»Was er tun soll?« fragte Pryor und berührte abermals seinen blutigen Schädel. »Jeder Protestant sollte wissen, was jetzt zu tun ist.«
»Vorsichtig jetzt«, sagte Sergeant Tompkins und warf mir einen Blick zu, dessen Bedeutung ich damals nicht begriff. »Ich verwette mein Wort für Captain Cooper. Mr. Broome beurteilt ihn ganz richtig. Captain Cooper wird tun, was richtig ist.«
Ich kann ihnen nicht nur Vorwürfe machen. Wie wenig können wir in England ihre Ängste und ihre Loyalitäten verstehen! Und doch verlassen wir uns seit Jahrhunderten auf solche Männer. In jedem Moment der Krisis oder der drohenden Gewalt halten wir in England kühne und großzügige Reden über die loyalen irischen Protestanten, zu jedem anderen Zeitpunkt dagegen empfinden wir nur eine nachlässige Verachtung für sie, als eine Art von Wilden, die denen, von denen sie umgeben sind, nur wenig überlegen sind.
Ich verließ sie mit dem Versprechen, daß meine liebe Eliza am nächsten Tag vorbeischauen würde, um sich nach Pryors Befinden zu erkundigen und um ihm ein paar tröstende Lekkerbissen zu bringen, und sie verabschiedeten sich höflich von mir. Pryor bedankte sich für mein Interesse an seinem Zustand. Und doch bin ich sicher, daß sie, sowie ich die Tür hinter mir zugemacht hatte, ihre Unterhaltung mit weniger Zurückhaltung fortsetzten, als meine Anwesenheit ihnen auferlegt hatte. Ich kannte diese Männer nicht gut, obwohl sie zu meiner Pfarre gehörten und jeden Sonntag meine Kirche besuchten. Sie waren natürlich keine Gentlemen und hatten auch keine entsprechenden Ambitionen. Sie hegten tiefes Mißtrauen ihrem eigenen Landadel gegenüber, den sie für zu schlaff hielten. Und doch waren sie und ihr Landadel durch ihren Glauben miteinander verbunden und bildeten eine einzige Gemeinde, zahlenmäßig schwach, aber dennoch allmächtig.
Ich weiß noch genau, daß mir, als ich Sam Pryors Hütte verließ und zur Stadt zurückging, etwa ein halbes Dutzend Spalpeens begegnete, wandernde Landarbeiter, die wohl wegen der bevorstehenden Ernte nach Killala gezogen waren. Sie waren so grob gekleidet, wie man sich das nur vorstellen kann, in Friesjacken, so alt und verwittert, daß sie ein Teil der Landschaft hätten sein können, und ohne Hüte, um ihre verfilzten und zerzausten Haare zu bedecken. So könnten die rauhen Söldner ausgesehen haben, die in den historischen Stücken des erhabenen Shakespeare erwähnt werden. Sie unterhielten sich höchst angeregt auf irisch, und einige lachten über die Bemerkungen einer wilden Kreatur, die noch größer war als MacCarthy. Als wir uns begegneten, unterbrachen sie sich jedoch und grüßten mich äußerst höflich und mit jeglicher Ehrerbietung, wobei sie an den Straßenrand traten. Als ich an ihnen vorübergegangen war, nahmen sie ihre Unterhaltung wieder auf und zogen sich damit in ihre Welt zurück, die für mich ein einziges, in ihrer Sprache eingeschlossenes Geheimnis war.
Ich schien in meinen Händen zwei ausgezackte Mosaikstücke zu halten – die Welt von Pryors Hütte und die der papistischen Arbeiter auf der Straße. Die Stücke paßten nicht zusammen, und ich konnte mir auch das Muster, zu dem sie gehörten, nicht vorstellen.
Zwei Nächte darauf wurde der Leichnam von Phelim O’Carroll, einem kleinen Bauern auf dem Gut von Lord Glenthorne, nackt in einem seichten Moorweiher gefunden. Er war auf grausamste Weise mißhandelt worden, sein Rücken war nichts als rohes Fleisch. O’Carroll, obwohl ein Mann in mittleren Jahren, war ein berüchtigter Dorfkämpfer und deshalb als Whiteboy in Verdacht gewesen. Zweifellos war versucht worden, ihm Informationen abzupressen, was aber offenbar vergebens gewesen war. Seine Totenwache wurde in seiner Gemeinde abgehalten, aber über diese Zeremonie kann ich glücklicherweise nichts schreiben. Der Brauch der Totenwachen im ländlichen Irland ist einfach obszön, und eine Beschreibung würde nur Ekel erwecken. Es ist hinlänglich bekannt, daß diese Wachen keine nüchternen Nachtwachen am Leichnam eines verschiedenen Vaters oder Freundes sind, sondern eher Anlässe für Trunkenheit und Ausschweifungen. Die Art dieser »Wachspiele«, wie sie auch genannt werden, kann uns nur am Los des Christentums verzweifeln lassen, auf so entsetzliche Weise wird die heidnische Vergangenheit in ihnen verewigt. Über Spiele wie »Kraftprobe«, »Bulle und Kuh«, »Kerzenhalten« und »Schweineverkaufen« möchte ich lediglich erwähnen, daß Männer und Frauen daran teilnehmen, daß bei einigen die Männer nackt sind, daß in anderen alle Vorkommnisse einer Hochzeitsnacht gemimt werden. Die Volksweisheit, daß bei Totenwachen mehr Ehen geschlossen werden als auf Jahrmärkten oder Tanzfesten, hat viel Wahres an sich, so hemmungslos führen sich jung und alt auf. Und doch geschieht alles in einem Geist der Unschuld und ohne gotteslästerliche Absichten, nicht einmal dann, wenn der Leichnam auf seine leblosen Füße gestellt und der Travestie eines unzüchtigen Tanzes unterworfen wird. Dieses Land ist wahrlich im Sumpf einer uralten Vergangenheit versunken. Aber ich schweife ab.
Ein weitaus größeres Maß für Trauer und Leidenschaft der Menschen wäre bei der Beerdigung des armen O’Carroll auf dem Friedhof von Killala zu beobachten gewesen, denn dem Sarg folgte schweigend ein langer Trauerzug, der, wie der Brauch gebietet, den weitesten Weg nahm und einen großen Kreis in Richtung der Sonnenlaufbahn beschrieb. Ich nahm an der Bestattung teil, hielt mich in respektvoller Entfernung und war zutiefst bewegt. Als der Sarg in die Erde gesenkt worden war, trat eine Gruppe von verhüllten Frauen vor und begann mit der Totenklage, über die so viel geschrieben worden ist und die, wenn auch unleugbar barbarisch, nicht ohne Musikalität ist und die tiefste Trauer auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck bringt. Es ist eine Art Geheul, und ich beobachtete, daß Mr. Hussey offenbar mit kühler Abneigung lauschte und mich mehrmals voller Verlegenheit ansah, während sein Kaplan, Murphy, zutiefst gerührt war und O’Carrolls Neffen, einem schwatzhaften Grünschnabel, voll Mitgefühl den Arm um die Schultern legte. Ansonsten aber lauschte die riesige Trauergemeinde regungslos und hatte nur Augen für das grobe Holz des Sarges.
In die Erde, die auf den Sarg geschaufelt wurde, wurde O’Carrolls Blut gemischt, das sein Neffe aus einer kleinen Flasche goß, denn unter den Leuten hier hieß es, daß auf einer Beerdigung Blut vergossen werden muß. Wenn es einem rituellen Zweck diente, dann war es ein verschwendetes Symbol, denn das von Pryor und O’Carroll vergossene Blut sollte sich in den kommenden Monaten vervielfacht über uns ergießen.
Am folgenden Abend, als Mr. Gibson von einer geschäftlichen Besprechung in Killala zurückkehrte, wurde aus einer Hecke gegenüber seiner Einfahrt auf ihn geschossen. Gibson ist ein kühner Mann und reitet niemals unbewaffnet aus. Er zog seine Pistole, lenkte sein Pferd auf die Hecke zu und schlug vier Männer in die Flucht, die er weder gefangennehmen noch identifizieren konnte, obwohl er später erklärte, einer habe große Ähnlichkeit mit seinem Pächter Malachi Duggan gehabt. Gibson war als Grundbesitzer und als Richter unbeliebt, und alle wußten, daß er wie Cooper energisch darauf gedrängt hatte, mit Gewalt gegen die Whiteboys vorzugehen. Und doch behauptete Duggan, als er vor Gericht verhört wurde, energisch seine Unschuld und bot an, zwanzig Zeugen zu bringen, die sie beschwören konnten.
Wir hatten nun in Killala einen kleinen Krieg, mit Verletzungen auf der einen und einem Todesfall auf der anderen Seite. Es wimmelte von Gerüchten, entstanden aus Angst und einem natürlichen Argwohn. Unter den Papisten hieß es, daß es ihnen ergehen würde wie den Bauern von Wexford unter dem Kriegsrecht in den Monaten vor dem Aufstand. Landwehr und reguläre Truppen würden eingesetzt werden, um Auspeitschungen vorzunehmen und Ernten und Hütten niederzubrennen, wobei die Miliz von Tyrawley als ihre röhrenden Hunde fungieren sollte. Und viele Protestanten, vor allem die der unteren Stände, glaubten, daß ein allgemeines Massaker stattfinden würde, sowie die Franzosen gelandet wären. Angst und Feindseligkeit waren in den schäbigen Straßen von Killala fast greifbar. Ein Bauer, der groß und unheildrohend in einem kleinen protestantischen Laden aufragte, deutete auf das Stück Seil oder das Zinngeschirr, das er brauchte, und der Kaufmann reichte es ihm schweigend und reserviert, mit zusammengekniffenen Lippen.
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