Lothar Streblow
SAGA Egmont
Duna, der Dinosaurier
Copyright © 1989, 2018 Lothar Streblow und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711807576
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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„Die Frage nach dem tierlichen Bewußtsein hat die Menschen schon immer gefesselt, weil Haus– und Wildtiere gleichermaßen unsere Bewunderung und Neugier erregen. Sie verlocken uns dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und uns vorzustellen, wie ihr Leben sein mag.“
Donald R. Griffin
„Gefühle sind es, die alle Kreatur dazu drängt, etwas zu tun oder, wenn es ängstliche Stimmungen sind, etwas zu unterlassen.“
Vitus B. Dröscher
Der Morgen dämmerte über dem breiten Stromtal. Weithin dehnten sich die flachen gewundenen Flußarme ins Land, bildeten ein tief verzweigtes Delta. Träge strömten die Fluten der Meeresküste zu. Und hinter mächtigen Schwemmsandbänken schimmerten die Wasserflächen sumpfiger Lagunen.
Ein warmer Wind rauschte durch die Wedel der üppigen Farne am Ufer, spielte landeinwärts in den Kronen einiger Ginkgobäume a. Und eine riesige Libelle taumelte durchs Gezweig ins Licht der aufgehenden Sonne.
Es war eine seltsame Welt, in die Duna geboren wurde: eine stille Welt. Wiesen mit Blumen und Gräsern gab es noch nicht. Kein Vogel sang, kaum ein Laut störte die Stille. Nur das Summen von Insekten schwirrte zwischen Bärlappgewächsen und Schachtelhalmen durch die laue Luft. Ein Tausendfüßler krabbelte über den faulenden Stumpf eines Baumfarns. Und manchmal klang ein Platschen von der Lagune herüber, wenn ein Fisch aus dem Wasser schnellte und wieder eintauchte. Sonst war es still, fast unheimlich still.
In dieser Welt vor rund einhundertvierzig Millionen Jahren, wo Europa als Teil eines riesigen, Eurasien und Nordamerika umfassenden Superkontinents nahe am Äquator lag, herrschte über der urwüchsigen Landschaft ein fast tropisches Klima. Und die eigenartigen Wesen, die diese menschenleere Landschaft bevölkerten, sahen mit ihrer sonderbaren Gestalt und ihrem riesigen Wuchs aus wie alptraumhafte Fabeltiere.
Auch Duna glich so einem Fabelwesen: mit ihrem kleinen Kopf an dem kräftigen langen Hals auf dem elefantenförmigen Körper, den säulenartigen Beinen und dem mächtigen Schwanz. Aber noch war sie klein, nur wenige Sonnenjahre alt und kaum größer als ein Kalb. Wenn sie neben ihrer riesenhaften, mehr als fünfzig Tonnen schweren Mutter durch die Wildnis stapfte, kam sie sich ganz winzig vor.
Im Augenblick war von ihrer Mutter nicht viel zu sehen. Sie stand bis weit über ihren kolossalen Bauch im seichten Wasser, hatte den langen, schlangenförmigen Hals tief gebeugt und riß büschelweise Wasserpflanzen aus.
Ein Stück hinter ihr ragten noch einige mächtige Hälse aus der Lagune. Nur dicht am Ufer trieben sich ein paar kleinere Gestalten herum und knabberten an flachwüchsigen Zykadeen. Sie wagten sich noch nicht so weit ins Wasser. Und sie genossen die wärmenden Sonnenstrahlen.
Plötzlich horchte Duna auf. Ein vernehmbares Rauschen klang durch die Luft. Vom nahen Meer her glitten drei Schatten heran, sahen von weitem aus wie seltsame Vögel. Aber es waren keine Vögel: Die gab es noch nicht. Es waren drei Flugechsen, die sich im Gleitflug der Lagune näherten.
Duna duckte sich, legte ihren langen Hals ganz flach. Sie wußte zwar, daß die Flugsaurier nur nach Fischen jagten, trotzdem waren sie ihr unheimlich. Und sie spürte Angst. Diese merkwürdig bepelzten Körper mit den lederartigen Flughäuten und dem zähnestarrenden Schnabelmaul wirkten bedrohlich über Dunas kleinem Kopf. Und sie flüchtete eilig ins Wasser.
Doch gleich darauf bekam sie einen neuen Schreck. Eine der Flugechsen stieß unweit von ihr das spitze Schnabelmaul durch die Wasserfläche und hob sich mit einem Fisch zwischen den Zähnen wieder in die Luft. Doch diese Flugechsen waren keine sehr guten Flieger. Trotz der Flügelspanne von mehr als einem Meter gewann sie kaum an Höhe. Und um ein Haar hätte sie einen der im Wasser weidenden Brontosaurier gestreift.
Das war Dunas Mutter offenbar zuviel. Sie hob ihren gewaltigen Schwanz aus dem Wasser und peitschte ein paarmal kurz über die schimmernde Fläche. Wasserfontänen schossen nach oben. Und einige der Spritzer prasselten auf die Flugechse, bevor sie in einer unbeholfenen Kurve zur Küste hin entfloh.
Jetzt hob Duna vorsichtig den Kopf und blickte ihr nach. Auch sie hatte einen gewaltigen Wasserschwall abbekommen. Und noch immer schwappten die auslaufenden Wellen gegen das Ufer der Lagune. Duna wendete sich langsam ab. Vom Wasser hatte sie erst mal genug. Und sie stapfte mit ihren dicken Beinen aufs Trokkene. Heiße Luft flimmerte über dem körnigen Schwemmsand. Und Duna legte sich im Schatten eines weitausladenden Palmfarns zur Ruhe.
Viel Zeit blieb ihr nicht für den Schlaf. Mit einemmal spürte sie Unruhe in ihrer Nähe. Eine kleine Ureidechse jagte nach einer riesigen Florfliege; ganz dicht schoß sie an ihrem Kopf vorbei. Noch träge vom Schlaf, bewegte Duna abwehrend ihren Schwanz. Florfliegen mochte sie nicht, sie schätzte mehr Pflanzenkost. Und vor Eidechsen hatte sie keine Angst, nur die Störung ärgerte sie.
Doch mit der Ruhe war es vorbei. Dunas Mutter planschte geräuschvoll an Land, trampelte mit ihren Säulenbeinen durch den knirschenden Sand. Das hörte sich an wie ein Erdbeben. Wasser rann von der schuppigen Haut ihres gewaltigen Bauches. Aus dem Maul hingen ihr ein paar Pflanzenfasern. Und wo sie hintrat, hinterließ sie badewannengroße Fußabdrücke. Weit ging sie allerdings nicht. Auch sie spürte die Mittagsschläfrigkeit. Bei einer kleinen Gruppe von Ginkgobäumen barg sie sich im Schatten.
Gerade hatte Duna wieder die Augen geschlossen, da zitterte der Boden erneut von einem erdbebenhaften Dröhnen. Noch klang es weit entfernt, kam aber allmählich näher. Die Brontosaurier hoben wachsam die Köpfe. Sie konnten schon am Tritt unterscheiden, was sich da näherte. Das war kein vierbeiniger friedlicher Pflanzenfresser. Das klang bedrohlich nach einem beutegierigen Zweibeiner. Noch aber war nichts zu erkennen. Ein Wäldchen hochwüchsiger Farne verdeckte die Sicht.
Plötzlich brach eine hohe massige Gestalt durch das Dickicht und blieb einen Augenblick stehen. Von weitem sah sie aus wie ein riesiges Känguruh. Doch die Gestalt hüpfte nicht. Sie rannte mit einemmal los, rannte auf ihren wuchtigen Hinterbeinen direkt auf die Brontosaurier zu, den schweren Schwanz fast waagerecht nach hinten weggestreckt.
Dunas Mutter richtete sich zu voller Größe auf. Und zwei ihrer riesigen Gefährtinnen gesellten sich zu ihr. Die Kleineren aber zogen sich vorsichtshalber ein ganzes Stück hinter ihre gewaltigen Leiber zurück.
Ängstlich starrte Duna zwischen den Säulenbeinen ihrer Mutter hindurch, sah die unheimliche zweibeinige Gestalt näher kommen. Es war ein Megalosaurus, den mächtigen Kopf vorgestreckt, die schweren Kinnbacken geöffnet. Und zwischen seinen Kiefern blitzte eine Reihe messerscharfer Zähne.
In diesem Augenblick schwenkte Dunas Mutter zur Seite, hob ihren gewaltigen Schwanz und verpaßte dem Angreifer einen wuchtigen Schlag vor den Hals. Der Raubsaurier taumelte, fing sich aber wieder. Und blitzschnell versuchte er, durch die Lücke zwischen den Großen die dahinter zusammengedrängten Kleinen zu erreichen.
Duna flüchtete entsetzt zur Lagune hin; sie glaubte sich dort sicherer. Doch sie war nicht schnell genug. Schon hörte sie dicht hinter sich die donnernden Schritte, spürte den stinkenden Atem. Und eine lähmende Angst schnürte ihr fast die Kehle zu.
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