenten Willis Lowry in Verbindung setzte. Dieser stand beim Pressekorps auf den Stufen des Kapitols vor dem Gouverneursbüro.
»Mit dieser Wendung hat niemand gerechnet«, begann er. »Die Nachrichtenredaktion von Kanal Fünf erfuhr soeben, dass der Gouverneur Charles Edward Stumps Hinrichtung in letzter Minute aufgeschoben hat. Diese Neuigkeit macht alle hier vor dem Regierungsgebäude sprachlos, denn noch um 20 Uhr beteuerte das Büro, dass keine Chance auf Begnadigung bestehe. Jetzt hingegen bekommen wir zu hören, dass …«
»Schlag mich tot«, murmelte Strelnikow und schaltete das Radio ab. Er streckte sich nach seinem Handy aus, das auf dem Beifahrersitz lag, klappte es auf und wählte eine gespeicherte New Yorker Nummer.
»Sitzt du vor der Glotze? Ist dieser Scheiß denn zu fassen?«, fragte er den Mann, Ruko, der sich meldete. »Dieses Arschloch von Gouverneur hat gerade Stumps Kopf aus der Schlinge gezogen. Hallo?«
»Bestätige mir, dass du dem Gefängnisdirektor sein Geschenk gebracht hast«, bat Ruko.
»Hab ich.«
»Gut. Jetzt mach das Notwendige, Beef.«
Weil er so groß und muskulös war, hatten ihn die Jungs aus seiner Nachbarschaft früher All-Beef-Paddy genannt – ein Patty oder Bratling aus reinem Rindfleisch eben. Unheimlich witzig, was? Nein, keineswegs.
Die Leitung war tot.
Paddy schaute wieder in den Rückspiegel. In der Ferne konnte er die Anstalt noch sehen, dazu die Lichtkegel der Scheinwerfer am Himmel. Er hielt auf dem Seitenstreifen an und zog die Handbremse.
Aus einer seiner Jackeninnentaschen nahm er einen kleinen, schwarzen Funksender. Ein Lämpchen daran leuchtete grün. Als er eine Taste betätigte, wechselte die Farbe zu Rot. Daraufhin hielt er die Taste für drei Sekunden gedrückt. So gab das Gerät ein Signal an einen Kommunikationssatelliten seines Unternehmens weiter, der über Zentralnordamerika kreiste.
Kurz darauf flammte es gleißend hell hinter ihm auf, und ein, zwei Sekunden später brachte die Druckwelle der gewaltigen Explosion seinen Mustang zum Vibrieren.
Flügelblock D, die Kröte von Direktor und alle illustren, todgeweihten Häftlinge existierten nicht mehr. Zurück blieb ein Trümmerhaufen, verursacht von acht Unzen eines ausgesprochen explosiven Sprengstoffs auf Hexagon-Basis. Er war passgenau in die Festplatte des Wizard-Computers eingesetzt worden, den Paddy auf den Schreibtisch von Warden Garmadge gestellt hatte.
»Halleluja«, frohlockte Strelnikow.
Bei Hexagon handelte es sich um eine weitere Erfindung des Zauberers, entdeckt während eines Experiments mit den Molekülstrukturen nichtnuklearer Explosiva. Es war hellblau und besaß die Konsistenz von Knetmasse. Eine Unze davon wirkte tausendmal stärker als die gleiche Menge Nitroglyzerin. Der Mann war durch schieren Zufall auf den durchschlagskräftigsten Sprengstoff des Planeten gestoßen.
Um einer Entdeckung der Hexagon-Bomben in allen Zeta-Rechnern vorzubeugen, wurden sie werksseitig permanent versiegelt. Im Fall von Hardwarefehlern ersetzte man sie schlichtweg unentgeltlich. Gelang es jemandem, den Computer zu öffnen, zerfiel der enthaltene Sprengstoff zu inaktivem Pulver, sobald er mit Luft in Kontakt kam.
Genial.
Paddy fuhr zurück auf den Highway und nahm auf der kurvenreichen, dunklen Straße rasch Fahrt auf. Er musste seinen Flug erwischen. Dieser ging nach Los Angeles und von dort aus in irgendein -burg am Arsch der Welt in Alaska, wo er mit seinem nächsten Einsatz vertraut gemacht werden sollte. Wie er gehört hatte, sollte er dabei um Fischerei gehen. Zuerst aber – und darauf, dass es so kam, hätte er Geld gesetzt – würde er kurz und unerwartet beim Gouverneur von Norddakota vorbeischauen. Irgendwann innerhalb der nächsten Stunde sollte sein Handy läuten, und dann fuhr er zur Villa des Politikers. Durfte er ihn schon einen toten Politiker nennen?
Fischerei? In Alaska? Was verstand er von Angeln und Netzen? Er kam aus Brooklyn, verdammt! Andererseits: Ein Auftrag war eben ein Auftrag, nicht wahr? Womöglich lernte er noch etwas dabei.
Paddy lächelte und schaltete das Radio wieder ein, um einen Oldie-Sender zu suchen. Zugegeben, ihm gefiel das Leben gerade ziemlich gut. Sicher, sein Job hielt ihn ziemlich auf Trab, war dafür aber wirklich nie langweilig.
Man brachte im Laufe einer langen, ereignisreichen Karriere 300, 400 oder sogar 500 Leute um die Ecke, also war es doch durchaus vorstellbar, dass einem die Sache ab einem gewissen Punkt langweilig wurde, oder? Man fragte sich: Wie oft kannst du das durchziehen, ohne das Interesse daran zu verlieren?
Das tat er aber nicht.
Es kam einzig und allein auf Einfallsreichtum an.
Der Weg aus dem Wald hinaus war jedes Mal ein anderer.
So lautete die Devise.
Bermuda
Hawke jagte auf seinem Motorrad die letzte Anhöhe hinauf, bevor er auf eine Piste einbog, die sich bis zum Meer hinunterschlängelte, wo Lady Diana Mars' Haus stand.
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